Das Bürgergeld soll die größte Sozialreform der Ampel werden - und für Arbeitslose in Deutschland vieles besser machen. Doch die Union lehnt das Regelwerk ab. Welche Ausgänge in dieser Woche möglich sind.
Große Sozialreform ohne EinigungDiese drei Szenarien sind beim Bürgergeld möglich
Es steht viel auf dem Spiel, wenn sich die Ampelparteien und die Union am Mittwoch im Vermittlungsausschuss treffen. Für die Bezieherinnen und Bezieher von Hartz-IV geht es inmitten der Inflation um rund 50 Euro mehr im Monat - der Regelsatz von 449 Euro für Alleinstehende soll auf 502 Euro steigen. Es geht auch um eine Reihe von Erleichterungen, was das Vermögen der Langzeitarbeitslosen, ihr Zusatzeinkommen, die Wohnsituation und die Handhabe der Ämter ihnen gegenüber betrifft.
Die Sozialdemokraten wollen sich endlich von der Hartz-IV-Reform verabschieden, die sie jahrelang politisch gelähmt hatte. Der Union wiederum geht es darum, eben dieses System zu bewahren, weil sie darin auch einen Teil des wirtschaftlichen Erfolges der vergangenen 20 Jahre und eine Gerechtigkeitsfrage gegenüber Geringverdienern sieht.
Szenario 1: Keine Einigung
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Die Fronten zwischen Union und SPD sind maximal verhärtet. Man wirft sich gegenseitig Trumpismus vor - also eine ähnlich populistische und rücksichtslose Politik, wie sie der frühere US-Präsident gemacht hat. SPD-Chefin Saskia Esken hatte der Union zuletzt ein „abgründiges Menschenbild“ vorgehalten. Der Zeitplan ist eng: Am Mittwoch muss es eine Einigung geben, damit die Bürgergeld-Reform am Freitag im Bundesrat abgestimmt werden kann.
Die NRW-Stimmen würden für eine Mehrheit reichen
Ob die Reform scheitert, wird auch davon abhängen, ob sich in der CDU eher die Linie der Bundespolitiker oder eher die Linie der unionsgeführten Länder durchsetzt. So verlautet aus NRW beispielsweise, dass man einen Kompromiss wünsche. Die Stimmen von NRW würden für eine Mehrheit im Bundesrat ausreichen. Ein komplettes Scheitern der Bürgergeldreform würde bedeuten, dass die Langzeitarbeitslosen keine Regelsatzerhöhung zum 1. Januar erhalten. Das wäre absurd, da dies eigentlich alle Seiten angesichts der Inflation für notwendig halten.
Szenario 2: Der kleinste gemeinsame Nenner
Wahrscheinlicher erscheint, dass Ampelkoalition und Union am Ende zumindest für die Regelsatzerhöhung sorgen. Die Sozialdemokraten wollen diesen nur kleinsten gemeinsamen Nenner verhindern, weil damit ihre Bürgergeldreform geschreddert wäre. Für die Union ist dieses Szenario ein politischer Faustpfand: „Es geht beim Bürgergeld um eine Richtungsentscheidung. Wenn sich die Richtung der Ampelkoalition nicht ändert, wird ein Kompromiss nicht gelingen“, sagte CDU-Vize-Chef Carsten Linnemann dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Das Prinzip Fördern und Fordern müsse auch beim Bürgergeld erhalten bleiben. Ansonsten werde es seiner Meinung nach keine Einigung geben können.
Ähnlich hatte sich zuvor CDU-Generalsekretär Mario Czaja geäußert: „Wir werden keine billigen Formelkompromisse von der Ampel akzeptieren.“ Zugleich eröffnet Linnemann die kleine Alternative: „Die inflationsbedingte Erhöhung der Regelsätze kann auch bei Scheitern eines Kompromisses zum 1. Januar 2023 umgesetzt werden.“ Auf diese Minimallösung könnten sich Ampelparteien und Union theoretisch auch noch kurz vor Weihnachten einigen.
Szenario 3: Es gibt einen Kompromiss
Wie dieses Szenario im Detail aussieht, ist noch unklar - klar aber ist, dass dafür beide Seiten noch einen großes Stück aufeinander zugehen müssen. Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, appelliert an Union und Ampelparteien, ihre „Spielchen“ zu beenden und das Bürgergeld nach den Plänen der Ampelkoalition umzusetzen. „Eine fehlende Einigung würde vor allem Familien und Kindern schaden“, sagte Hilgers dem RND. Allerdings sitzt die Union mit ihrer Blockademehrheit im Bundestag am längeren Hebel. Das Gesetz wird also nicht so durchgehen, wie es die Ampelkoalition vorsieht.
Die Union fordert insbesondere Nachbesserungen beziehungsweise eine Rückkehr zum alten Prinzip bei Sanktionen, Schonvermögen und Wohnraum. Der Streit reicht weit über die Parteien hinaus tief in die Gesellschaft hinein. Zu den Sanktionen betont der Kinderschutzbund-Präsident: „Die Sanktionen treffen meistens nicht diejenigen, die morgens mit der Bierflasche am Bahnhof sitzen. Am meisten leiden Kinder unter den Sanktionen. Es sollte generell verboten werden, dass Familien mit Kindern finanzielle Sanktionen erhalten.“
Ganz anders sieht das der Landkreistag. Dessen Präsident, Landrat Reinhard Sager (CDU), erklärte: „So sollte es auch in den ersten sechs Monaten möglich sein, den Arbeitslosen verbindliche Mitwirkung abzuverlangen. Auch ist es nicht richtig, dass in den ersten zwei Jahren nicht geprüft werden soll, ob man zu teuer oder zu groß wohnt.“ Das gehe zulasten der arbeitenden Bevölkerung, die über ihre Steuermittel das Bürgergeld finanziere.