Bayer Leverkusen gewinnt erneut in der letzten Spielminute, das Team bleibt im Flow und ist bereit für das Topspiel gegen den Rekordmeister.
„Unser Kopf ist im Moment sehr stark“Bayer 04 ist so bereit für den FC Bayern wie nie zuvor
Jonathan Tah setzt sein breitestes Grinsen auf, dann erzählt er von den Gedanken, die er in dem Moment wahrnahm, als die perfekte Flanke von Florian Wirtz auf seinen Kopf zusegelte: „Ich wollte den Ball unbedingt haben – und als er dann auf mich zukam, dachte ich nur: Ich mache den jetzt rein, mit voller Überzeugung, egal wie.“ Tah (27) wählte einen wuchtigen Kopfball-Aufsetzer ins kurze Eck, unhaltbar für Stuttgarts Torhüter Alexander Nübel.
Es war das fulminante Ende in der letzten Minute eines herausragenden Fußballspiels im DFB-Pokal-Viertelfinale. Bayer 04 Leverkusen hatte einen mit Herz kämpfenden und mit Kopf spielenden VfB Stuttgart mit 3:2 niedergerungen – nach zweimaligem Rückstand. Es war im fünften Pflichtspiel 2024 der vierte Sieg, drei holte die Werkself durch Tore in der letzten Minute oder der Nachspielzeit. In einer Saison, in der alles dafür spricht, dass Leverkusen nach mehr als 30 Jahren den Durst nach Titeln endlich stillen kann, war dieser Dienstagabend ein ganz wichtiger Schritt auf vielen Ebenen.
Am Offensichtlichsten ist die Bedeutung beim Blick auf die verbleibenden Gegner im DFB-Pokal-Halbfinale. Neben dem Bundesliga-Tabellenführer, der nun unfassbare 30 Pflichtspiele ungeschlagen ist, haben sich die beiden Zweitligisten Fortuna Düsseldorf und der 1. FC Kaiserslautern qualifiziert. Hinzu kommen entweder Bundesligakonkurrent Borussia Mönchengladbach oder Drittligist 1. FC Saarbrücken (Spiel war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet). Aus der Favoritenrolle im Pokal kommt Bayer 04 nicht mehr heraus. Auch, wenn alle Protagonisten darum bemüht waren, diese Rolle nicht offiziell anzuerkennen. Robert Andrich machte dennoch klar: „Wir wollen nach Berlin und wir wollen den Titel.“
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Halbfinale im DFB-Pokal im April
Das Halbfinale findet am 2. und 3. April statt, die Begegnungen werden am kommenden, späten Samstagabend im Rahmen des „Aktuellen Sportstudios“ im ZDF ausgelost. „Das Halbfinale ist erst Anfang April. Bis dahin haben wir genug Zeit, uns auf die Bundesliga und die Europa League zu fokussieren“, sagte Bayer-Trainer Xabi Alonso. Der sonst so besonnen auftretende Spanier hatte nach Tahs Treffer in der Schlussminute seinen Emotionen freien Lauf gelassen, sprang herum, umarmte und drückte, wer ihm gerade in den Weg lief. „Ich musste einfach mal alles rauslassen“, sagte er. „Nach einem Spiel wie heute ist mein Kopf auch ein bisschen leer. Aber ab morgen geben wir wieder Vollgas.“
Klar, denn am Samstag steht ja der nächste Höhepunkt an – ziemlich sicher sogar der Höhepunkt der bisherigen Saison: das Duell mit dem zwei Punkte entfernten Verfolger FC Bayern München. „Manchmal ist der Kopf wichtiger als die Beine. Und unser Kopf ist im Moment sehr stark“, sagte Alonso mit Blick auf das Topspiel (18.30 Uhr/Sky) in der Bay-Arena: „Ich freue mich, dass wir das Herz und die Seele haben, es bis zum letzten Moment zu versuchen. Dass wir auch in schwierigen Momenten gute Mentalität haben.“
In dieser Hinsicht kann Leverkusen sehr viel aus der Partie gegen Stuttgart mitnehmen. Eine Verlängerung vermieden zu haben – so gaben alle Bayer-Profis an – sei schon enorm wichtig gewesen für die Beine am Samstag. „Wir haben genug Kraft in der Mannschaft“, sagte Tah. „Das sind Wochen und Momente, da muss man gut essen, gut schlafen, regenerieren, sich auf die Spiele fokussieren – und dann klappt das schon.“ Den Glauben an sich und die eigenen Stärken haben die 90 Minuten gegen den VfB sicher noch einmal intensiviert.
Die selbst mit reichlich Selbstbewusstsein ausgestatteten Schwaben trauten sich in Leverkusen etwas, dass die vergangenen Kontrahenten (inklusive Dortmund) gegen die so ballsichere und gut positionierte Werkself als nicht machbar erachtet hatten: Sie spielten Mann-gegen-Mann-Pressing über den gesamten Platz. „Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft, sie hat das erreicht, was wir vorhatten. Sie hat die Leverkusener Spieler zum Nachdenken gebracht“, sagte VfB-Coach Sebastian Hoeneß. In der Tat brauchte die Werkself mehr als eine halbe Stunde, um zu Torchancen zu kommen.
Robert Andrich spricht über Xabi Alonso
Nachdem es mit einem 0:1 in die Kabinen ging, wurde mit Spannung erwartet, was sich im zweiten Durchgang auf Seiten von Bayer 04 ändern würde. Andrich erklärte, was in der Pause passierte: „Der Trainer hat gesagt, dass wir uns nicht verrückt machen sollen. Er hat gesagt, dass wir nicht in fünf Minuten die Welt erobern müssen. Sondern dass wir 45 Minuten Zeit haben für ein 1:1.“ Am Ende ging es deutlich schneller, doch die Gäste gingen kurz darauf erneut in Führung. Dass es Bayer 04 dennoch gelang – angeführt von Unterschiedsspieler Florian Wirtz – das Spiel in der 90. Minute noch auf 3:2 zu drehen, wird das ohnehin sehr stabile Team noch gefestigter werden lassen. „Wir sollten daraus, wie die Saison bisher gelaufen ist, eigentlich schon genug Stärke ziehen“, sagte Andrich. „Aber so ein emotionaler Mentalitäts-Sieg gibt sicher nochmal zusätzlichen Anschub. Deshalb freuen wir uns alle auf ein geiles Spiel. Wir sind heiß.“
Die Lage vor dem Duell mit den vermeintlich angeschlagenen Bayern ist klar: Im Optimalfall distanziert Leverkusen den Meisterschaftsrivalen 13 Spieltage vor Saisonende auf fünf Punkte. Im schlechtesten Fall wechselt die Tabellenführung und man selbst ist einen Zähler im Hintertreffen. Alonso, der von 2014 bis 2017 das Bayern-Trikot trug, warnte vor der „besten deutschen Mannschaft, bei der das Gewinnen in der DNA liegt“.
Doch auch, wenn der Meister der vergangenen elf Jahre nur zwei Punkte hinter Leverkusen liegt, rumort es seit Wochen in und um den Münchner Klub. Aktuell umtreiben Trainer Thomas Tuchel auch noch Verletzungssorgen. Auch am Mittwoch fehlte Torhüter Manuel Neuer mit „leichten Knieproblemen“ im Training. Sicher fehlen werde am Samstag Alphonso Davies, Konrad Laimer, Serge Gnabry und Kingsley Coman. Immerhin stiegen Joshua Kimmich nach Schulterverletzung und Dayot Upamecano nach einem Muskelfaserriss im linken Oberschenkel am Mittwoch wieder ins Training ein. Auch Kim-Min Jae wird nach dem Ausscheiden von Südkorea beim Asien-Cup für das Topspiel zurückerwartet.
Doch egal, mit welcher Mannschaft der FC Bayern in der Bay-Arena auflaufen wird, Alonso hat auch seinem Team längst eine Sieges-DNA verpasst, deren Hauptbestandteil es ist, nur auf sich zu schauen und sich selbst in die bestmögliche körperliche und mentale Verfassung zu bringen. Da kommt auch Sebastian Hoeneß, Neffe von Bayern-Ikone Uli, nur zu einem Schluss: „Leverkusen ist die beste Mannschaft der Saison.“ Das will sie auch am Samstag wieder beweisen. Und sie scheint so bereit dafür wie nie.