Der Präsident des Fußball-Verbands Mittelrhein spricht über den Umgang mit Schiedsrichtern und Probleme mit dem Ehrenamt.
Interview mit FVM-Präsident Christos Katzidis„Gewalt auf Fußballplätzen ist äußerst selten“
Herr Katzidis, Sie sind seit knapp einem Jahr Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhein. Wie fällt ein erstes Fazit aus?
Christos Katzidis: Extrem positiv, es macht Riesen-Spaß. Ich habe seit meiner Wahl im gesamten Verbandsgebiet und darüber hinaus viele tolle Menschen getroffen, sowohl im Ehren- als auch im Hauptamt. Ich bin viel unterwegs im Verbandsgebiet. Fußball ist Leidenschaft, das merkt man überall. Die Leute haben ein großes Interesse daran, den Fußball als Ganzes nach vorne zu bringen. Nicht nur den Spielbetrieb, sondern auch alle gesellschaftspolitischen Aspekte. Darüber hinaus habe ich verschiedene Einblicke in die praktische Arbeit sammeln können. Ich habe beispielsweise im letzten Jahr mehrere Tage an einer Trainer-Fortbildung teilgenommen. Der direkte Austausch ist mir wichtig und sehr wertvoll.
Einer der gesellschaftspolitischen Aspekte ist die Gewalt auf den Plätzen. In Frankfurt wurde ein 15-jähriger Schiedsrichter von einem Spieler-Vater mit dem Tode bedroht. In Dortmund wurde ein 19 Jahre alter Assistent von einem Zuschauer gewürgt. Sie sind auch Innenpolitiker im Landtag und waren jahrelang Polizist. Bereitet Ihnen die zunehmende Verrohung Sorgen?
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Das sind Fälle, die man auf das Schärfste verurteilen muss. Gewalt ist ein Thema, allerdings auf allen Ebenen. Zuallererst würde ich mir wünschen, dass auch die Gerichte außerhalb des Sports entsprechende Strafen verhängen würden. Wir erleben es leider immer wieder, dass Gewalttäter mit relativ geringen Strafen davon kommen. Gerichte haben eine Präventivwirkung. Insgesamt ist es aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und auch wenn die mediale Berichterstattung und damit die Wahrnehmung stärker zugenommen hat – was gut ist, um zu sensibilisieren – zeigen die Zahlen: Gewalt auf Fußballplätzen ist prozentual gesehen in Relation zu den absolvierten Spielen äußerst selten.
Wie sehen die Zahlen im FVM aus?
Im FVM hatten wir in der Saison 2021/22 0,44 Prozent gewaltbedingte Abbrüche. Vor Corona waren es 0,39 Prozent, es gibt also eine leichte Steigerung. Gewalt gegen Rettungskräfte und Polizisten steigt im Vergleich dazu exorbitant. Bei der häuslichen Gewalt sind wir in NRW auf einem Höchststand der vergangenen 20 Jahre. Und genau dort fängt es an, dort müssen wir ansetzen: Wenn ich mit Gewalt in der Familie groß werde, zieht sich das wie ein roter Faden durch – Schule, Sportverein, Fußballplatz, Ausbildung.
Wie lässt sich der Entwicklung gegensteuern?
Ein großer Ansatzpunkt sind für mich die Schulen. Gewalt ist ein unangenehmes Thema. Probleme sollten als Chance für Veränderungen und Verbesserungen gesehen werden. Es würde Schulen meiner Überzeugung nach voranbringen, wenn sie aktiv Probleme angehen. Das Programm Respekt Coaches ist zum Beispiel eine super Sache.
Brauchen Schiedsrichter im Speziellen einen besseren Schutz auf den Plätzen?
Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter sind ein Teil der Fußballfamilie. Daher ist es wichtig, dass wir den Fußball als Ganzes betrachten: Vereine, Spielerinnen und Spieler, Trainerinnen und Trainer, Besucherinnen und Besucher und natürlich die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter. Es muss eine Einheit sein und Verbindungen zwischen den Menschen geben. Vereinsvorstände müssen Schiedsrichter aktiv ins Vereinsleben integrieren. Warum trainieren die Schiedsrichter nicht auch mal bei der 1. Mannschaft mit? Oder geben mal eine Stunde Regelkunde? So lassen sich auch zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen, dann hat man ein besseres Verständnis füreinander. So etwas wäre gelebte Prävention. Wichtig ist aber auch: Ist es zu einem Übergriff gekommen, haben wir mit der Anlaufstelle der Fußballverbände in NRW und mit dem Angebot der psychologischen Erstbetreuung wichtige Instrumente, um die betroffenen Personen zu begleiten.
Die Zahl der Schiedsrichter nimmt ab, auch Trainer werden gesucht. Das Ehrenamt steckt in der Krise. Der FVM fordert deshalb in einem Positionspapier für das Ehrenamt mehr Anerkennung.
Es ist ein grundsätzliches Problem in der Gesellschaft: Wie können wir wieder mehr Menschen für ehrenamtliche Arbeit begeistern? Nicht nur im Sport, auch beim THW oder der Feuerwehr. Wir können uns dafür einsetzen, dass die sportpolitischen Rahmenbedingungen verbessert werden. Darum haben wir 21 politische Forderungen formuliert, mit fünf Kernforderungen – zum Beispiel einen Rentenpunkt für zehn Jahre durchgängiges ehrenamtliches Engagement. Wir fordern eine Verankerung des Ehrenamtes im Grundgesetz als fundamentale Säule der Gesellschaft. Und wir fordern ein Ehrenamtsticket und freie Fahrt für Freiwillige im ÖPNV. Und natürlich eine Fortführung des Sportstättensanierungsprogramms. Es gibt eine aktuelle Untersuchung, dass alleine die ehrenamtliche Arbeit in NRW, wenn man den Mindestlohn ansetzt, 19 Milliarden Euro wert ist. Wenn diese Arbeit nicht geleistet würde oder von hauptamtlich Beschäftigten übernommen werden müsste – das ist kaum vorzustellen.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass zumindest Teile der Forderungen zu Gesetzen werden?
Wir erwarten nicht, dass alles von heute auf morgen umgesetzt wird. Da gibt es ja auch unterschiedliche Aufwände. Die Ehrenamtspauschale zu erhöhen ist leichter, als ein weiteres 300-Millionen-Euro-Sportstättenprogramm durchzusetzen. Das ist eine harte Diskussion mit dem Finanzministerium bei der derzeitigen Finanzlage. Aber alleine mal schwarz auf weiß darzulegen, was wir wollen, das muss in der Politik ankommen. Wenn Sport und Gesellschaft geschlossen auftreten und sich immer mehr Menschen den Forderungen anschließen, dann wird die Politik auch die eine oder andere Forderung erfüllen müssen. Und das erwarten wir auch.
Kürzlich gab es seitens des DFB nach langem Ringen eine Reform der Kinderspielformen: Kleinere Teams, kleinere Felder, mehr Ballaktionen.
Wir wollen bei den ganz Kleinen weg vom ergebnisorientierten Fußball. Die Kids sollen Spaß haben und bestmöglich in ihrer Entwicklung gefördert werden. Die neuen Kinderspielformen setzen genau hier an. Es soll um Erlebnis statt Ergebnis gehen, und mehr Zeit am Ball.
13-Jährige spielen in der C-Jugend immer noch Elf gegen Elf auf großem Platz und große Tore. 22 Jugendliche ein Ball.
Im deutschen Fußball ist die Kinder- und Jugendförderung insgesamt ein ganz großes Thema. Die letzten drei Turniere bei den Männern zeigen, dass es Handlungsbedarf gibt. Das gehen wir gemeinsam auf allen Ebenen an. Je stärker die Basis ist, je stärker die Amateurklubs sind, desto mehr Potenzial haben wir mittel- und langfristig auch für unsere Nationalmannschaften. Das gilt für die Frauen wie für die Männer.
Wie profitiert die Basis umgekehrt von Erfolgen der Nationalmannschaften oder Großereignissen im eigenen Land wie der EM 2024?
Unsere Zahlen zeigen ganz klar: Nach der Pandemie gibt es ein großes Bedürfnis, im Verein Sport zu treiben. In der Saison 2018/2019, der letzten Saison vor Corona hatten wir 14 730 Erstregistrierungen, also Menschen, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben bei einem Fußballverein in unserem Verbandsgebiet angemeldet haben. Der weibliche Anteil betrug damals 12,6 Prozent. In der jetzt laufenden Saison 2022/2023 waren es bislang 15 696, 16,8 Prozent davon weiblich. Wir hoffen durch die Männer-EM und hoffentlich eine Austragung der Frauen-WM 2027 zusammen mit Belgien und den Niederlanden natürlich auf einen weiteren Boom im Kinder- und Jugendbereich. Aber hier ist auch ganz klar: Die Vereine brauchen dafür die Rahmenbedingungen. Zum einen die Infrastruktur, um die Kinder überhaupt aufnehmen zu können. Gerade in Ballungsgebieten wie Köln müssen infrastrukturelle Lösungen gefunden werden. Hier sind die Städte und Kommunen gefragt. Zum anderen müssen die Vereine aber auch sportlich vorbereitet sein und ihre Trainerinnen und Trainer schulen. Hier haben wir Angebote geschaffen wie das Kindertrainer-Zertifikat, wo Interessierte unkompliziert in 20 Lerneinheiten Grundkenntnisse für ein altersgerechtes Training erhalten. Die Nachfrage ist groß und das Feedback super.
Vor dem Rathaus in Köln hat vor einigen Tagen der RSV Rath-Heumar demonstriert. Der Klub bangt ums Überleben, er verliert in wenigen Monaten seinen Sportplatz, dort sollen Wohnungen entstehen. Eine neue Anlage ist nicht in Sicht.
Ich habe mich als FVM-Präsident persönlich eingesetzt und vor über zwei Monaten auch die Oberbürgermeisterin und alle Fraktionen angeschrieben. Vereinzelt gab es Antworten. Im Namen von Frau Reker habe ich eine Eingangsbestätigung bekommen mit dem Hinweis, dass der Sachverhalt ans Sportamt weitergeleitet wurde und ich von dort eine Antwort bekommen würde.
Wie lautete die Antwort?
Bis heute habe ich keine Antwort erhalten. Ich finde es befremdlich, dass die Oberbürgermeisterin in dieser Sache nicht persönlich antwortet. Das zeigt, wie die Oberbürgermeisterin zum Sport steht. Das Problem beim RSV ist seit circa zehn Jahren bekannt. Natürlich gibt es in dem Fall auch verschiedene Fraktionsbefindlichkeiten. Aber irgendwann muss man dem Verein doch mal eine Perspektive aufzeigen. Ich würde mir wünschen, dass Sport und Ehrenamt bei der Stadtspitze einen anderen Stellenwert bekommen. Wichtig wäre auch, dass in städtischen Ballungsgebieten bei jedem Neubaugebiet eine Sportanlage mitgedacht und mitgeplant wird. Das passiert seitens der Städte und Kommunen leider viel zu selten.
Die Oberbürgermeisterin hatte auch mit Ihrer Haltung zur angedachten Erweiterung des Geißbockheims für Irritationen gesorgt.
In der Rede zur Einbringung des Haushaltes 2023/2024 ist der Sport insgesamt nicht vorgekommen. Das muss sich dringend ändern. Die Bedeutung des Sports und der Sportvereine für die Gesellschaft ist elementar.
Gab es zwischen Ihren Ämtern als FVM-Chef und CDU-Landtagsabgeordneter schon einmal Interessenskonflikte?
Nein, bisher nicht. Wenn ich im Landtag über eine Entscheidung abstimmen müsste, die sich unmittelbar auf den FVM auswirken würde – sei es positiv oder negativ – würde ich mich enthalten. Umgekehrt bin ich im Verband natürlich parteipolitisch neutral, da geht es um den Fußball. Mit meinen Verbindungen in die verschiedenen Bereiche der Politik und mit meinem Netzwerk versuche ich aber natürlich, so gut es geht, den Fußball zu stärken.