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Reinhold Messner über Klima-Aktivisten„Es ist nicht überlegt, was die Jungen machen“

Lesezeit 8 Minuten

Reinhold Messner und seine Frau Diane

  1. Abenteurer Reinhold Messner und seine Frau Diane erzählen im Interview über Liebesglück, das Alter, den Rummel auf dem Mount Everest und warum sie sauer auf Klimaaktivisten sind

Herr Messner, Ihr neues Buch, das Sie mit Ihrer Frau geschrieben haben, heißt „Sinnbilder“. Sie schreiben, dass es wichtig ist, allem, was man tut, einen Sinn zu geben. Welchen Sinn hat Extrembergsteigen?

Reinhold Messner: Weil das Extrembergsteigen so gefährlich und nutzlos ist, muss man ihm einen Sinn geben, sonst ist es nicht machbar. Meine Erfolgsgeschichte als Abenteurer beruht darauf, dass ich im Verzicht auf Technologie und Hilfen von außen meinem Tun Sinn gegeben habe. Es war nie mein Sinn, nur den Gipfel zu erreichen, sondern mit dem geringstmöglichen Aufwand eine schwierige Route zu klettern und heil wieder runterzukommen.

Reicht das als Sinngebung, um sein Leben zu riskieren?

Reinhold Messner: Nein. Die Sinnfrage war – teilweise ist sie es noch immer – in unserer Kultur eine religiöse Frage. Denn bis vor rund 200 Jahren hat die Kirche postuliert, dass der Sinn von oben kommt. Die Päpste hatten das gut eingefädelt. Während meiner Volksschulzeit war der Sinn des Lebens, in den Himmel zu kommen. Und dann kam da so ein junger Bursche daher und fragte: „In welchen Himmel?“ Das war damals eine Revolte in einem Südtiroler Bauerntal! Nicht nur in Tälern Südtirols wäre dieses Aufbegehren noch heute revolutionär.

Es gibt aber auch andere Möglichkeiten als das Bergsteigen, um gegen Bevormundung zu protestieren.

Reinhold Messner: Natürlich. Die Sinnstiftung ist eine ganz individuelle Angelegenheit. Es liegt an mir, welchem Tun ich Sinn einhauche. Die Kirche sagt: Gott hat uns die Seele eingehaucht. Ich habe mir durchs Klettern selber Sinn eingehaucht, eine Protesthaltung gegen jede Bevormundung. Wir Menschen haben das Recht, sogar die Verpflichtung, unserem Tun Sinn zu geben. Dabei spielt es keine Rolle, ob etwas nützlich oder unnütz ist. Das Bergsteigen ist die „Eroberung des Nutzlosen“. Dazu stehe ich. Für mich ist es dennoch das Sinnvollste, was ich machen kann. Beim Bergsteigen erlebe ich gelingendes Leben.

Ist das nicht sehr egozentrisch?

Reinhold Messner: Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass das Extrembergsteigen als egoistische oder sogar egomanische Tat angesehen wird. Wobei ich aus dem, was ich erlebt und erfahren habe, auch Nützliches geschaffen habe. Ich habe in den vergangenen 30 Jahren das erfolgreichste Bergmuseum der Welt mit sechs Häusern auf die Beine gestellt. Dort können Menschen, ohne selbst gefährliche Berge besteigen zu müssen, begreifen, was hinter der Faszination Bergsteigen steckt. Abgesehen davon, schaffen die Museen auch Arbeitsplätze.

In einem dieser Museen haben Sie, Frau Messner, Ihren heutigen Mann kennengelernt. Wie haben Sie sich in einen 35 Jahre älteren Mann verliebt?

Diane Messner: So wie sich jeder andere Mensch auch verliebt.

Welche Rolle spielt der große Altersunterschied in Ihrer Beziehung?

Diane Messner: Wir merken ihn nicht wirklich. Optisch natürlich schon, aber vom Wesen her nicht.

Reinhold Messner: Diane übernimmt ganz andere Aufgaben als ich. Ich verstehe nichts vom Internet, sie ist da total fit, und sie ist eine großartige Organisatorin.

Diane Messner: Ich organisiere wahnsinnig gerne. Es ist nicht so, dass ich mich in diese Rolle gedrängt fühle.

Hatten Sie Angst davor, im Alter allein zu sein?

Reinhold Messner: Nein. Ich war ein dreiviertel Jahr Single, und es gefiel mir. Ich habe gestaunt, wie gut ich das hingekriegt habe: Kochen – oder sagen wir mal lieber, etwas zu essen zu machen –, einkaufen. Ich bin ja früher nie einkaufen gegangen! Aber hätte ich es bis an mein Lebensende machen müssen, hätte ich das wohl auch hingekriegt.

Frau Messner, Sie schreiben in Ihrem Buch, „Unachtsamkeit und Gutgläubigkeit ließen es immer wieder zu, dass sich toxische Menschen in unser Leben und Zusammenleben mischten. Wir gaben ihnen zu viel Raum.“ Wer muss sich bei der Passage angesprochen fühlen?

Diane Messner: Einige Menschen aus unserem unmittelbaren Umfeld und unserer Familie.

Die Ex-Partner?

Diane Messner: Wir haben und hatten keinen Kontakt zu Reinholds Ex-Frau. Zu meinem Ex-Mann haben wir ein entspanntes Verhältnis. Mein Sohn Reto wohnt bei ihm. Aber es gab Menschen aus Reinholds engem Umfeld, die uns unser Zusammensein nicht gönnten.

Ihr Sohn Simon hat einmal gesagt, dass Sie als Vater „streng“ und „abwesend“ waren und dass es nicht leicht war, der Sohn einer Legende zu sein. Macht Sie das traurig?

Reinhold Messner: Was er gesagt hat, stimmt so nicht. Ich bin anfangs mit ihm klettern gegangen, auch wenn ich natürlich auch viel unterwegs war. Vielleicht hat Simon das gesagt, weil er auch gerne eine Karriere, wie ich sie als Politiker und Vortragender gewagt habe, gehabt hätte. Aber das ist nicht passiert.

Nicht erst seit diesem Sommer spüren wir die Auswirkungen der Klimaerwärmung. Rächt die Natur sich für das, was wir ihr angetan haben?

Reinhold Messner: Nein! Die Natur rächt sich nicht. Die Natur ist nur da, sie ist absichtslos. Wir haben Absichten, Fehler können also nur wir machen. Natürlich, die globale Erwärmung ist ein Problem, das darauf zurückzuführen ist, dass der Mensch mit der Aufklärung und der Industrialisierung die Spielräume erhielt, ganz anders zu produzieren und zu gestalten als früher. Er hat die Möglichkeit erhalten, fossile Brennstoffe zu nutzen und ist so innerhalb der vergangenen 200 Jahre reich geworden. Wir leben heute fast alle besser als der König von Frankreich vor 200, 300 Jahren.

Reinhold Messner 1978 auf dem Gipfel des Mount Everest

Müssen wir uns also nichts vorwerfen?

Reinhold Messner: Doch! Natürlich hätten wir früher anfangen sollen, zu korrigieren. Der Club of Rome hat schon früh vorausgesagt: Es wird eng, also schwierig! Aber es gab immer noch billige Energie: Die Bänder liefen, die Industrielle Revolution funktionierte, und so ist der heutige Wohlstand entstanden. Und jetzt kommen junge Leute, die in diesem großartigen Wohlstand großgeworden sind, der erst durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen ermöglicht wurde, und sagen, die Generation vor ihnen war eine verbrecherische! Aber diese paar Generationen haben es doch überhaupt erst ermöglicht, dass die jungen Damen und Herren, die jetzt freitags die Schule schwänzen, protestieren können! Ansonsten müssten sie irgendwo auf dem Acker stehen und Kartoffeln ausgraben!

Richtet sich Ihre Wut gegen Greta Thunberg und Fridays for Future?

Reinhold Messner: Nein, ich meine nicht Greta. Ich meine diese jungen Leute in Summe. Es ist nicht überlegt, was sie machen. Sie sollen die aktuellen Probleme durchaus ansprechen, aber sie sollen bedenken, aus welcher Position heraus sie es tun. Ich lasse mir von dieser Generation nicht nachsagen, dass wir die Erde mutwillig zerstört haben. Es ist so nicht wahr! Die jungen Leute sollten sich auf die Hinterfüße stellen, lernen, Technologien entwickeln und Wissenschaft betreiben, um im letzten Moment noch die notwendigen Korrekturen zu schaffen. Aber Schule zu schwänzen, nützt nachhaltig nicht. Wir müssen die bestehenden Herausforderungen positiv angreifen, nicht negativ. Zur Wahrheit gehört auch: Die Probleme sind nur lösbar, wenn wir alle bereit sind, freiwillig Verzicht zu üben.

Zu den Personen

Reinhold Messner, geboren 1944 in Brixen in Südtirol, ist der berühmteste Alpinist der Welt. Er und Peter Habeler erreichten 1978 als erste Menschen ohne Flaschensauerstoff den 8848 Meter hohen Mount Everest. Der Extrembergsteiger wuchs mit acht Geschwistern auf. Sein jüngerer Bruder Günther starb 1970 beim Abstieg vom 8125 Meter hohen Nanga Parbat, den die Brüder zuvor gemeinsam bestiegen hatten. Messner hat vier erwachsene Kinder. Im Mai 2021 heiratete Messner seine dritte Ehefrau.

Diane Messner, geboren 1980 in Luxemburg, ist gelernte Telekommunikations- und IT-Kauffrau, sie leitet das Unternehmen „Messner Mountain Heritage“. Gemeinsam hat das Ehepaar das Buch „Sinnbilder: Verzicht als Inspiration für ein gelingendes Leben“ (192 Seiten, 22 Euro) geschrieben, das gerade im S. Fischer Verlag erschienen ist. (red)

Wollen Sie jungen Menschen Problembewusstsein und die Bereitschaft zum Verzicht absprechen?

Reinhold Messner: Ich habe mit einigen jungen Leuten gesprochen. Wenn man ihnen sagt: „Schaut’s, ihr könnt das und das nur machen, weil Ihr in diese Welt, in diesen Reichtum hineingeboren worden seid“, stehen sie auf, weinen und gehen. Sie sind nicht bereit, ernstlich darüber zu reden. Unter der heutigen Jugend ist viel mehr Wegwerfgesellschaft, mehr Oberflächlichkeit, Energieverschleuderung als bei der Jugend vor 50 Jahren oder 60 Jahren zu beobachten.

Diane Messner: Auch der digitale Aspekt wird nie diskutiert! Die ganzen Selfies, die ganzen Postings! Das erzeugt CO2 , aber darüber wird nicht gesprochen. Sobald es an das eigene Wohlbefinden geht, sind viele junge Menschen mit Einschränkungen nicht einverstanden.

Auch in den Bergen gibt es Konsum und Overtourism. Sie haben viele für die Berge begeistert. Tragen Sie Verantwortung dafür, dass es dort teilweise wie auf dem Rummel zugeht?

Reinhold Messner: Der Ausdruck Overtourism ist eine Übertreibung. In den Alpen hätten noch mehr Touristen Platz, wenn wir sie vernünftig verteilen würden. Wirklich überlaufen ist es nur dort, wo die Infrastruktur zu breit und zu weit an den Berg herangeführt worden ist. Die Alpentäler können nur mit Tourismus überleben. Nur wenn die Bergbauern, die auch von den Touristen leben, in den Bergen bleiben, bleiben die Alpen eine faszinierende Kulturlandschaft mit Bergen im Hintergrund.

Und was ist mit dem Himalaya? Mittlerweile besteigen jedes Jahr Hunderte den Mount Everest.

Reinhold Messner: Was am Mount Everest passiert, ist schlimm! Man hat den Berg in Seile und Leitern gelegt. Mehr als 100 Sherpas bauen jedes Jahr eine Piste vom Basislager bis zum Gipfel. Das ist richtiger Straßenbau. Am Berg gibt es Sauerstoffzelte, Ärzte und Köche. Und dann können Leute, die in Reisebüros viel Geld dafür bezahlen, den Berg relativ locker besteigen, sie werden auf den Gipfel gebracht. Der Berg ist überlaufen. Diese Kolonnen, die da raufgehen, sind ja Touristen, keine Alpinisten. Sie wollen kein Abenteuer, sie wollen keine Eigenverantwortung, sie wollen den Berg nur in ihrer Vita stehen haben. Sie wollen sagen können: Ich war auf dem Everest.