Leverkusen – Hannes Wolf hat mit seinen fast 40 Jahren schon einige Erfahrungen im Profi-Fußball gemacht als Spieler, Spielertrainer, Zweitliga-Trainer, Erstliga-Trainer, Auswahltrainer in Deutschland und Belgien. Aber er hat noch nie Spieler wie diese nebeneinander auf die Bank gesetzt: Leon Bailey, Moussa Diaby, Patrik Schick, Florian Wirtz, dazu Jeremie Frimpong und Demairai Gray. Je nach Art der Hochrechnung befanden sich beim Spielbeginn gegen Schalke 04 am Karsamstag zwischen 150 und 200 Millionen Euro Transferwert auf der Bank von Bayer 04 Leverkusen.
Weil am Ende ein mühsam erkämpfter 2:1-Sieg gegen den so gut wie abgestiegenen Tabellenletzten stand, hatte das seine Berechtigung. „Der Kader ist so hervorragend besetzt, dass es fast egal ist, mit wem wir das Spiel beginnen und mit wem wir dann frische Kraft von der Bank bringen“, sagte Wolf nachher schmunzelnd. Der Satz hat nur deshalb seine Berechtigung, weil es in den Wochen bis Saisonschluss alleine um Ergebnisse geht. Das erste von acht hat der ehemalige Trainer des VfB Stuttgart und Hamburger SV dem Werksklub geliefert.
Fußball-Philosophie steht nach mehr als zwei Jahren bedingungsloser Offensivschule unter Peter Bosz erst einmal nicht mehr auf dem Lehrplan. Wolf hat bis auf weiteres nur einen Auftrag: Spiele gewinnen, Punkte sammeln, Platz sechs absichern und dann mal schauen. Rudi Völler, der 2022 scheidende Geschäftsführer, hat das im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF noch einmal klar gemacht und versichert, dass der vorerst vom DFB ausgeliehene Interimstrainer durchaus die Chance habe, sich für eine Tätigkeit über den Sommer hinaus zu empfehlen. Sein aktuell ruhender Job als U-18-Bundestrainer würde das nicht verhindern. Aber erst müssen Ergebnisse geliefert werden.
Deshalb hatten Wolf und sein Team um die Assistenten Peter Hermann (69) und Miguel Moreira (38) drei Innenverteidiger mit zwei defensiven Mittelfeldspielern davor auf den Platz gestellt und alles der Sicherheit untergeordnet, damit der Gegner nicht wie zuletzt mit seinem ersten Torschuss zum 1:0 und seinem zweiten zum 2:0 kommen würde.
Gegen die tabellarisch mit Abstand schlechteste Mannschaft der Liga funktioniert das zum Preis verminderter Offensivwucht einigermaßen gut, was wie ein geglückter Plan aussah, weil Lucas Alario nach schöner Vorarbeit von Kerem Demirbay gleich die erste Chance zum 1:0 verwandelte und Patrik Schick die insgesamt dritte weit in der zweiten Halbzeit zum 2:0. Das verhinderte allerdings nicht, dass Bayer 04 nach dem schönen Anschlusstor des 37-Jährigen Klaas-Jan Huntelaar noch ziemlich um den Sieg bangen musste.
Fußballerisch hatte das alles mit dem Anspruch, den Bayer 04 rund um seinen teuren Kader formuliert, nicht sehr viel zu tun; mehr schon mit der Wiederherstellung von Stabilität, die dem Tabellenführer des zwölften Spieltages in der Rückrunde komplett verloren gegangen war. „Dafür war der Sieg sehr wichtig“, sagt Sportdirektor Simon Rolfes, der Hannes Wolf noch auf dem Platz zu diesem Erfolg gratulierte. „Wir warten ab, wie die nächsten Wochen laufen. Wie die Spieler das annehmen, wie gearbeitet wird“, sagte Rudi Völler. „Dann schauen wir mal. Wir haben ihn geholt, weil wir an den Jungen glauben.“
Schritt zwei soll in Hoffenheim erfolgen. Auch hier kommt Wolf, der die Länderspielpause dazu nutzen konnte, um einen Großteil des Kaders kennenzulernen, der Spielplan entgegen. Die Partie in Sinsheim findet erst am Montagabend statt. Zwei Tage mehr, um an den Stellschrauben zu drehen, die bei Bayer 04 Wagenradgröße haben. Die Partie gegen gut organisierte Schalker zeigte: Wenn Gegentore vermieden werden, kann sich Wolf auf die individuelle Qualität seiner Offensive verlassen. Wer verfügt schon über den Luxus zweier zuverlässig liefernder Mittelstürmer, eines mit Talent vollgepackten Mittelfeldes und Außenspielern wie Moussa Diaby und Leon Bailey? „Offensiv geht das alles natürlich noch etwas flüssiger“, sagte Wolf, der zwei deutliche Rückmeldungen von der Mannschaft bekam. Erstens: Mit der Doppel-Sechs, die Peter Bosz vermied, ist sie generell stabiler. Zweitens: Mit Florian Wirtz, der aufgrund seiner Berufung in den DFB-Kader erst spät zum Team stieß, ist sie unberechenbarer und gefährlicher.