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Drei MeinungenKann Leverkusen die Bayern dieses Jahr ärgern?

Lesezeit 5 Minuten
Wirtz zieht Grimasse (1)

Grimasse nach dem Tor: Bayer-Profi Florian Wirtz

Köln – Punktgleich mit dem übermächtigen FC Bayern: Mit schnellem und attraktivem Fußball hat sich Bayer 04 Leverkusen nach sieben Spieltagen auf Rang zwei der Fußball-Bundesliga gespielt. Am Sonntag kommt es in der Bay-Arena also zum Gipfeltreffen.

Während Bayer 04 zuletzt bei Aufsteiger Bielefeld deutlich mit 4:0 gewinnen und seine tolle Form bestätigen konnte, ließ der Rekordmeister mit einer 1:2-Heimpleite gegen Eintracht Frankfurt ein paar Federn.

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Am Sonntag geht es für die Werkself somit um die Tabellenführung, aber eigentlich noch wichtiger: Um eine nervliche Standortbestimmung. Denn eine gute Form wurde Bayer 04 bereits in vielen Bundesliga-Saisons attestiert, der Glaube, dass es nach dem traumatischen 0:2 in Unterhaching im Jahr 2000 noch einmal etwas werden könnte mit der ersten deutschen Meisterschaft, er ist seither verloren gegangen.

Doch zeigt die Werkself aktuell durchaus ein sportlich frisches sowie freches Gesicht. Ist dieses Jahr also mehr drin, als nur Mitläufer an der Tabellenspitze zu sein? Bayer als echter Bayern-Jäger?

Drei KStA-Sportredakteure schreiben ihre Meinung

Christian Krämer: Ärgern kann Bayer 04 die Bayern in dieser Saison sicher. Vielleicht schon am Sonntag, wenn die mit Selbstbewusstsein vollgepumpten Leverkusener auf ein Team treffen, dass mit heftigen Turbulenzen abseits des Rasens zu kämpfen hat – der drohenden Haftstrafe für Lucas Hernández. Sollten Florian Wirtz und Patrik Schick einen weiteren Sahne-Tag erwischen und Abwehr-„Leader“ Jonathan Tah die noch jüngeren Kollegen wieder nahe an der Perfektion dirigieren – dann, aber auch nur dann, hat Leverkusen gute Aussichten auf drei Punkte und die Tabellenführung. Aber es geht um den 8. Spieltag.

Bayer 04 müsste diese annähernde Makellosigkeit noch 26 weitere Spieltage praktizieren, um die Bayern so zu ärgern, dass es ihnen wirklich weh tut. Doch das kann von der Werkself nicht erwartet werden. Dafür ist der FC Bayern, bei allem Leverkusener Talent, auf fast jeder Position schlicht ein bis zwei Klassen zu stark und erfahren. Die Werkself soll und muss nach Titeln streben. Doch ist der in der Bundesliga mit Abstand am schwierigsten zu erreichen – egal, wie das Spiel am Sonntag ausgeht.

Leverkusen ist gut beraten, sich komplett auf das Erreichen der Champions League zu konzentrieren. Titel-Chancen in der letzten Saison von Rudi Völler an der Vereins-Front bieten sich in der Europa League und im DFB-Pokal. Wo theoretisch auch irgendwann der FC Bayern warten könnte. Aber in einer K.o.-Phase – und nicht in einem über mehrere Monate währenden Vergleich.

Christian Löer: In Köln gilt der 20. Mai aus zwei Gründen als Feiertag: Einerseits erreichte der FC am 20. Mai 2017 mit dem legendären Sieg über Mainz 05 erstmals nach 25 Jahren wieder den europäischen Wettbewerb. Andererseits haben viele Kölner eine liebevolle Erinnerung an den 20. Mai 2000, als Michael Ballack in Unterhaching ins eigene Tor traf und der Rivale von der anderen Rheinseite anschließend tonnenweise „Meister"-Fanartikel in geheimen Lagern verschwinden lassen musste, aus denen bis heute ab und an ein Schal ans Licht der Welt gerät. Doch das nur nebenbei.

Auch damals hatte Leverkusen eine fantastische Mannschaft, und in diesem Jahr spricht vieles dafür, dass die Werkself ihre Fans bis zum letzten Spieltag hervorragend unterhalten wird. Doch dauerhaft scheint diese Mannschaft voller Tempo und Talent noch nicht in der Lage, den Bayern auf Augenhöhe begegnen zu können. Im direkten Duell am Sonntag womöglich schon, auch wenn die Defensive nicht stark genug ist, um einem Rekordmeister auf der Höhe seiner Kunst zu widerstehen. Doch die Fernduelle der weiteren Spieltage werden dafür sorgen, dass die Münchner am Ende der Saison wieder klar vorn liegen. Zwar steht auch Bayern-Trainer Julian Nagelsmann in seinem ersten Jahr beim neuen Verein. Aber Gerardo Seoane wird es nicht auf Anhieb gelingen, die Meisterschaft zu holen. Muss er auch nicht: Am Bayerkreuz wäre man dem Schweizer wohl auch für die Qualifikation zur Champions League dankbar. Zudem für vielleicht den Sieg in Europa League oder DFB-Pokal.

Eines steht allerdings schon fest: Der 20. Mai wird in diesem Jahr nicht weiter aufgeladen: Der letzte Bundesligaspieltag fällt auf den 14., das Pokalfinale steigt am 21. Mai.

Olivier Keller: Ja, das kann diese Mannschaft. Aber da wäre erstmal das mit der Vergangenheit. Nehmen wir die Saison 2013/2014. Die Bilanz der Werkself unter Trainer Sami Hyypiä damals: 18 Punkte nach sieben Spielen, am achten Spieltag kamen die Bayern mit einem Punkt mehr auf dem Konto zum Gipfeltreffen nach Leverkusen – und Bayer konnte dem Rekordmeister ein 1:1 abringen. „Meisteranwärter“, so hieß es dann. Doch am Ende wurde Bayern mit ganzen 29 Punkten Vorsprung Meister, Leverkusen erreichte nur Platz vier, Hyypiä musste abtreten. Was ist dieses Jahr anders? Eben alles.

Bayer 04 hat heute eine komplett andere Mannschaft, so wie in weitesten Teilen auch der FC Bayern. Die sportliche Relevanz der Vergangenheit ist sowieso nur fiktiv, um einen Saisonausgang einzuschätzen bleibt lediglich die Möglichkeit der Betrachtung der aktuellen Mannschaft. Und die ist einfach verdammt gut. Die Leverkusener sind in höchster Qualität unberechenbar im Angriff – Wirtz mit seiner Technik, Diaby mit seiner Geschwindigkeit und Schick mit seinem konsequenten Abschluss. Das Trio weist bereits nach sieben Spielen 22 Torbeteiligungen auf und ergänzt sich in beeindruckender Manier.

Auch die Hintermannschaft ist mit erst sieben Gegentreffern stabil, obwohl mit Edmond Tapsoba der verheißungsvollste Innenverteidiger verletzungsbedingt noch gar nicht eingreifen konnte, bald aber zurückkehren soll. Trainer Seoane wirkt außerdem souverän und spielt in Leverkusen eine ähnliche Formation wie in der Schweiz, wo er dreimal Meister werden konnte. Auch im Tor ist Bayer mit Lukas Hradecky erstklassig besetzt. Alles zusammen sieht einfach mehr nach Klasse aus, weniger nach vorübergehend guter Form.

Am Favoritenstatus der Bayern ändert das alles erstmal wenig, dafür ist der Rekordmeister mit seinem meisterlichem Selbstverständnis viel zu gut besetzt. Aber für Leverkusen dürfte es dieses Jahr deutlich besser laufen als noch vor acht Jahren. Und wenn die Dinge gut laufen, ist es der Werkself zuzutrauen, die Liga bis zuletzt spannend zu halten.