Herr Schulz, der 1. FC Köln hat von einem Engagement in China Abstand genommen. Mitgliederrats-Chef Stefan Müller-Römer erklärte das damit, dass in China ein totalitärer Überwachungsstaat aufgebaut werde und der Verein eine brutale Diktatur nicht unterstützen dürfe. Hat er Recht?
Martin Schulz: Dass China eine Diktatur und ein totaler Überwachungsstaat ist, trifft zu. Ob man die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen aber durch den Ausstieg des 1. FC Köln aus einer Sportkooperation beenden kann, bezweifle ich sehr stark.
Sie haben aus ihrer Zeit als EU-Parlamentspräsident und SPD-Chef gute Kontakte nach China und sollen dem FC auch bei dem Projekt einer Jugend-Akademie in Shenyang geholfen haben...
Ich habe den FC nicht beraten, aber ich kenne den Vorgang aus meinen früheren politischen Tätigkeiten. Die Vereinbarungen zwischen Angela Merkel und Xi Jinping über eine intensivere Sport- und Fußballkooperation waren auf deutscher Seite von der Idee inspiriert, dass Sportprojekte aus demokratischen Ländern immer auch zur Verbesserung der Lage der Menschen in Diktaturen führen. Ich habe diese Idee immer unterstützt.
Was halten Sie denn nun vom Rückzug des 1. FC Köln?
Ich finde die idealistische Haltung ehrenwert, aber Sport und Politik sind zwei verschiedene Dimensionen. China ist ökonomisch und politisch eine Weltmacht. China zu motivieren, Menschenrechte sowie soziale und ökologische Standards stärker zu respektieren, ist eine Aufgabe der Europäischen Union.
Kontakt nach China
Martin Schulz war bis Anfang Oktober Beiratsmitglied des 1. FC Köln. Im Herbst 2018 stellte er den Kontakt zu Pharma-Milliardär Yuhui Shu her, dem damaligen Boss des Klubs Tianjin Quanjian, um Stürmer Anthony Modeste aus China zurück nach Köln zu holen. Schulz begleitete FC-Geschäftsführer Wehrle zum Gespräch nach Tianjin. (ksta)
Nur ein Beispiel: Wenn chinesische Waren nach Europa kommen sollen, kann die EU sehr wohl politische Bedingungen aussprechen. Der Rückzug des FC aus einer Sportkooperation aber wird die Chinesen nicht beeindrucken.
Vergibt der FC sportlich wie wirtschaftlich Chancen dadurch, dass er die Kooperation auf Eis legt?
Ich halte es vom Grundsatz her für falsch, Politik auf die Vereinsebene zu ziehen. Man muss noch mal den Blick zurück richten: Der 1. FC Köln ist wegen seiner vorbildlichen Jugendarbeit in die Liste der Vereine für Projekte in China aufgenommen worden. Statt das Augenmerk darauf zu lenken, wird jetzt eine politische Debatte geführt, bei der ich nicht sehen kann, wie sie dem FC nutzt. Es ist klar, dass nun andere Vereine wie Bayern, Dortmund oder Gladbach die Lücke schließen werden.
Sie finden den Schachzug also nicht sehr gelungen?
Wenn man einseitig aussteigt, wäre es angeraten, sich mit den anderen beteiligten Klubs vorher abzustimmen. Das ist offensichtlich nicht geschehen. Meine Erfahrung lehrt mich: Ein solch ruckartiges Ausscheren aus langfristigen Vereinbarungen führt zu einem Vertrauensverlust, der nur schwer reparabel ist. Es ist ja bekannt, dass das Projekt auch ein interessantes Joint Venture mit BMW war. Man kann nur hoffen, dass dem Verein kein strategischer und finanzieller Nachteil erwächst.
Wenn man der Logik von Herrn Müller-Römer folgt: Müsste dann, zugespitzt gesagt, die Stadt Köln nicht auch ihre Partnerschaft mit Peking aufkündigen?
Das ist ja das Bizarre daran. Gerade die Städtepartnerschaft zwischen Köln und Peking führt zu riesigen positiven Einflussmöglichkeiten. Im Umgang mit China muss das Prinzip „Wandel durch Annäherung“ gelten. Das war das Motto der erfolgreichsten Phase der deutschen Außenpolitik in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
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Der Grundsatz von Willy Brandt, immerhin Friedensnobelpreisträger, lautete: Je näher die Demokratie der Diktatur kommt, desto gefährlicher wird es für die
Diktatur. Deshalb ist es sehr, sehr vernünftig, in einen Austausch über Städte-, Schüler- Kultur-, Wissenschafts- oder Sportpartnerschaften zu investieren.
Was sagt das Vorgehen der Vereinsspitze eigentlich über das Machtgefüge des 1.FC Köln aus?
Ich habe in die inneren Strukturen des 1. FC Köln keinen Einblick. Die Distanzierung der Vereinsführung von der Äußerung des Herrn Müller-Römer zeigt aber, dass es unterschiedliche Strömungen im Verein gibt.