Leverkusen – Das Fußball-Jahr 2020 endete für Bayer 04 Leverkusen mit einem Nackenschlag in der letzten Spielminute und dem unglücklichen 1:2 im Topspiel gegen den FC Bayern. Es war die erste Bundesliga-Niederlage der Spielzeit. Sie trübt das glänzende Gesamtbild, welches die Werkself in den letzten Monaten abgegeben hat, nur minimal. Die Erkenntnisse der bisherigen Saison.
Die Mannschaft
Trotz des Verlustes der beiden Topscorer Kai Havertz und Kevin Volland im Sommer hat Bayer 04 sein Leistungsniveau noch einmal steigern können. Das gelang nach den Verkäufen des Talentiertesten und eines Wortführers vor allem durch das Zusammenwachsen des Kollektivs. Womöglich wurde dies durch die prominenten Abgänge, die unglückliche Sommer-Transferperiode sowie die vielen verletzten Stammkräfte noch begünstigt. Im Ergebnis funktionierte in den vergangenen Monaten fast jeder Leverkusener Profi auf allerhöchstem Niveau – egal wie weit weg von der Stammelf er kurz zuvor noch schien.
Der Trainer
Seit zwei Jahren trägt Peter Bosz die Verantwortung in Leverkusen. Mittlerweile scheint der Niederländer eine optimale Balance zwischen seinem geliebten Offensivfußball und einer defensiven Stabilität gefunden zu haben. Mit nur zwölf Gegentoren stellt Bayer 04 nach RB Leipzig die zweitbeste Abwehr der Liga. Die Automatismen greifen deutlich besser als in der Vorsaison. Die Viererkette ist besser gestaffelt, die Außenstürmer arbeiten konsequenter mit nach hinten. So konnte es die Werkself trotz der offensiven Spielweise bislang fast gänzlich vermeiden, Tore nach schnellen Umschaltsituationen zu kassieren. In Statistiken wie Laufleistung pro Spiel, Pässe, sowie Zahl der Torschüsse, die für einen Treffer benötigt werden, liegt Bayer 04 unter den Top drei der Liga. Spitzenreiter ist Leverkusen bei Standard-Situationen: Beeindruckende 22 Tore fielen wettbewerbsübergreifend nach ruhenden Bällen. Hier ist laut Bosz vor allem einer seiner Assistenten der Schlüssel zum Erfolg. Rob Maas, der im Sommer verpflichtete Co-Trainer, leitet das Leverkusener Standard-Training.
Die Baustellen
Vor allem dank der Freistöße und Eckbälle kommt Bayer 04 auf den beeindruckenden Punktestand. Aus dem Spiel heraus tut sich die Werkself hingegen – trotz aller fußballerischer Prominenz und Kompetenz – oft schwer, gerade gegen tiefstehende Gegner. Beispielhaft beim 1:2 gegen München war das andere Leverkusener Problem zu erkennen: Individuelle Fehler, gegen die Bayern gleich zwei von Jonathan Tah. Zuvor in der Saison hatten bereits Lukas Hradecky und Tin Jedvaj schwer gepatzt, doch konnte Leverkusen trotz dieser Fehler die Spiele gewinnen. Im Topspiel gelang das nicht.
Der Verein
Als Werksklub ist Bayer 04 trotz des Verlustes aller Zuschauereinnahmen in der Krise besser aufgestellt als die meisten anderen Klubs. Zudem ruht Bayer 04 finanziell auf dem dicken Kissen eines Transferüberschusses im Sommer. Von den mehr als 100 Millionen Euro Einnahmen aus dem Verkauf von Kai Havertz (FC Chelsea) und Kevin Volland (AS Monaco) wurden für Patrik Schick (kam vom AS Rom) und Santiago (Atletico Madrid, Leihe) weniger als 30 Millionen Euro ausgegeben. Selbst wenn man die Wintertransfers des vergangenen Jahres dazu rechnet (Edmond Tapsoba, Exequiel Palacios) befindet sich der Klub noch mit mehr als 30 Millionen Euro im Plus.
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Die Ziele
Bayer 04 liegt über dem Soll, auf klarem Champions-League-Kurs, hat sogar einen Abstand von sechs Punkten auf den Fünftplatzierten Borussia Dortmund. Platz vier wird von der Klubführung um Fernando Carro als das offizielle Saisonziel ausgegeben. Ein Titel bleibt weiterhin ein Traum, über den man offen spricht.
Der Gewinner
Gibt es enorm viele. Dazu zählen fast alle Profis, die zunächst als Ergänzungsspieler eingeplant waren. Julian Baumgartlinger und Aleksandar Dragovic zum Beispiel. Natürlich auch Florian Wirtz, der den Havertz-Abgang vergessen macht und auf gutem Weg ist, ein Kandidat für Joachim Löw und die EM 2021 zu werden. In den Wochen vor der Winterpause hat sich auch Nadiem Amiri in den Fokus gespielt und die Entwicklung genommen, die man sich von ihm bereits nach seiner Verpflichtung im Sommer 2019 erwartet hatte.
Der Verlierer
Da nahezu alle Profis regelmäßig zum Einsatz kommen, gibt es kaum welche. Sogar Mitchell Weiser, der den Großteil der Vorrunde auf der Tribüne verbrachte, konnte mit dem gelungenen Spontaneinsatz gegen den 1. FC Köln und seinem Tor auf sich aufmerksam machen. Ein wenig hinter den Erwartungen bleibt weiterhin Rekord-Einkauf Kerem Demirbay (kam 2019 für 32 Millionen Euro aus Hoffenheim). Und U-21-Nationaltorhüter Lennart Grill wäre vermutlich gern mehr als die Nummer drei im Bayer-Team.
Die Personalien
Als großer Erfolg in der Transferphase darf die Verlängerung der Verträge mit den Jung-Stars Moussa Diaby (bis 2025) und Edmond Tapsoba (2026) gelten. Offenbar existieren keine schmerzhaften Ausstiegsklauseln in den finanziell verbesserten Arbeitspapieren. Als Königspersonalie gilt weiterhin eine langfristige Bindung von Florian Wirtz, die unmittelbar bevorsteht. Allerdings unterliegt der 17-Jährige weiterhin dem Nachwuchsspielerschutz. Seinen ersten richtigen Profi-Vertrag wird er offiziell erst an seinem 18. Geburtstag im Mai 2021 unterschreiben dürfen.
Das Jahr 2021
Dem Team, der ganzen Organisation, steht ein Umbruch bevor, denn die Ära der Benders endet im Sommer. Der positive Einfluss der guten Jungs aus Oberbayern auf Mannschaft und Klub kann nicht überschätzt werden. Seit 2009 ist Ex-Kapitän Lars Bender wesentlicher Teil von Bayer 04, seit 2017 gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Sven. Dieses innere Korrektiv wird wegfallen. Was an seine Stelle treten wird, entscheidet maßgeblicher über die Zukunft des Leverkusener Fußballs als das schiere Talent, das weiterhin im Übermaß vorhanden sein wird. Deshalb muss Bayer auch im Winter nicht auf dem Transfermarkt aktiv werden. Der brasilianische Außenstürmer Paulinho hat nach seiner Knieverletzung das Training aufgenommen, Exequiel Palacios und auch Charles Aranguiz werden nach Verletzungen im Mittelfeld zurück erwartet. Allenfalls bei Rechtsverteidiger Santiago Arias könnte es länger dauern. Aber da hat Bayer 04 Aleksandar Dragovic und Mitchell Weiser neben Lars Bender als Alternativen.