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Ehre für den Bayer-StarAuch die Uefa verneigt sich vor Florian Wirtz

Lesezeit 4 Minuten

Florian Wirtz nach seinem Tor zum 1:1 gegen Union St-Gilloise.

Der Treffer des Bayer-Jungstars zum 1:1 gegen St.-Gilloise wird zum Tor des Europa-League-Spieltages gewählt.

Im Fußball geschieht es selten, dass ein Spiel die Pointe zu einer Geschichte liefert, die vorher erdacht und dann darum herum erzählt wurde. Viel öfter tritt ein Effekt ein, der im Angelsächsischen „Jinx“ genannt wird. Das Schicksal beschließt, sich zu nichts zwingen zu lassen und liefert eine böse Überraschung.

Die Gefahr bestand auch bei der schönen Story des jungen Fußballers Florian Wirtz, in die der übertragende Sender RTL das Europa-League-Spiel von Bayer 04 Leverkusen gegen Union St.-Gilloise einbetten wollte. So schön war die Geschichte der Patchwork-Familie Wirtz, deren zehntes Kind sich als Fußball-Genie erwies. „Ein geborener Zehner“, sei der kleine Florian, erklärte deshalb Vater und Berater Hans-Joachim, ein aufrechter Sonderpädagoge mit Hang zum Jugendfußball aus Pulheim-Brauweiler. Und er brachte die gerade vor den Augen der Welt spielende Erfolgsgeschichte seines jüngsten Sohnes, der nicht vergessen soll, wo er herkommt, mit einem schönen Satz auf den Punkt: „Man wird das vielleicht gar nicht verhindern können, dass er mal mit einem Ferrari hier auftaucht. Viel wichtiger ist dann, dass er trotzdem hier in der Wohngegend nur 30 fährt.“

Allerdings spielten Florian Wirtz und Bayer 04 an diesem Abend gegen eine Mannschaft, die sich für das Märchen vom Kölner Stadtrand wenig interessierte. Wie eine Eliteeinheit der Fremdenlegionäre war das belgische Überraschungsteam Union St.-Gilloise in die Bay-Arena eingefallen und drohte den schönen Traum vom Titelgewinn in der Europa League zu zerstören. Durch ein Tor ihres Stürmers Victor Boniface, der wie ein nigerianischer Herkules durch die Leverkusener Abwehr pflügte, lagen die Belgier nach 81 Minuten mit 1:0 in Führung.

Die Werkself entwickelte viel Willen, den Schaden vor dem Rückspiel in Grenzen zu halten, aber gegen eine fast perfekte Abwehrmaschine vergab sie ihre wenigen Chancen und wartete vergeblich auf einen genialen Moment. Florian Wirtz schien ausnahmsweise nicht der zu sein, der ihn liefern würde. Der Ball, die Gegner und auch die Kollegen schienen an diesem Abend nicht zu wollen, wie er wollte.

Bester Teenager in der Europa League seit Ronaldo

Prinzipiell normale menschliche Momente in der jungen Karriere eines Hochbegabten. Man würde nachher sagen, dass so etwas dazugehört, er daraus lernen werde, auch nur ein Mensch sei. Die üblichen, richtigen Erklärungen eben. Erklärungen, auf die Florian Wirtz generell keine Lust hat. Also erspähte er in der 82. Minute eine Lücke vor dem mit muskulösen Menschen bepackten Strafraum des Gegners. Mittelstürmer Sardar Azmoun lieferte mit einem kurzen Zuspiel die perfekte Vorlage. Ein normaler Schuss allerdings wäre schon am ersten Verteidigerbein hängen geblieben. Zwischen Torwart und Pfosten war nur ein Spalt, so groß wie eine kaum halb geöffnete Wohnungstür. Und es blieb nur der Bruchteil eines Momentes. Genug für Florian Wirtz, um den Ball mit der Innenseite des rechten Fußes in einer leichten Kurve an allen vorbei unhaltbar ins Tor zu schießen.

Es folgten Jubel, Lobgesänge und Auszeichnungen. Die Uefa wählte den Treffer am nächsten Morgen zum Tor der Woche in der Europa League. Statistiker ermittelten, dass nur das Phänomen Ronaldo (9) als Teenager mehr Treffer in diesem Wettbewerb und seinem Vorgänger Uefa-Pokal erzielt hat als Florian Wirtz (8). Doch der Besungene war nicht zufrieden: „Es ist ein bisschen ärgerlich. Wir hätten uns natürlich eine bessere Ausgangslage erhofft“, sagte der Torschütze, vertraut aber nach dem Unentschieden gleichzeitig auf die Kraft des Teams: „Ich bin sicher, dass wir im Rückspiel gewinnen werden. Wir haben eine richtig geile Mannschaft. Jeder will das schaffen. Und durch Qualität plus Kampfgeist werden wir uns belohnen.“

Wolfsburg ist die physisch stärkste Mannschaft der Bundesliga
Xabi Alonso

Vor dem Rückspiel am kommenden Donnerstag im Lotto-Park in Anderlecht steht jedoch eine beinharte Pflichtaufgabe, das Bundesliga-Auswärtsspiel am Sonntagabend in Wolfsburg (19.30 Uhr). Xabi Alonso hat entschieden, dass die Spieler zu Hause schlafen dürfen und erst am Spieltag anreisen. „Wolfsburg ist die physisch stärkste Mannschaft der Bundesliga“, sagt der Trainer, „wir müssen erst alle Informationen über unsere Mannschaft haben, um zu wissen, wer spielen kann.“ Denn vier Tage später ist das EL-Rückspiel in Brüssel und wieder drei Tage später kommt Leipzig zu einem für die Chance auf die Champions-League-Qualifikation vorentscheidenden Spiel in die Bay-Arena.

„Wir müssen die Belastung gut verteilen. Und wir werden jeden einzelnen brauchen“, erklärt der Spanier, der eigentlich sogar Florian Wirtz eine Pause geben müsste. Seinem wichtigsten Spieler, der die Siegwahrscheinlichkeit bei Startelfeinsätzen statistisch fast verdoppelt. Die Frage ist nur, ob sich Xabi Alonso und Bayer 04 das leisten können.