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FC-Ur-Ultras„Es war eine intensive Zeit, in der wir Einfluss auf die Kurve hatten“

Lesezeit 8 Minuten
Ultras CCAA 3

Bulldogge, Papptafeln,  Rauch:  Alte Collagen zeigen  die Ultras  in Aktion.

  1. Jan van der Velden aus Nettetal gründete mit anderen FC-Fans Mitte der 90er Jahre die „Ultras CCAA“ – die erste Ultragruppierung Kölns.
  2. Auch heute ist ihr Einfluss noch deutlich zu spüren.
  3. Ein Gespräch über die Liebe zum Verein und die (O-Ton van der Velden) „radikaleren" Nachfolgevereinigungen wie die „Wilde Horde“ oder die „Coloniacs“.

Wie sie anfing für ihn, die Sache mit dem 1. FC Köln, das kann Jan van der Velden ganz genau sagen: „Mein erstes Spiel war am 18. März 1986 gegen Sporting Lissabon. Uefa-Pokal. 2:0.“ Drei knappe Sätze, die alle für Fußballfans maßgeblichen Informationen enthalten. So weit, so gut so normal. Indes: Jan van der Veldens Fan-Vita ist dann doch ein wenig spektakulärer als das übliche Konstrukt aus „Erstes Spiel, Dauerkarte, lebenslänglich FC“. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass der 40-Jährige aus Nettetal kommt. Einer Stadt am Niederrhein, über die er sagt: „Es ist schon etwas ungewöhnlich, wenn man dort FC-Fan wird, denn die meisten halten es bei uns mit Borussia Mönchengladbach.“ Was so viel heißt wie: Schlimmer geht es nicht. Aber vor allem liegt es daran, dass van der Velden Mitbegründer der „Ultras CCAA“ und bis heute deren Vorsitzender ist.

Die Truppe war die erste Ultra-Gruppe in der Fankurve des FC – was heutzutage viele, die beispielsweise nur die „Wilde Horde“ oder die „Coloniacs“ kennen, nicht mehr wissen. Zudem waren die „Ultras CCAA“ eine der ersten Ultragruppen überhaupt in Deutschland. Und auch wenn ihre Aktivitäten schon länger ruhen, kann man sagen: Jan van der Velden ist fußballerischer Entwicklungshelfer.

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Jan van der Velden jüngst nach dem FC-Aufstieg  in Fürth. 

Natürlich habe auch er als Jugendlicher, nachdem er in den ersten Jahren stets mit seinem Vater, Kölner im Herzen, ins Müngersdorfer Stadion gefahren war, in der Südkurve gestanden. Wie es sich eben gehörte. Und das sei auch zweifelsohne spannend gewesen. Indes: Dann habe sich sein Blick im Stadion einmal nach oben gerichtet. Aus Block 19, Unterrang, Stehplatz, hinauf in den Block 24, Oberrang, Sitzplatz. Weil sich da plötzlich etwas getan habe. Und wenn sich irgendwo etwas tut, dann ist man als Jugendlicher ja sofort dabei.

„Diese Leute wollten jene neue Art des Supports etablieren, die sie im Ausland erlebten.“

Was damals passierte, war dies: Ein paar Fans hatten eine so genannte „Singing Area“ eingerichtet, um auch abseits der Stehplätze für Stimmung zu sorgen. Mit neuen Liedern. Liedern, die auch mal unabhängig vom Spielverlauf und dauerhaft angestimmt wurden. „Ich bin dann mit meinem Freund Janosch hochgegangen, um mir das mal anzuschauen – und war auf einmal mittendrin“, erinnert sich Jan van der Velden. Mittendrin in einem etwa 20-köpfigen „losen Haufen aus ganz unterschiedlichen Leuten“.

Da seien neben normalen Fans auch Allesfahrer gewesen, die zu jedem Spiel fuhren. Egal wann. Egal wo. Und: Groundhopper. Vor allem Groundhopper. Stadionsammler also, die – wenn nicht gerade der FC spielte – bei selbst auferlegten Fußballstudienreisen quer durch Europa tingelten, um neue Stadien und Fankulturen kennenzulernen. „Diese Leute wollten jene neue Art des Supports etablieren, die sie im Ausland erlebten.“ Und Jan van der Velden gehörte von jetzt auf gleich dazu.

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„Ich bin recht schnell dort hineingewachsen und irgendwann dann der Ansprechpartner des eingetragenen Fanklubs geworden“, erinnert er sich. Eines Fanklubs, für dessen Namen die Bezeichnung der römischen Kolonie „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“, aus der später die Stadt Köln hervorging, ausgesucht wurde. „Aufgabe war es, quasi als Mittler zwischen Fanclub und Verein und zu anderen Fanclubs zu agieren.“ Und Jan van der Velden tat das nach eigenen Worten schlichtweg „weil ich sehr aktiv war, am Wochenende viel Zeit aufbringen konnte und eben ein Alter erreicht hatte, in dem ich meine Eltern nicht mehr großartig um Erlaubnis fragen musste, wenn ich samstags mal nach Bremen fuhr.“

Die Verhältnisse verschoben sich – damals, „irgendwann Mitte der 90er Jahre“. So genau wisse er das nicht mehr, es existiere nämlich kein Gründungsdatum, sagt Jan van der Velden. Was er aber weiß: Auf den Stehtrassen im Unterrang standen nach wie vor die klassischen Fans in Kutte und schwenkten ihre Fahnen und riefen ihr sattsam bekanntes „Effzeh, Effzeh, Effzeh!“ Eine Etage darüber, im Oberrang, trugen sie ihre eigenen „CCAA“-Shirts und „CCAA“-Schals, hielten Doppelhalter mit Fanclub-Logos, Comicfiguren oder „Forza!“- und „Allez!“-Schriftzügen in die Höhe, trafen sich Stunden vor einem Heimspiel und legten für Choreografien Luftballons und Papptafeln aus, sangen Lieder, die aus Italien, Spanien, Frankreich, England übernommen worden waren. Und garnierten das Ganze auch mal mit einem Topf Rauchpulver. „Das gehörte dazu.“

Das alles entwickelte sich in einer Windeseile. Van der Velden betont, dass man die damaligen Ultras natürlich kaum mit denen von heute vergleichen könne. Zum einen seien jene Aufgaben, die die Anführer von Fanclubs wie beispielsweise der „Wilden Horde“ mittlerweile zu erfüllen hätten, „wesentlich komplexer“. „Das sind ja viel größere Gruppen in einer ganz anderen Umgebung. Früher waren oftmals nur ein paar Hundert Fans bei Auswärtsspielen mit dabei. Heute sind es Tausende.“ Vor allem aber gehe es heutzutage in der Ultrakultur auch um Vereinspolitik und Gesellschaftskritik. Um Fragen der Kommerzialisierung des Fußballsports. Um Kritik an Polizeieinsätzen. Um Konflikte mit Vereinsgremien. „Das war damals alles noch kein Thema.“

Im Gegenteil: Es gab keine „Vorstand raus“-Banner. Keine Fan-unfreundlichen Anstoßzeiten. Keine wilden Polizeieinsätze. Beim Zünden von Rauchpulver in der Kölner Kurve habe der Fanbeauftragte „kurz böse geguckt – das war’s.“ Und: „Im Fanshop gab es die Wahl zwischen Trikot, zwei Schals, einer Fahne und einer Stadion-Mütze.“ Zudem seien er und andere Ultras im Gegensatz zur heutigen Szene noch relativ eng mit dem Verein verbandelt und für das Fanprojekt oder das Fanzine „Kölsch Live“ tätig gewesen. „Es gab sogar Unterstützung vom Verein. Ich erinnere mich noch an den Brief des damaligen Geschäftsführers Wolfgang Loos, der uns dankte, dass wir uns mit einem Doppeldeckerbus zum UI-Cup-Spiel ins irische Cork aufgemacht hatten und der uns im Namen des Vereins die 18 Pfund für die Eintrittskarte erstattete.“ So etwas sei heute undenkbar.

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Insofern habe das Wort „Ultra“ für ihn damals auch eine völlig andere, unpolitische Bedeutung gehabt. „Es bedeutete für uns ganz einfach, kreativer zu sein. Die optische Unterstützung zu steigern. Überall hinzufahren. Eben mehr Zeit für den Verein zu investieren als andere Fans.“ Weil die Masse in der Kurve noch weit von der heutigen Anzahl entfernt gewesen sei, habe man so auch als zwar kleine, aber engagierte Gruppe großen Einfluss nehmen können.

Und das hätten irgendwann auch jene jüngeren Fans bemerkt, die kurze Zeit später, 1996, die erste Generation der „Wilden Horde“ gründeten. „Diese Ultras waren zahlenmäßig mehr. Und sie waren radikaler – was ich nicht negativ meine. Vielmehr wollten sie einen noch intensiveren Support betreiben“, sagt Jan van der Velden. Doch auch wenn die „Wilde Horde“ den „Ultras CCAA“ recht schnell den Rang abgelaufen und die Kurve für sich „erobert“ habe, stehe fest: „Ihre führenden Köpfe berufen sich bis heute auf uns als diejenigen, die sie damals beeinflussten.“ Das belegt nicht zuletzt ein aktuelles Internetvideo, in dem der heutige „Wilde Horde“-Capo zur Ultrakultur im Umfeld des FC interviewt wird. „Ich finde es schön, dass das nicht vergessen wird.“

Ende der 90er Jahre hätten sich die Mitglieder der „Ultras CCAA“ auf verschiedene Stadionbereiche aufgeteilt. Wegen Studium, Beruf oder der Familie blieb nicht mehr so viel Zeit für regelmäßige Fußballfahrten. Man verlor sich aus den Augen. Jedoch: „Offiziell aufgelöst wurden die »Ultras CCAA« nie. Im Fanclubregister sind wir nach wie vor zu finden“, sagt Jan van der Velden. „Es war eine kurze, aber intensive Zeit, in der wir Einfluss auf die Kurve hatten und andere Fans prägten.“ Und: Nach wie vor ist bei Spielen des FC die „CCAA“-Zaunfahne zu sehen – nach Aussage ihres Besitzers wohl eine der ältesten Flaggen in der Kölner Fanszene.

Die heutigen Ultragruppierungen, von denen viele ab 2000 aus dem Boden schossen, würde es zwar wohl auch ohne ihn und seine Kumpels geben, ist Jan van der Velden überzeugt. „Aber ich denke, wir haben diesen Prozess beschleunigt.“ Für Köln. Und vielleicht auch für Deutschland. Denn: „Außer dem »Commando Cannstatt« in Stuttgart oder einzelnen Gruppen in Frankfurt gab es damals kaum Vergleichbares.“

Was bleibe, das seien die Erinnerungen an die „vielen, vielen“ Höhepunkte dieser Zeit. Jan van der Velden nennt die Fahrten im UI-Cup nach Cork und Montpellier „mit einer Handvoll Fans, die dann Stimmung gemacht haben“. Aber vor allem: „Das Spiel 1997 daheim gegen Leverkusen, als wir Bayer mit 4:0 die Meisterschaft versauten – und bei dem es die erste große Choreografie überhaupt in Köln zu sehen gab.“ Das damals in der Südkurve aufgehängte Plakat mit der Aufschrift „Bayer 04 – so viel Geld und niemals Meister“, gemalt vom späteren Stadion-DJ, ist noch immer legendär.

Und Jan van der Velden – der heute bei der Stadt Nettetal arbeitet, eine Familie mit Kindern hat und zuletzt den FC-Aufstieg in Fürth feierte, mit seiner alten „CCAA“-Flagge natürlich, klingt nicht nur wie ein nach wie vor begeisterter Fan, wenn er das sagt. Er klingt wie ein Fan, der weiß, dass er mit seinen Freunden Spuren hinterlassen hat in der Szene. Was mehr wert ist als jeder nach Jahrzehnten des Misserfolges noch so sehnlich herbeigewünschte Titel.