Hinter Jonathan Tah liegt eine „durchwachsene“ Hinrunde mit Bayer 04, wie er selbst im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagt.
Auch gute Zweikampf- und Pass-Werte täuschen nicht darüber hinweg.
Der Verteidiger erklärt, wie er seine Chancen auf die EM 2020 einschätzt.
La Manga – „Ich bringe einiges an Masse mit. Da liege ich gut in den Kurven“, sagt Jonathan Tah grinsend. Danach verabschiedet sich der 1,95 Meter große und fast 100 Kilogramm schwere Abwehrhüne von Bayer 04 Leverkusen mit einem festen Handschlag. Tah flachst noch etwas mit seinem Teamkollegen Nadiem Amiri. Dann geht es zum freudig erwarteten Team-Event des Trainingslagers im spanischen La Manga: Kartfahren. Und tatsächlich, mit Ersatzkeeper Ramazan Özcan hat Tah die schnellste Rundenzeit, auch wenn Trainer Peter Bosz, ebenfalls ambitioniert, einen Fehlstart wittert. Leverkusens Verteidiger hat seine körperlichen Vorteile in der Kurve ausgenutzt und die Gegner hinter sich gelassen oder abgedrängt, „aufgefressen“, wie er es beim Fußball nennen würde.
Fünftbester Zweikämpfer
In der Hinrunde der Bundesliga gelang Tah das allerdings zu selten. „Durchwachsen“, bewertet der 23-Jährige das Halbjahr im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger.“ „Ich glaube, es gab Spiele, in denen ich gezeigt habe, was ich kann. Aber dann gab es auch Spiele, in denen es nicht so war. Da war ich teilweise unkonzentriert. Das gilt es definitiv in der Rückrunde besser zu machen.“ Tahs Leistungen ähneln denen seiner Mannschaft. Entweder sehr gut oder sehr schlecht – Auftritte dazwischen gab es kaum. So saß der Nationalspieler sogar in drei Pflichtspielen über 90 Minuten nur auf der Bank. Eigentlich undenkbar für einen Mann mit seinen Qualitäten. Vermeintlich wichtige Zahlen würden allerdings auch einen anderen Schluss zulassen: Tah ist mit 64,8 Prozent gewonnenen Duellen der fünftbeste Zweikämpfer der Liga und liegt mit einer Passquote von 92,2 Prozent auf Platz acht. „Was wird als passsicher bewertet? Sind es Rückpässe zum Torwart? Die kommen meistens an“, sagt Tah.
Die komplizierteren Anspiele landeten auch oft beim Mitspieler – aber eben nicht immer. Und Fehlpässe im hinteren Drittel des Feldes führen im offensiven Spielsystem von Trainer Bosz regelmäßig zu Kontern und einfachen Toren für den Gegner. „Wenn wir auf Champions-League-Niveau spielen wollen, dann müssen wir vor allem diese einfachen Fehler abstellen“, sagt Tah. Er selbst möchte dabei vorangehen.
Der Abwehrspieler ist längst eine Führungskraft der Werkself. Seit 2015 steht Tah, in Hamburg geboren und Sohn einer Deutschen und eines Ivorers, bereits bei Bayer 04 unter Vertrag. Zwar ist Tah kein klassischer Lautsprecher auf dem Rasen. Doch ab und zu findet er klare Worte, stets Motivierendes. Seine Entwicklung ging in den vergangenen Jahren stets nach oben, persönlich wie fußballerisch.
Die Hinrunde machte im sportlichen Bereich allerdings eine Ausnahme. Die Sicherheit und Ruhe ist Tah etwas abhandengekommen. Zum Leverkusener Glück spielt Sven Bender eine herausragende Saison im Abwehrzentrum, was wohl die Auswirkungen im Rahmen hielt. „Konstanz ist nun einmal die hohe Kunst im Fußball“, sagt Tah. In der Rückrunde möchte er zurück zu diesen hohen Künsten – wie auch der Rest der Mannschaft: „Beim Blick auf die letzte Rückrunde sehen wir ja: Wir können es, wir haben es schonmal besser gemacht.“
Noch kein Turnier-Einsatz
Über eine gute zweite Saisonhälfte und Erfolge auf europäischer Ebene mit Bayer 04 will sich Tah einen weiteren Traum erfüllen. Ein großes Turnier mit der Nationalelf – und dort zum Einsatz kommen. Schon bei der EM 2016 in Frankreich war Tah als 20-Jähriger dabei. Joachim Löw hatte ihn für den verletzten Antonio Rüdiger nachnominiert. Die deutschen Spiele bis zum Aus im Halbfinale verfolgte Tah jedoch stets von der Bank aus. Dafür reichte es 2018 bei der WM in Russland noch nicht einmal. Der Bundestrainer sortierte Tah nach dem Trainingslager in Eppan aus. Eine bittere Nachricht für den Leverkusener.
Aussortierte Vorbilder
Ein ähnliches Schicksal wird Tah bei der paneuropäischen EM im Sommer wohl nicht blühen. So zumindest ist die übereinstimmende Meinung vieler Experten. Tahs Vorbilder Mats Hummels und Jérôme Boateng wurden aussortiert, Niklas Süle muss sich von seinem zweiten Kreuzbandriss erholen, und Rüdiger hat seit Monaten Leistenprobleme. Für Löw bleiben Matthias Ginter, Niklas Stark, Robin Koch – und eben Tah. Eigentlich ein Freifahrtsschein. Der Leverkusener sieht das anders. „Natürlich sind zuletzt (nach dem Kreuzbandriss von Süle, d. Red.) viele gekommen und haben gesagt: »Du bist zu 100 Prozent dabei!« Aber das interessiert mich wenig. Für mich ist wichtig: Wenn ich das Vertrauen des Bundestrainers bekomme, will ich beweisen, dass ich es zurecht erhalten habe“, sagt Tah. „Ob ich dabei bin, ist die Entscheidung des Bundestrainers – aber ich kann sie ihm erleichtern, indem ich hier wieder konstantere Leistungen bringe.“ Die hohe Kunst. Und deutlich weniger Kurven, zumindest in der Form.