Berlin – Mehrmals in der Geschichte der Bundesrepublik mussten Kanzler ihr Amt frühzeitig ablegen. Helmut Kohl wurde durch ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt Kanzler. Willy Brandt musste aufgrund der Guillaume-Affäre zurücktreten. Gerhard Schröder dagegen stellte während seiner Kanzlerschaft gleich zweimal die Vertrauensfrage - und konnte dennoch im Amt bleiben.
Nach dem Rückzug der Corona-Beschlüsse zu Ostern wird nun auch die Kritik an Kanzlerin Angela Merkel lauter. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hat Merkel dazu aufgefordert, die Vertrauensfrage zu stellen. Aus Regierungskreisen heißt es wiederum, an einen Rücktritt denke Merkel nicht.
Aber welche Möglichkeiten gäbe es überhaupt, eine Person an der Spitze der Regierung auszutauschen? Ein Überblick:
Konstruktives Misstrauensvotum
Das konstruktive Misstrauensvotum (Artikel 67 Grundgesetz) ist die einzige rechtliche Möglichkeit des Bundestags, einen Kanzler gegen seinen Willen und ohne Neuwahlen abzulösen. Das Parlament kann einem Regierungschef mit absoluter Mehrheit das Misstrauen aussprechen, muss aber gleichzeitig einen neuen Kanzler wählen. Der Bundespräsident muss den alten Kanzler dann entlassen. Zwischen Antrag und Wahl müssen 48 Stunden liegen.
Bisher ist das Misstrauensvotum erst zweimal zum Einsatz gekommen: 1972 bei Rainer Barzel (CDU) gegen den SPD-Kanzler Willy Brandt (nicht erfolgreich) und 1982, als Helmut Kohl (CDU) sich erfolgreich gegen den SPD-Kanzler Helmut Schmidt durchsetzte.
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Allerdings legt das Grundgesetz nicht fest, dass ein Kanzler durch einen Kandidaten der Opposition ersetzt werden muss. Heißt: Theoretisch könnte sich die GroKo darauf verständigen, einen neuen GroKo-Kanzler (aus Union oder SPD) zu installieren, und dies auch durchsetzen. Ein neuer Kanzler müsste dem Bundestag nicht angehören. Realistisch betrachtet würde die heutige Regierungschefin wohl zurücktreten, bevor es so weit käme.
Rücktritt des Kanzlers
Ein Rücktritt des Bundeskanzlers ist zwar im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt – aber als Selbstverständlichkeit zulässig. Würde Angela Merkel freiwillig (oder politisch erzwungen) zurücktreten, würde Artikel 63 des Grundgesetzes greifen. Dieser regelt die Wahl des Kanzlers.
In Paragraf 1 heißt es: „Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt.“
(Vorgezogene) Wahlen
Eine weitere – und die eigentlich normale – Möglichkeit, einen Regierungschef abzulösen (oder auch nicht), sind reguläre Wahlen (vorgesehen für Herbst 2021) oder vorgezogene Bundestagswahlen.
Angela Merkel hat erklärt, in keinem dieser Fälle wieder antreten zu wollen. Sollte sie für sich entscheiden, nicht mehr Kanzlerin sein zu wollen, hätte sie im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Sie könnte zurücktreten. Wählt der Bundestag dann in zwei Wahlgängen keinen Nachfolger mit der notwendigen absoluten Mehrheit, kann der Bundespräsident nach Artikel 63, Absatz 4 GG, entweder innerhalb von sieben Tagen denjenigen zum Regierungschef ernennen, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat (das entspräche einer Minderheitsregierung), oder Neuwahlen ausrufen.
Vertrauensfrage
Der bisher einzige in der Geschichte der Bundesrepublik praktizierte Weg zu vorgezogenen Neuwahlen ist allerdings die Vertrauensfrage. Nach Artikel 68 Grundgesetz kann ein Bundeskanzler den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen, nachdem eine Mehrheit der Abgeordneten dem amtierenden Bundeskanzler das Vertrauen verweigert hat. Der Bundespräsident kann den Bundestag in diesem Fall auflösen – muss es aber nicht. Er ist laut Grundgesetz frei in seiner Entscheidung.
Bisher ist es erst zweimal zu Neuwahlen nach einer verlorenen Vertrauensfrage gekommen: Im Dezember 1982 sorgte die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl dafür, dass sie im Bundestag keine Mehrheit bekam, im Mai 2005 tat es ihm die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) gleich.
Als einziger Regierungschef in der bundesdeutschen Geschichte machte Schröder gleich zweimal von diesem Instrument Gebrauch. (RND/ar)