- Jürgen Kohler, langjähriger Bundesliga-Profi, wurde als Spieler Europa- und Weltmeister.
- Aktuell trainiert er die A-Jugend von Viktoria Köln.
- Im Interview spricht Kohler über den Rest der Saison, die Corona-Krise und die Schwierigkeiten im deutschen Nachwuchs.
Köln – Jürgen Kohler kann sich ein reguläres Ende der Fußballsaison nicht so recht vorstellen. Seine Prognose sieht düster aus. Gleiches gilt auch für sein Team in der A-Junioren-Bundesliga West, das sechs Spieltage vor dem Saisonende auf einem Abstiegsplatz steht. Die Hoffnung auf den Klassenerhalt hat der Trainer der U 19 von Viktoria Köln aber nicht aufgegeben.
Herr Kohler, nach dem souveränen Aufstieg in die Bundesliga begann die Saison durchaus ansprechend. Fünf Punkte aus den ersten vier Spielen, darunter der 1:0-Sieg gegen Schalke 04. Die gleiche Punktzahl gab es in den folgenden 16 Spielen. Was ist passiert?
Es gibt zahlreiche Erklärungsansätze. Einer davon ist, dass sich die Spieler selbst zu viel Druck machen, woraus oftmals Fehler resultieren. In erster Linie keine gruppentaktischen, sondern vielmehr individuelle. Unsere Statistik belegt dies. Bei den meisten Gegentoren sind wir massiv in Vorleistung getreten, so dass unsere Gegner nicht mehr viel beisteuern mussten, um erfolgreich zu sein. Sie mussten einfach auf unsere Fehler warten, von denen wir in allen Mannschaftsteilen mehr als genug gemacht haben. Ein anderer ist sicher, dass vor dieser Spielzeit 16 neue Spieler integriert werden mussten.
Zur Person
Jürgen Kohler (54), Welt- und Europameister, bestritt für die DFB-Auswahl 105 Länderspiele und erzielte zwei Treffer. Seine erste Profistation war Waldhof Mannheim, ehe der 1. FC Köln, FC Bayern München, Juventus Turin und Borussia Dortmund folgten, wo er 2002 mit fast 37 Jahren seine aktive Karriere beendete. Die Zeit beim BVB war mit dem Gewinn von Champions League und Weltpokal zugleich seine erfolgreichste Zeit als Profifußballer. Zudem wurde er dreimal Deutscher Meister und einmal italienischer Meister und Pokalsieger. Kohler trainiert seit Sommer 2018 die A-Junioren des FC Viktoria Köln.
Zwischen dem zweiten und bisher letzten Sieg Ihrer Mannschaft, dem 4:0 gegen Wuppertal, und dem 0:10 gegen den 1. FC Köln im Herbst lagen gerade einmal sieben Tage. Danach holte Viktoria nur noch einen Punkt. War das 0:10 der Beginn der Krise?
Nein. Diesen Negativlauf kann ich nicht an diesem einen Spiel festmachen. Gegen einen an diesem Tag überragenden FC sind wir auseinandergefallen. Das ist richtig. In der Folge gab es von uns aber einige gute Spiele. Spiele, in denen wir mindestens auf Augenhöhe agiert haben. Wenn ich nur an die Partie gegen Duisburg denke, in der wir mit 2:0 führen müssen, um schließlich in der Schlussphase nach einem unfassbaren Aussetzer mit 0:1 als Verlierer vom Platz zu gehen. Es war wieder einer dieser individuellen Fehler, die nicht nur in der Bundesliga, aber vor allem dort eiskalt bestraft werden.
Mit zehn Punkten und damit nur drei Punkten Rückstand auf den rettenden elften Tabellenplatz sind Sie dennoch weiterhin im Geschäft.
Bei aller Problematik muss man das genauso sehen, weil die anderen eben auch nicht davonmarschieren. Zunächst einmal liegt es aber an uns, die Fehler zu minimieren. Denn klar ist auch, dass wir in vielen Spielen keineswegs die schlechtere Mannschaft und immer Möglichkeiten vorhanden waren. Die Drucksituation, die die Jungs verspüren, ist natürlich ein Stück weit nachvollziehbar. Aber klar ist auch, dass wir als Aufsteiger nur gewinnen können und der Druck der Freude weichen sollte, in dieser aus meiner Sicht stärksten A-Junioren-Bundesliga Deutschlands spielen zu dürfen.
In den verbleibenden sechs Ligaspielen treffen Sie auf Wuppertal, Bielefeld und Duisburg sowie die Top-Mannschaften VfL Bochum, 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Ich wiederhole mich gerne. Wir sind noch im Rennen. Bis auf die Begegnung beim 1. FC Köln waren wir gegen alle vorgenannten Gegner im Spiel, um erfolgreich sein zu können. Das sollte unser Zutrauen stärken, um in diesen Begegnungen befreit aufzuspielen. Ich betrachte uns keineswegs als chancenlos. Es klingt abgedroschen, aber die Tagesform wird den Ausschlag geben.
Glauben Sie, dass die Saison angesichts der anhaltenden Corona-Krise überhaupt ein reguläres Ende finden wird?
Ich kann es mir, nach allem was die Experten hierzu erklären, beim besten Willen nicht vorstellen. Man stelle sich nur vor, dass sich bei verfrühter Wiederaufnahme des Spielbetriebs jemand auf dem Platz infiziert und möglicherweise schwer erkrankt. Das ist ein Horrorszenario. Diese Verantwortung muss schließlich jemand übernehmen. Ich könnte das nicht.
Dortmunds 15-jähriger Torjäger Youssoufa Moukoko überragt mit 34 Treffern in 20 Spielen den bisherigen Saisonverlauf. Wie beurteilen Sie die individuellen Entwicklungen in Ihrem Team?
Moukoko ist eine Ausnahmeerscheinung. Er hat das Besondere, das nicht viele haben. Er war nahezu in jedem Spiel der Mann für den entscheidenden Impuls. Positive Entwicklungen sehe ich aber auch in unseren Reihen. Luis Göker, Robin Bird, Alexander Höck oder Aldin Drndar, die alle einen enormen Schritt nach vorne gemacht haben. Wenn ich etwa an Aldin denke; ihn hatte in der letzten Saison niemand auf dem Zettel, Heute liegen Anfragen von Bundesligisten vor. Der Sprung in den Seniorenfußball ist aber immens. Unsere Aufgabe im Trainerteam ist es, das Potenzial zu erkennen und die Jungs bestmöglich auf diesen Schritt vorzubereiten. Wie weit diese Entwicklung geht, liegt aber zuerst an den Spielern selbst.
Das könnte Sie auch interessieren:
Dazu gehören auch Rückschläge.
Ganz ohne kommt wohl keine Karriere aus. Meine ersten Erfahrungen hatte ich mit 14 Jahren, als ich als Kapitän im Länderpokal plötzlich außen vor war, nach meiner Einwechselung zwei Gegentore fielen, ich einen Beinschuss bekam und meinen Stammplatz endgültig los war. Danach war es vor allem harte Arbeit und Fleiß, viel Fleiß.
Viele Nachwuchsspieler setzen gerne exklusiv auf die Karte „Talent“.
Nach allem, was ich erlebt habe, wird das in 99 Prozent der Fälle alleine nicht reichen, um Profifußballer zu werden und vor allem zu bleiben. Der ganz überwiegende Teil ist Arbeit, auf und neben dem Platz. Um nur ein Beispiel zu nennen: In meiner Zeit bei Juventus Turin haben etwa Zidane und Del Piero, die Talent im Überfluss hatten, sich nach dem Training noch Bälle hingelegt, während andere schon unter der Dusche waren.
Stefan Kuntz, der Trainer der deutschen U-21-Auswahl, sieht eine Delle im deutschen Nachwuchs. Wie ist Ihre Meinung?
Dem stimme ich ohne Wenn und Aber zu. Der Grund liegt daran, dass wir individuelle Arbeit mit den Nachwuchsspielern vernachlässigt haben. Die fehlende Individualisierung ist das Kernproblem. Jetzt bekommen wir die Quittung. Wir müssen wieder dahinkommen, die individuellen Stärken zu fördern und positionsspezifisch zu entwickeln, so dass sich unsere Talente in ihren Kernkompetenzen ausleben und weiterentwickeln können.
Zurück zur Viktoria: Stehen Sie dem Verein auch im Falle eines Abstiegs zur Verfügung?
Von meiner Seite aus, ja. Die Arbeit bei Viktoria macht großen Spaß. Die Gespräche sind für Ende April terminiert. Dann dürfte Klarheit herrschen.