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Politikwissenschaftler Merkel„Wir sollten die Amtszeiten von Kanzlerinnen begrenzen“

Lesezeit 4 Minuten
Merkel 2 Bundestag 240321

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Der Politologe Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin würdigt die jüngste Entschuldigung der Kanzlerin. Zugleich beklagt er aber neben der zurückgenommenen Osterruhe weitere Fehler. Als Konsequenzen plädiert Merkel nicht zuletzt dafür, Kanzlerinnen oder Kanzler maximal zwölf Jahre amtieren zu lassen. Ein Interview.

Herr Professor Merkel, die Kanzlerin hat sich für die Bund-Länder-Vereinbarung über die Osterruhe entschuldigt. Wie finden Sie das?

Die Entschuldigung nötigt mir Respekt ab. Allerdings ist sie nicht ganz ohne Theatralik. Denn der Kanzlerin war bewusst, dass dann auch die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sagen müssen: Wir waren dabei. Im Übrigen waren andere Fehler gravierender.

Welche Fehler meinen Sie?

Ich meine vor allem das Impfdesaster. Zwar wurde die Bestellung und Verteilung der Impfstoffe über die EU organisiert. Aber Deutschland hatte mit der Kanzlerin im vorigen Halbjahr den Ratsvorsitz inne. Hinzu kommen eine Überbürokratisierung der Impfkampagne, die es gerade alten Menschen schwer gemacht hat, sich impfen zu lassen – sowie eine fahrlässige Rufschädigung von Astra Zeneca.Ist das ein Scheitern von Personen oder von Strukturen?Wir haben uns blamiert gegenüber Israel, Großbritannien und den USA. Andererseits sind wir international im Mittelfeld. Es ist also kein vollkommenes Desaster. Allerdings haben sich die Fehler in den letzten Monaten so gehäuft, dass sie eher den Strukturen zuzuschreiben sind als den Personen. Und die wichtigste Struktur sind die Treffen der Kanzlerin mit den 16 Ministerpräsidenten. Hier hat man ein informelles Gremium installiert, das nicht besonders demokratisch ist, nicht besonders transparent Entscheidungen trifft und – wie wir jetzt sehen – auch nicht besonders problemlösende Politiken vorschlägt. Zugleich werden der Bundestag und die Landtage an den Rand gedrängt – obwohl Parlamente nicht nur die Demokratie, sondern auch die Qualität von Entscheidungen befördern.

Wie ist das zu erklären?

Das geänderte Infektionsschutz vom vorherigen Frühjahr lässt einen so weiten Spielraum für die Exekutiven, dass die Lücke mit dem im Grundgesetz nicht vorgesehen Gremium der Ministerpräsidentenkonferenz gefüllt wurde. Und wenn Institutionen so viel Macht an sich ziehen können, dann geben sie diese Macht so schnell nicht wieder her. Das Kanzleramt hat zudem die Entscheidungen schlecht vorbereitet und dann die Ministerpräsidenten unter Zeitdruck gesetzt. Das ging diesmal voll daneben.

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Ist das eine Strategie von Frau Merkel?

Das ist zumindest eine Strategie des Kanzleramtes. Aber dieser Strategie sind die Ministerpräsidenten gerne gefolgt. Sie haben die Macht genossen, die sie durch die Ministerpräsidentenkonferenz bekommen haben. Plötzlich wurden auch Politiker sichtbar, die viele Bürger bis dahin kaum kannten.

Das erinnert an das Wort Richard von Weizsäckers von der „Machtversessenheit“ und „Machtvergessenheit“ der Politik. Der Betrieb folgt eigenen Gesetzen.

Ja. Ich würde den Satz in diesem Fall aber etwas abwandeln und sagen, die Beteiligten sind machtversessen und gestaltungsvergessen. Sie lösen die Probleme unzureichend und werden damit selbst zum Problem.

Wie gefährlich ist das politische Durcheinander für die Demokratie?

Teilweise wird die wichtigste Währung verspielt, die es in der Politik gibt: Vertrauen. In jeder Demokratie ist die Wirksamkeit von Gesetzen nicht nur von etwaigen Sanktionen abhängig, sondern von der Einsicht der Bürger. Ohne ein hohes Maß an Freiwilligkeit funktionieren Demokratien nicht.

Wie schwer wiegt der Autoritätsverlust der Kanzlerin?

Das Ansehen der Kanzlerin ist nach Fehlentscheidung und Entschuldigung zweifellos beschädigt. Noch problematischer ist: Frau Merkel regiert jetzt seit 16 Jahren. Ihre kreativen Energien erscheinen uns erschöpft. Ihre Autorität gegenüber den Länderchefs ist geschmolzen. Und es ist ein Strukturfehler, dass unsere Verfassung es zulässt, dass man so lange am Stück regieren kann. Konrad Adenauer führte nach 1961 eine lähmende Regierung und wollte nicht abtreten. Ähnlich war es bei Helmut Kohl, der wie Frau Merkel ebenfalls 16 Jahre lang regiert hat. Es lag eine Art Mehltau über dem Land. Das wiederholt sich jetzt. Wir sollten die Amtszeiten von Kanzlerinnen und Kanzlern deshalb auf zwei, längstens drei Legislaturperioden begrenzen, damit uns nicht demokratische ErsatzkönigInnen regieren.