Pyrotechnik ist in Fußballstadien omnipräsent. Sanktionen helfen nicht, zu tief verankert ist Feuerwerk in der Ultrakultur. Einen Lösungsansatz aber gibt es.
Feuerwerk in Stadien weit verbreitetHätte genehmigte Pyrotechnik in der Kölner Südkurve eine Chance?
Der Betze brennt. Dutzende Fackeln werden zu Beginn der Pokal-partie gegen den 1. FC Köln in der Kurve hochgehalten, zwischen roten und weißen Fahnen, die geschwenkt werden, blitzt es immer wieder hell auf, die Kurve hüllt sich langsam in Rauch. In Stuttgart sind es die Fans von Union Berlin, die roten Nebel aufsteigen lassen. Einen Tag später schießen die Fans von Eintracht Frankfurt und Hansa Rostock Raketen in den Himmel, und in Saarbrücken wird schon vor der Pokalsensation gegen die Bayern mit Pyro gefeiert.
In etlichen Spielen kam es in dieser Saison zum Einsatz von Pyrotechnik, bei Vereinen aller drei Profiligen, in Auswärtsblocks und Heimkurven, in der Liga und im Pokal. Nebst der zweiten Runde im DFB-Pokal in dieser Woche markierte das vorletzte Wochenende einen Höhepunkt. Von der Kölner Südkurve aus wurden minutenlang Raketen abgeschossen, auf der anderen Seite zündeten die Fans vom Derbygegner Borussia Mönchengladbach. Das Spiel wurde verzögert angepfiffen.
Pyrotechnik Per Fernzünder?
Nur zwei Tage zuvor hatte es in der Nordkurve in Hannover in Rot gebrannt. Rund 500 Kilometer entfernt, in Elversberg, stieg nahezu zeitgleich roter Rauch im Fanblock von Eintracht Braunschweig auf, noch ehe die Braunschweig-Anhängerschaft selbst zündelte. Die Hannover-Fans hatten die Rauchbombe angeblich per Fernzünder gezündet.
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An diesem Sonntag treffen diese beiden Clubs und damit die Fans, die in der letzten Saison die am meisten (Hannover) und siebtmeisten (Braunschweig) Pyro gezündet haben, aufeinander. Ebenfalls in Niedersachsen duellieren sich Wolfsburg und Werder Bremen, die in der laufenden Saison Platz eins (Werder) und zwei (Wolfsburg) belegen.
Dass bei den Derbys gezündelt wird, bezweifelt wohl niemand. „Wir werden es als Gesellschaft nicht schaffen, Pyrotechnik gänzlich aus den Stadien zu verbannen, aber dann muss man dafür sorgen, dass es möglichst so passiert, dass niemand verletzt wird“, sagt auch Fanforscher Jonas Gabler, der für die Kompetenzgruppe fankulturen- und sportbezogene Soziale Arbeit (Kofas) arbeitet, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Geldstrafen für die Vereine haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, immer mehr Fälle von abgebrannter Pyrotechnik wurden erfasst. Allein in der Saison 2022/2023 sanktionierte der DFB 10?144 gezündete Pyrofackeln. Die Vereine wissen schon vor Saisonbeginn, dass sie mit fünf- bis sechsstelligen Summen an Strafzahlungen rechnen müssen.
Für Ultragruppierungen ist Pyrotechnik Teil der Fankultur
Und es wird mehr: Seit 2018/2019 werden gezündete Fackeln vom DFB gezählt. Im ersten Jahr sind 3329 dokumentiert, der Einsatz hat sich in den vergangenen fünf Jahren also mehr als verdreifacht.
Vor allem nach dem Ende der coronabedingten Beschränkungen nahm die Zündelei in den Stadien zu. „Ich vermute, dass es damit zu tun hat, die Wiederkehr in die Stadien zu feiern. Es gibt da offenbar das Bedürfnis, sich jetzt so richtig auszulassen“, sagt Gabler. Dabei sei auch die jahrelang gelebte Praxis, überwiegend bei Auswärtsspielen Pyrotechnik abzubrennen, über Bord geworfen worden.
Auch wenn schon in der Nachkriegszeit erste Fackeln in Stadien abgebrannt worden waren, gab es den großen Aufschwung mit dem Aufkommen der Ultrakultur in den 80er- und 90er-Jahren. In anderen Ländern, etwa Italien, war das Zündeln schon weit verbreitet. Für Ultragruppierungen ist Pyrotechnik längst Teil der Fankultur geworden, ein optisches Stilmittel. Was den Reiz von Pyrotechnik ausmacht – darauf hat keine der sieben vom RND angefragten Gruppen geantwortet. Gabler sieht vor allem zwei Aspekte. Zum einen den des Feuers, des blinkenden Lichtes, das Menschen seit jeher anzieht. „Da entsteht ein Faszinosum, wie bei Kindern, die blinkende Schuhe toll finden.“ Andererseits wäre da noch geringer Aufwand bei hohem Ertrag. „Mit zehn, 15, 20 Fackeln kann man ein Bild erzeugen, das die ganze Kurve einnimmt“, so Gabler. Um mit Fähnchen und Plakaten eine ähnlich großflächige Choreografie darzubieten, benötigt es mehr Ressourcen, Geld und Koordination.
Die Erfahrungen zeigen: Besondere Choreografien, spektakuläre Pyroshows und spezielle Darbietungen animieren auch die Fanszenen anderer Vereine, noch kreativer zu werden. „Die Ultrakultur war immer auch ein Wettbewerb der Kurven, parallel zu dem Spiel auf dem Platz“, sagt Gabler. So schaukelt sich das Ganze hoch. Inzwischen gibt es Instagram-Kanäle mit mehreren Zehntausend Followern, in denen die besten Choreografien der Spieltage gefeiert werden.
Dabei ist der Einsatz von Pyrotechnik im Stadion verboten. Ultragruppierungen lassen sich jede Woche etwas Neues einfallen, um die Leucht- und Rauchmittel ins Stadion zu schmuggeln. Aussteiger berichteten von Sicherheits- und Cateringpersonal, das bestochen wird und die Produkte etwa in Spülkästen auf den Toiletten versteckt, davon, wie Pyro über den Zaun auf Stadiongelände geworfen wird oder wo am Körper es versteckt werden kann, um beim Abtasten nicht gefunden zu werden.
Schauen die Vereine beim Schmuggeln weg, um es sich nicht mit den Ultras in den eigenen Reihen zu verscherzen?
Der HSV, berichtet der Leiter Fankultur, Cornelius Göbel, gibt es nicht nur Personenkontrollen an Spieltagen, sondern je nach Brisanz der Partie auch Stadiondurchsuchungen und Einsätze von auf Pyrotechnik spezialisierten Spürhunden. Trotzdem werde kaum etwas gefunden.
Für Fanforscher Gabler steht der Aufwand oft nicht im Verhältnis. „Die Sicherung des Stadions mit den Mitteln, mit denen beispielsweise ein Flughafen gesichert wird, das wäre finanziell nicht stemmbar.“ Die Strafzahlungen seien im Endeffekt günstiger als die Aufrüstung an und vor Spieltagen.
Suche nach dem Kompromiss
Von der Utopie, durch Bestrafungen zu pyrotechnikfreien Kurven zu gelangen, haben sich die Vereine längst verabschiedet. Deshalb wird nun überlegt, wie der Einsatz legalisiert werden könnte – um einen Kompromiss zwischen der gelebten Fankultur der Ultras und der Sicherheit des sonstigen Publikums zu finden, denn immer wieder werden Unbeteiligte verletzt. Ideen werden in anderen Ländern bereits getestet. In Norwegen ist der Einsatz von Bengalos nach vorheriger Genehmigung vor Spielbeginn seit dem Jahr 2005 erlaubt. In Dänemark testet Brøndby IF sogenannte kalte Pyrotechnik (die mit 200 Grad immer noch recht heiß ist), in Orlando City in der US-amerikanischen MLS gibt es sogar einen eigenen Bereich, in dem gezündelt werden darf. Hierzulande hingegen werden von Politikern bisweilen gar Haftstrafen gefordert.
Unrealistisch sei es zu glauben, dass der Einsatz von Pyrotechnik wie aktuell legalisiert würde, sagt Fanforscher Gabler. Aber: „Ich halte Kompromisse und den legalen Einsatz für realistisch, weil es in anderen europäischen Ländern auch möglich ist.“ Die Entwicklung ist eindeutig: Immer mehr Vereinsspitzen, zuletzt von Bremen, Stuttgart und St. Pauli, sprechen sich dafür aus, legale Wege zu finden.
Einer dieser Vereine ist auch Zweitligist HSV. Der begann im Frühjahr 2020 mit einem Pilotprojekt. Beim Heimspiel gegen den Karlsruher SC wurden im Rahmen einer Choreografie vor der Nordkurve zehn Rauchtöpfe gezündet, die die Kurve in Weiß und Blau erscheinen ließen. Ganz legal. Die Kosten für den Pyrotechniker, die Zertifizierung und das Material, habe, so Göbel, der Verein übernommen. Noch in dieser Saison will der HSV einen zweiten Versuch wagen – die Erfahrungen seien bislang gut gewesen. In einer Umfrage unter 5000 Dauerkarteninhabern befürworteten über 90 Prozent diesen kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik. Auch Ultragruppen anderer Vereine meldeten sich beim HSV und fragten nach dem Vorgehen bei der Aktion.
DFB zeigt sich kooperativ und verweist auf Gefahren von Pyrotechnik
Der DFB, der immer wieder auf die Gefahren von Pyrotechnik verweist, wird den neuerlichen HSV-Vorstoß wohl nicht blockieren. Er stellt klar, „dass eine Befreiung für den Veranstalter erteilt werden kann, in begründeten Ausnahmefällen unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten“. Dem HSV, so Göbel, sei signalisiert worden, dass der DFB kooperativ ist, wenn die Sicherheitsbehörden in Hamburg den Einsatz genehmigen.
Doch ersetzen genehmigte Einsätze tatsächlich die Pyroshows in den Kurven?
Nein, glaubt Göbel. „Das wäre illusorisch und auch die falsche Erwartungshaltung, zu glauben, dass es direkte Auswirkungen auf den grundsätzlichen Einsatz von Pyrotechnik hat, weil wir einen Pilotversuch durchgeführt haben.“ Zehn Rauchtöpfe, das weiß auch der HSV-Direktor, würden „wahrscheinlich nicht die Maßstäbe der Ultras bedienen“. Für Fanforscher Gabler ist es dennoch ein wichtiger Schritt, „weil ich glaube, dass es in Richtung der Ultras signalisiert, dass man ihr Interesse ernst nimmt und ins Gespräch über den Gebrauch von Pyrotechnik kommt“. Und diese Unterhaltungen sind notwendig. Bereits vor etwa zehn Jahren setzte sich die Ultraszene mit der Thematik auseinander. 56 Gruppen gründeten die Initiative „Pyrotechnik legalisieren“ und einigten sich auf einen Kodex. Der wichtigste Aspekt: Pyrotechnik muss in der Hand oder auf dem Boden gehalten und darf nicht geschossen oder geworfen werden.
Pyrotechnik ist auch eine Art der Randale
Durchgesetzt hat sich das indes nicht, wie zuletzt in Köln, bei Frankfurt und Rostock zu sehen war, als etliche Raketen in den Himmel geschossen wurden. „Ich nehme in den letzten drei bis fünf Jahren wahr, dass der Einsatz von Raketen verbreitet genutzt wird“, sagt auch Gabler. Das ist in der Szene umstritten: Fans außerhalb der Ultragruppen hätten eher Verständnis und Sympathie für gefährdungsvermeidenden Gebrauch.
Denn Pyrotechnik, auch darüber muss Konsens herrschen, ist nicht nur Stilmittel und Ausdruck von Fankultur. „Es gibt auch das Element Pyrotechnik als Waffe und als Mittel des Protests, etwa um die Unzufriedenheit gegen die Mannschaft, gegen die Vereinsführung auszudrücken“, sagt Gabler. Diese Art der Randale lässt sich über mögliche legale Projekte nicht auffangen. Und sie ist in der Debatte um die Legalisierung kontraproduktiv.