AboAbonnieren

Planet Kultur e.V.Wo sich Tragik und Komik die Hand geben

Lesezeit 5 Minuten
Planet_Kultur_05072018-8 Isabel Horn

Isabel Horn als Landstreicher Wladimir in einem Auszug aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“.

"Life is a Cabaret“ ... Die Essenz des weltberühmten Songs, den die neun jungen Ensemblemitglieder von „Planet Kultur e.V.“ mit Verve und Talent zu Beginn ihrer Sommershow präsentierten – und vor ihnen keine andere als Liza Minelli tat – haben sie in den Monaten zuvor live und in Farbe erfahren: Ihre jährliche Aufführung im Depot2 der Bühnen Köln fiel ins Wasser, da die möglichen Termine mit den Prüfungen für die Schulabschlüsse der Jugendlichen kollidierten.

Planet_Kultur_05072018-32 Alisa Watteroth Munir Rohani

Alisa Watteroth als Athene und Munir Rohani als Herkules  in einem selbst geschriebenen  Stück  nach historischer Vorlage.

Die gemeinsam gestaltete Musical-Inszenierung ist seit zwölf Jahren der Höhepunkt des Integrations- und Ausbildungsprojektes unter Leitung von Lisa Mehnert: Macbeth, Othello, Peter Pan, Linie 15 und viele andere gelungene Inszenierungen mehr standen schon auf dem „Planet Kultur“-Programm.

Widrigkeit & Witz

So musste das Ensemble in diesem Jahr mit seinem überhitzten Proberaum in einem Südstadt-Hinterhof vorliebnehmen, wohin es 40 Gäste für eine Sommeraufführung geladen hatte – darunter auch das „Planet-Kultur“-Vorstandsteam mit Hedwig Neven DuMont („wir helfen“-Vorsitzende), Louwrens Langevoort (Intendant der Kölner Philharmonie), Carola Blum und „wir helfen“-Projektpate Ralf Becker (DuMont LiveKon-Geschäftsführer). In einer einstündigen Aufführung der überraschend anderen Art (statt eines in sich geschlossenen Stücks inszenierte das Team eine originelle, kurzweilige Variation aus Schauspiel, Tanz und Gesang) erlebten die Besucher zweierlei: Beeindruckendes musisches Können und die beneidenswerte Fähigkeit, widrigen Umständen mit Witz zu begegnen.

Emotionales Fitness-Studio

Denn neben der Aufführung auf einer großen Bühne musste das Team auch auf seine eigene Technik und eigene Instrumente verzichten, die kurz zuvor bei einem Einbruch in die Projekträume abhanden kamen. Life is a Cabaret... „Wenn sich in einem Projekt-Jahr die Schwierigkeiten derart häufen, bleibt uns in unserem emotionalen Fitness-Center nichts anderes übrig als darauf mit Humor und Improvisationstalent zu reagieren“, scherzte Projektleiterin Lisa Mehnert, bevor sich der Vorhang hob – und sich für die kommenden 60 Minuten Tragisches und Komisches die Hand gaben.

Planet_Kultur_05072018-234 Gruppe Planet Kultur

Das aktuelle "Planet Kultur"-Ensemble.

Wenn zum Beispiel Jeff Domingos, der einzig Schwarze des aktuellen Ensembles – dessen Eltern aus Afrika via Portugal nach Köln kamen – Heintjes „Mama“ präsentierte. Oder wenn sich die beiden energiegeladenen jungen Sinti-Frauen Isabel Horn und Shelby Mettbach in einem Auszug aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“ dem Zwang zu sinnlosem Warten hingaben. Dazu gesellten sich ein von Munir Rohani aus Afghanistan selbst geschriebener Song, den Gesangsdozentin Christina Schamei sensibel instrumentierte oder Ray Evans und Jay Livingstons Ohrwurm „Que Sera, Sera“ – in einer humorvoll bearbeiteten Fassung von Gesangsdozent Max Peters und der ironischen und fantasievollen Choreografie von Tanzdozentin Doreen Naß. Schließlich durfte auch Michael Jacksons und Lionel Richies Gänsehaut-Song „We are the World“ nicht fehlen.

Rabenschwarze Komödie

Planet_Kultur_05072018-206 Jeff Domingos Isabel Horn Munir Rohani

Szene aus der schwarzen Schwesternkomödie "Die Ratte".

Was dem Besucher beim ersten Überfliegen des Programms als lose Aneinanderreihung von Kunststücken erschienen sein mag, entpuppte sich spätestens bei dem Auszug aus Justine del Cortes bitterböser Schwesternkomödie „Die Ratte“ als durchdachte Komposition rund um „Eltern-Kind-Beziehungen“, ein Thema das alle Kulturen verbindet. Und somit auch die „Planet Kultur“-Teilnehmer zwischen 17- und 25 Jahren, von denen die meisten eine Zuwanderungs-, Fluchtbiografie oder andere ungünstige Ausgangslagen haben, die es ihnen schwer machen eine berufliche Perspektive zu entwickeln und eigene Talente zu entwickeln und zu fördern.

Planet_Kultur_05072018-189 Sarah Oberste Frielinghaus Munir Rohani

Praktikantin Sarah Oberste-Frielinghaus (links) und Munir Rohani.

Bei Lisa Mehnert und ihrem zwölf-köpfigen Planet Kultur-Team werden seit 2004 bis zu 20 Jugendliche ein Jahr lang in Tanz, Gesang und Schauspiel unterrichtet – und nebenbei in allen klassischen Schulfächern wie Deutsch, Mathe und Englisch. Zusätzlich bieten ihnen die professionellen Lehrer und Künstler von „Planet Kultur“ jede Hilfe und Beratung, die sie brauchen, um sich zu Schulabschluss oder Ausbildung zu motivieren – und so Wege in eine sichere Zukunft zu finden.

Anerkennung und Applaus

„Berufsorientierte Maßnahme“ nennt sich das Projekt im Behördendeutsch, das von Beginn an auch vom Verein „wir helfen“ unterstützt wird. Dessen Vorsitzende, Hedwig Neven DuMont, die sich von Stunde Null an im „Planet Kultur“-Vorstand engagiert, hält das Projekt sehr hoch, da die kulturelle Arbeit neben ausdrucksstarken Auftritten vor allem „Teamgeist und Disziplin voraussetzt und die Jugendlichen aus ihrer Außenseiter-Rolle befreit.“ Indem sie ihnen, die bislang nur wenige Erfolge in ihrem Alltag verbuchen können, neben einem Schulabschluss Anerkennung, Applaus und damit auch Wertschätzung bringe. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass ein erfolgreicher Bühnenauftritt Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen wachsen lässt.

Endlich Schulabschluss

Davon weiß auch Isabel Horn im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied zu singen. Die schauspielerisch und gesanglich begabte 20-Jährige hat dank Lisa Mehnert und ihrem Team zwei Tage zuvor ihren Hauptschulabschluss mit 2,0 gemeistert. „Lange Zeit war mein Selbstbewusstsein im Keller, ich habe mehrere Anläufe und Schulwechsel gebraucht, um meinen Abschluss auf die Reihe zu kriegen,“ gesteht sie, „auch wegen meiner Minderwertigkeitskomplexe. Aber hier schäme ich mich für nichts, auf der Bühne fühle ich mich pudelwohl und im Team wie ein Familienmitglied.“ Isabel hat vor zwei Jahren die Hauptrolle Tinker Bell im Musical „Peter Pan“ gespielt. Seitdem träumt sie von einer Karriere als Musical-Star „und einem Realschulabschluss, den ich mit Rückendeckung von Planet Kultur bestimmt auch noch schaffen werde.“

Planet_Kultur_05072018-158 Sarah Oberste Frielinghaus

Praktikantin Sarah Oberste-Frielingshaus als "Miriam, in Schwarz".

Räume dringend gesucht

„Tommorow belongs to me“ heißt ein weiterer Welthit aus dem Musical „Cabaret“ – Damit Isabel und möglichst viele andere Jugendliche gemeinsam mit dem Team auch weiterhin an einer gelungenen Zukunft arbeiten können, ist „Planet Kultur“ auf neue Räume angewiesen. Der Verein sucht ein rund 600 Quadratmeter großes Gebäude, das Platz für zwei große Proberäume, für vier Klassenräume , einen Aufenthaltsraum, eine Küche und drei Büros bietet.

Das könnte Sie auch interessieren: