- Angela Merkel hat sich mit ungewöhnlich dramatischer Wortwahl an die Bevölkerung gewandt.
- Die Bundeskanzlerin warnt davor, das noch härtere Beschlüsse kommten müssten, sollte der Teil-Shutdown im November nicht die nötige Wirkung entfalten.
- Merkel macht das mit der ganzen Autorität, die ihr das Amt und ihre eigene Amtsführung verleihen. Ein Kommentar.
Im Ton gewohnt nüchtern, in der Sache außergewöhnlich dramatisch hat Bundeskanzlerin Merkel die Entscheidung von Bund und Ländern verteidigt, das Land wegen der steigenden Corona-Infektionszahlen erneut herunterzufahren. Am Montag trat sie als Kassandra der Nation auf – sie beschrieb das Pandemie-Geschehen als „Naturkatastrophe“ und warnte vor einem „Ruin“.
Sie drohte mit noch härteren Maßnahmen, wenn die aktuellen Beschlüsse nicht wirken. Eine Botschaft wurde klar: Dieser Auftritt war der letzte Versuch der Bundesregierung, den moderaten deutschen Weg, der auf Einsicht, Vernunft und Wohlverhalten der Bevölkerung setzt, im Kampf gegen das Virus weiterzugehen. Letzte Warnung.
Klar ist nach dem Auftritt der Kanzlerin auch, dass die Bundesregierung mit ihren ständigen Appellen an die Bevölkerung die Sättigungsgrenze erreicht hat. Merkel hat noch einmal alle Register gezogen, zur Solidarität mit Alten und Kranken aufgerufen, mit Ordnungsstrafen gedroht, die Bedeutung des Kampfs gegen Corona für die Wirtschaft beschworen und ihren Amtseid in die Waagschale geworfen. Mehr geht nicht.
Versagt die November-Notbremse, sitzen wir Weihnachten im Lockdown
Sollte also die November-Bremse ihre Wirkung nicht entfalten, dann wird Deutschland Weihnachten im harten Lockdown liegen. Ihren Maßstab dafür hat die Kanzlerin auch formuliert: Das Pandemie-Geschehen lässt sich nur kontrollieren, wenn die Zahl der Infektionen 50 pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen nicht übersteigt.
Aktuell sind es 127. Merkel hat das klare Signal gegeben: Es liegt an Euch, Leute, ob Deutschland nun die Infektionszahlen senken kann. In ihrem Auftritt schwang die alte Hauruck-Pädagogik mit: Wer nicht hören kann, muss fühlen.
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Selten konnte Merkel mit so viel Autorität auftreten wie in diesen Tagen: Ihre Umfragewerte haben alte Höhen erreicht und in der fachlichen Beurteilung des Pandemie-Geschehens hat sie Recht behalten.
Einen Wahlkampf muss sie auch nicht mehr gewinnen. Das erleichtert das Formulieren unangenehmer Wahrheiten. Ihre düstere, vielfach kritisierte Prognose von Anfang Oktober, als sie Deutschland 19.000 Neuinfektionen pro Tag vorhersagte, ist längst von der Realität überholt.
Nun malt sie ein Katastrophenszenario mit einem völlig überlasteten Gesundheitssystem an die Wand. Damit will sie die Menschen im Land abermals motivieren, die Ausbreitung des Virus durch persönlichen Verzicht zu verlangsamen.
Hilfreich für die Akzeptanz in der Bevölkerung ist es, dass sich Bund und Länder endlich auf klare Prioritäten einigen konnten: Schulen, Fabriken und Geschäfte bleiben offen. Private Feiern, Gaststätten, Hotels und der Kulturbetrieb haben das Nachsehen.
Für die betroffenen Branchen ist der Weg bitter und existenziell bedrohlich. Aber umgekehrt geht es halt auch nicht – wie nach Ostern, als die Gaststätten zur Lockerung übergingen, während die Schulen und Kitas geschlossen blieben.