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1:1 gegen die SchweizNagelsmann: „Ein gutes Zeichen, dass wir zurückkommen können“

Lesezeit 5 Minuten
Julian Nagelsmann konnte nach dem aufreibenden Spiel gegen die Schweiz am Montagvormittag schon wieder entspannt lachen.

Julian Nagelsmann konnte nach dem aufreibenden Spiel gegen die Schweiz am Montagvormittag schon wieder entspannt lachen.

Beim 1:1 gegen die Schweiz ging Nagelsmann in der Schlussphase volles Risiko. „Eine sehr gute Probe für die K.o.-Spiele“, so der Bundestrainer.

Im Intercity Express 1016, der am Montagmorgen gegen halb drei im Bahnhof Messe/Deutz für eine Viertelstunde still im Gleis lag, schloss sich ein erster Kreis dieser Europameisterschaft. Der Zug war deutlich vor der erwarteten Zeit in Köln eingetroffen und musste eine Pause einlegen, denn wer zu früh kommt, ist schließlich ebenfalls unpünktlich. Seit Stuttgart waren nennenswerte Teile der „Tartan Army“ an Bord, der schottischen Fans, die gegen Ungarn die nächste Niederlage kassiert hatten und aus dem Turnier gekippt waren.

In Frankfurt waren Hunderte deutsche Fans zugestiegen. Müde vom langen Tag, aufgekratzt vom 1:1 (0:1) der deutschen Elf gegen die Schweiz. Aber zuversichtlich. Die Schotten lagen im voll besetzten Zug mit den Köpfen auf den Tischen oder in den Türbereichen am Boden; schlafend und enttäuscht, dass sie schon wieder früher von einem Turnier zu Hause eintreffen würden als ihre Ansichtskarten. Nach dem 1:5 gegen Deutschland hatten sie zwar gegen die Schweiz ein achtbares 1:1 geholt. Gegen Ungarn jedoch allen Mut verloren. Entsprechend mies war die Laune der Fans.

Abschied der beliebten Schotten

Einer im Zug wollte die Reflexe bedienen, die in den Tagen rund um Schottlands Gastspiel gegen die Schweiz in Köln so gut funktioniert hatten. Und spielte ein Lied an: die Kölsche Version des schottischen Klassikers „Loch Lomond“, dessen Melodie im Rheinland als Hymne des 1. FC Köln bekannt ist. „Mer stonn zo dir“ übertönte plötzlich das Schnarchen im Zug, doch die Tartan Army hatte genug gesungen für diesen Sommer. „Spielt es wenigstens mit dem richtigen Text“, stöhnte einer. Dann rollte der ICE doch noch über die Hohenzollernbrücke, und die Wege von Schotten und Deutschen trennten sich im Kölner Hauptbahnhof. Auf Wiedersehen, Tartan Army. Es war ein Fest.

Deutschland wird am kommenden Samstag im Achtelfinale eine erste K.o.-Runde absolvieren, und obgleich das Frankfurter Publikum am Sonntag zeitweise reagierte, als fühle es sich um sein Recht betrogen, Deutschland einen Gegner in Stücke spielen zu sehen, überwog am Ende das Vertrauen in eine Mannschaft, die sich selbst einiges zutraut.

Es war eine sehr gute Probe für die K.o.-Spiele und ein gutes Zeichen, dass wir zurückkommen können
Bundestrainer Julian Nagelsmann

Gegen starke Schweizer fehlte der deutschen Elf allerdings das geniale Moment, was daran lag, dass der Gegner einen guten Plan ersonnen hatte, um Jamal Musiala und Florian Wirtz von ihrem Bessermacher İlkay Gündoğan zu isolieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass Toni Kroos nicht die Muße hatte, Ball und Kollegen in den entscheidenden Räumen zu vereinen. Kroos spielte 107 Pässe, 99 davon erreichten seine Mitspieler. Eine beachtliche Leistung, doch für die Verhältnisse des 34-Jährigen war der Abend in Frankfurt ein unordentlicher. Die französische L'Equipe fand die DFB-Elf „uninspiriert“, „Marca“ in Spanien gab mit Blick auf ein mögliches Viertelfinalduell mit den Deutschen bereits vorsichtig Entwarnung: „Dieses Deutschland ist nicht so wild, wie sie es dargestellt haben.“

Die Zahlen belegten grundsätzlich eine starke deutsche Leistung. Ballbesitz, Passquote, Abschlüsse, erfolgreiche Dribblings – Nagelsmanns Elf tat mehr fürs Spiel, während der Gegner es schaffte, aus wenig Anteilen viel zu gestalten. Da war das 1:0 durch Dan Ndoye (28.) nach dem gemeinsamen Versagen der Innenverteidiger Tah und Rüdiger. Nicht nur deswegen musste sich Nagelsmann am Montag Gedanken über die Besetzung seiner Innenverteidigung machen. Tah wird nach der zweiten Gelben Karte gesperrt fehlen. Rüdiger droht, wegen einer Zerrung auszufallen.

Antonio Rüdiger verließ den Platz nach dem Spiel gegen die Schweiz angeschlagen und droht, für das Achtelfinale auszufallen.

Antonio Rüdiger verließ den Platz nach dem Spiel gegen die Schweiz angeschlagen und droht, für das Achtelfinale auszufallen.

Die Schweiz erzielte noch ein Abseitstor und hatte den Sieg nicht weniger verdient als die Deutschen das Unentschieden. Ein 1:1 gegen die Schweiz ist angesichts des bisherigen Turnierverlaufs ein gutes Ergebnis, die Schotten fragen sich wahrscheinlich noch immer, wie sie das geschafft haben.

Die Deutschen schienen sich selbst an den Gedanken gewöhnen zu müssen, nicht jeden Gegner abschießen zu können. Doch fürchten müssen sie sich nicht. Sie ließen sich auf den Kampf ein, gewannen Bälle, behielten sie, fanden Wege nach vorn und hatten Abschlüsse, wenn auch nicht in der gewohnten Qualität. Von 18 Schüssen gingen nur drei aufs Tor – und damit ebenso viele wie aufseiten der Schweiz.

Julian Nagelsmann: „Ein gutes Zeichen, dass wir zurückkommen können“

Entsprechend zuversichtlich blickte Julian Nagelsmann auf die kommenden Aufgaben. „Es war eine sehr gute Probe für die K.o.-Spiele und ein gutes Zeichen, dass wir zurückkommen können. Es war sehr verdient, dass wir zurückgekommen sind“, beschrieb der Bundestrainer, noch unter dem Eindruck des Ausgleichs in der Nachspielzeit durch einen perfekt gesetzten Kopfball des erneut eingewechselten Niclas Füllkrug. Nagelsmann hatte in der Schlussphase volles Risiko verfügt. „Wer nicht wagt, der nicht unentschieden spielt in diesem Fall“, improvisierte der Coach auch in seiner Beschreibung nach dem Spiel. „Es herrscht schon ein besonderer Geist. Den müssen wir uns bewahren, das kann viel auslösen.“

Wie gut die Schweiz ist, wird schon das Achtelfinale zeigen. Granit Xhaka ist nicht nur noch sehr frischer Deutscher Meister, er schoss Bayer 04 Leverkusen vor einem Monat auch per Distanzschuss zum Pokalsieg. Der Kapitän und Rekordspieler der Schweizer wusste also, was er tat, als er Manuel Neuer in der zweiten Hälfte aus 25 Metern zu einer Traumparade zwang. Xhaka hat genug Selbstvertrauen beisammen, um mit seiner Mannschaft große Ziele anzusteuern. „Der Jubel der Deutschen nach dem Ausgleich sagte alles“, gab er zu Protokoll: „Ich bin sehr, sehr stolz auf die Mannschaft nach den drei Vorrundenspielen.“

Nagelsmann attestierte dem Gegner, der nun auf der anderen Seite des Turnierbaums seine Chance auf das Finale sucht, eine reife Leistung. In Berlin könnten sich beide Mannschaften am 14. Juli wiederbegegnen, eine Sensation wäre das nicht mehr. „Sie haben eine gute Mischung aus erfahrenen und jungen, hungrigen Spielern. Sie haben Tempo, Körperlichkeit – und den Mut, Fußball zu spielen“, beschrieb Nagelsmann. Und auch Murat Yakin war angetan, „wir haben gesehen, dass wir jeden Gegner ärgern können. Die Art und Weise unseres Spiels macht mich sehr happy“, sagte der Coach der Schweizer.