AboAbonnieren

Kinderarmut in KölnOhne Frühstück in die Schule

Lesezeit 4 Minuten
20171121max-himmel03

Nicht alle Kinder, die zu Himmel un Ääd kommen, sind arm, das Essen schmeckt aber ihnen auch.

Köln – Eigentlich war es ein purer Zufall, dass der Kindermittagstisch des Vereins „Himmel un Ääd“ überhaupt entstand. Unternehmerin und Vereinschefin Gabriele Gérard-Post sammelte mit ihrem Verein für karitative Zwecke Sachspenden für Kinder und Jugendliche – und hatte die Hilfsbereitschaft der Nachbarn unterschätzt. Es kamen nicht nur Hosen und Hemden, sondern auch Kinderbetten und Maxi Cosi zusammen. „Schnell war die ganze Garage voll“, erinnert sie sich. Die Sachspenden wurden für einen kleinen Obolus an sozial schwache Menschen verkauft. Aber Gérard-Post konnte die Kinder nicht vergessen, die vor allem eines benötigten: etwas zu essen.

Die Helfer von „Himmel un Ääd“ (v. li.): Monika Sanchez, Gabriele Gérard-Post, Monika Schweden und Petra Klett

Und so mietete sie vor sechs Jahren einen Raum am Kleinen Griechenmarkt und eröffneten den Kindermittagstisch. Mittlerweile ist der in neue Räume an der Neuen Weyerstraße 10 umgezogen, einen Steinwurf vom Barbarossaplatz entfernt. Fünfmal in der Woche sperrt das Team nun den Mittagstisch von 10 bis 18 Uhr auf.

40 hungrige Jugendliche pro Tag

Gegen 13 Uhr kommt an diesem Dienstag ein Pulk Jugendlicher herein: Heute stehen Nudeln mit Hühnerfrikassee auf dem Speiseplan. Die Jugendlichen langen ordentlich zu. Die meisten haben offensichtlich großen Appetit.

40 Mädchen und Jungen pro Tag aus ganz Köln nehmen in den Räumen des Vereins die Hauptmahlzeit des Tages zu sich: Etwa Claus (Name geändert), dessen Eltern berufstätig sind und keine Zeit haben, für ihn zu kochen, wenn er aus der Schule kommt. Claus hat es noch gut getroffen: Er strebt seinen Realschulabschluss an und hat bei Ford eine Lehre in Aussicht.

Bei manchen Freunden, erzählt der 17-Jährige, sei das Geld zu Hause aber so knapp, dass sie auf die kostenlose Mahlzeit bei „Himmel un Ääd“ angewiesen sind. Auch Leiterin Gérard-Post kennt Eltern, die kaum über die Runden kommen: „Eine Alleinerziehende, die als Verkäuferin arbeitet, kommt vielleicht mit 1300 Euro netto nach Hause. Wenn die Miete 700 Euro kostet, ist das Geld schnell weg.“

Jedes fünft Kölner Kind ist arm

Alltag in Köln: Jedes fünfte Kind wächst in Armut auf. 37 000 Mädchen und Jungen können sich nicht das leisten, was für die meisten ihrer Altersgenossen selbstverständlich ist. Wenn „Himmel und Ääd“ Ferienfreizeiten anbietet, erlebt Gérard-Post Kinder, die noch nie im Zoo waren, geschweige denn im Museum oder in Urlaub fahren können. Manche tragen tagelang die gleichen T-Shirts und Hosen, weil sie nichts zum Wechseln besitzen, ergänzt Mitarbeiterin Marion Sanchez. Es kämen Kinder zum Mittagstisch, deren Eltern nicht zum Friseur gingen oder die Futterrationen für den Hund kürzten, um durchzukommen. Andere Kinder bekämen morgens kein Frühstück. „Hier sind daher viele dankbar für jedes Essen“, so Sanchez.

Armut auch in der Mitte der Gesellschaft

Eigentlich sei es ein Skandal, dass ein privater Verein, der mit einer Festangestellten und 14 ehrenamtlichen Helfern arbeitet, Kinder mit Lebensmitteln versorge, die Kommune aber zu wenig gegen die Not in den Familien unternehme, so Gérard-Post.

Dabei werde die Situation immer schlimmer. Die Armut weite sich seit einigen Jahren auch in die Mitte der Stadtgesellschaft aus. „Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Wenn das so weiter geht, bekommen wir amerikanische Verhältnisse“, sagt sie. Die Folgen seien nicht zu unterschätzen: Hunger mindere die Konzentration der Kinder im Unterricht. Sie drohten dann in der Schule abgehängt zu werden. Ohne gute Noten, keine Lehre. Ohne Lehre kein guter Job. „Ein Teufelskreis, der in Einsamkeit und Ausgrenzung enden kann“, sagt Gérard-Post. So schnell geht das.

Weil Essen eben nicht alles ist, hat „Himmel un Ääd“ sein Programm mit dem Umzug in die neuen Räume am Barbarossaplatz ausgeweitet. Nach der Mittagsmahlzeit können die Kinder und Jugendlichen auch eine Hausaufgabenbetreuung und eine Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen.

Warmes Essen und Berufsvorbereitung

Daniela (Name geändert) und zwei Freundinnen sind 16 Jahre alt und seit einigen Monaten dabei. Ihre Note in der Hauptschule wurden in Englisch, Deutsch und Mathe schlechter, bessern sich aber mit jeder Zusatzstunde bei „Himmel un Ääd“. Zusätzlich bietet der Verein manchmal ein Berufsvorbereitungstraining an: In einem Kölner Hotel konnten die Jugendlichen Einblicke in den Beruf der Hotelfachkraft und des Kochs erhalten. Immerhin zwei Teilnehmer des Workshops konnte der Verein in eine Ausbildung vermitteln.

140 000 Euro durch Spenden gedeckt

Wie es künftig weitergeht mit dem Kindermittagstisch steht in den Sternen. Zwar ist das Budget für ein Jahr in trockenen Tüchern, sagt Gérard-Post. Darüber hinaus ist die Finanzierung aber nicht gesichert. Den Großteil der Arbeit stemmen ehrenamtliche Helfer, die zum Beispiel das Essen austeilen. Die Speisen werden von einem Hotel geliefert. Bezahlt werden müssen aber die festangestellte Mitarbeiterin sowie Honorarkräfte, die die Jugendlichen bei den Hausaufgaben betreuen. 120 000 bis 140 000 Euro benötigt der Verein pro Jahr, die er allein durch Spenden deckt. Gespendet wird unter anderem bei einem Golf-Turnier, das „Himmel und Ääd“ am Schlosshotel Miel im Swisttal veranstaltet ebenso wie bei einem Charity-Abend mit Tombola. Auch „wir helfen“ hatte den Verein in der Vergangenheit unterstützt.

Das könnte Sie auch interessieren: