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Kohleausstieg 2030„Hier wird das Recht gerade mit Füßen getreten“

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Der Braunkohlebagger ist von der Mahnwache nur noch knapp 150 Meter entfernt.

Lützerath – Im Rücken der Braunkohlebagger, keine 150 Meter entfernt, der sich stoisch an der Abbruchkante des Tagebaus Garzweiler II entlangfrisst. Vor ihm sein denkmalgeschützter Bauernhof und die Wiese, auf der das Camp der Kohlegegner entstanden ist.

Dazwischen sitzt Eckardt Heukamp, der letzte Landwirt von Lützerath, über dessen Schicksal der 21. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster Ende März mit einem Beschluss entscheiden wird. Wird sein Hof abgerissen, das Gelände gerodet oder darf er bleiben? Neben ihm seine Mitstreiter verschiedener Initiativen, die alle für den Erhalt der vom Tagebau bedrohten Ortschaften kämpfen.

Kohlebagger rückt dem Heukamp-Hof immer näher

Diejenigen, die gekommen sind, wollen zeigen, dass der RWE-Konzern sich nicht an die Abmachungen hält, die in der Leitentscheidung der Landesregierung vom März 2021 festgehalten wurde. Danach muss der Mindestabstand zwischen den Dörfern und der Abbaugrenze 400 Meter betragen. Das wird augenscheinlich nicht eingehalten.

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Landwirt Eckardt Heukamp bei einer Pressekonferenz an der Mahnwache in Lützerath.

„Zudem hat das Gericht entschieden, dass keine vorbereitenden Maßnahmen für den Kohleabbau stattfinden dürfen“, sagt Heukamp und dreht sich kurz zu dem Bagger um. „Hier wird das Recht gerade mit Füßen getreten. Der Bagger kommt immer näher, obwohl die Entscheidung in Münster noch nicht getroffen wurde.“ Überrascht habe ihn das Vorgehen von RWE nicht. „Das haben die immer schon so gemacht. Wo sind denn die Politiker, die sich sonst so gern für RWE einsetzen, wenn es um Entschädigungen geht? Wo sind sie jetzt, wenn es um Abstandsregelungen geht?“

Beschwerde bei der Bezirksregierung Arnsberg

Die Initiativen haben sich nach eigenen Angaben darüber bei der Bezirksregierung Arnsberg beschwert, bei der die Bergbehörde angesiedelt ist. Eine Antwort habe man bisher nicht erhalten. Auf Nachfrage erklärt die Bezirksregierung, die Antwort sei am 8. März per E-Mail verschickt worden. Danach gilt die 400 Meter-Regelung nur für sogenannte Tagebauranddörfer. Weil Lützerath zum größten Teil schon umgesiedelt sei, müsse dort nur noch eine Sicherheitszone von 100 Meter eingehalten werden. „Dieser Abstand ist sicher eingehalten, daher ist ein Handeln seitens der Bergbehörde nicht notwendig", so die Bezirksregierung.

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Doch da ist noch eine Angst, die die Kohlegegner umtreibt. Angesichts des Putin-Kriegs gegen die Ukraine werden die politischen Stimmen lauter, die den geplanten vorgezogenen Kohleausstieg auf 2030 überdenken wollen.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) fordert, man müsse sich Gedanken machen, „ob die Zeitschiene für der Kohleausstieg 2030 real ist“. Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) fordert ebenfalls, die Ausstiegsbeschlüsse zu Kohle und Atomkraft neu zu diskutieren. Man müsse „die Scheuklappen beiseitelassen“.

Ministerpräsident Wüst will an Ausstiegsfahrplan festhalten

Solche Töne sind aus NRW noch nicht zu hören. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bekräftigt die Bereitschaft, an dem vorgezogenen Ausstieg festzuhalten. „Wir haben einen Ausstiegspfad beschrieben. Entlang dieser Verabredung müssen wir jetzt mit Blick auf die neue Bedeutung des Themas Versorgungssicherheit noch einmal sehr genau abwägen. Es gibt das klare Bekenntnis zu den Klimazielen und zum Kohleausstieg.“ Der erste Schritt sei jedoch, unabhängig von russischen Energieimporten zu werden, in einem zweiten Schritt sich „so weit es geht“ von der Nutzung fossiler Energieträger zu verabschieden.

Den Aktivisten von Lützerath geht das nicht weit genug. „Niemand will, dass in Schulen und Krankenhäusern das Licht ausgeht“, sagt Linder Birkenfeld von der Initiative „Lützerath lebt!“ Das dürfe aber nicht dazu führen, den Krieg in der Ukraine zu instrumentalisieren. „Klimakrise und Krieg werden gegeneinander ausgespielt. Mit dem Weiterbetrieb dieser Kohlemine ist keinem Menschen in der Ukraine geholfen. Solidarität bedeutet einen radikalen Kurswechsel in der Energiepolitik.“

Aktivisten: Den Krieg nicht instrumentalisieren

Für Christopher Laumanns von „Alle Dörfer bleiben“ läuft diese politische Debatte vollkommen an der Realität vorbei. „Auf Bundesebene wird der Ausstieg vom Kohleausstieg gar nicht diskutiert.“ Schließlich sei die Braunkohle kein Wärmelieferant. „Es geht um den kurzfristigen Ersatz von Gas und Öl.“

Und was sagt Landwirt Heukamp, dessen wertvolle Lößböden gerade Meter für Meter abgebaggert werden? „Solange wir Putins Krieg täglich mit einer Milliarde Euro finanzieren, weil wir immer noch Gas und Öl aus Russland kaufen, werden wir ihn nicht stoppen.“ Deutschland habe sich viel zu lange von Putin „bequatschen“ lassen. „Jetzt wissen wir, dass das ein großer Fehler war.“

Ob die aktuelle Energiekrise die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über seinen Hof und seine Existenz beeinflussen wird, könne er nicht beurteilen. „Ich kann nichts dafür, dass unsere Politik in der Vergangenheit versagt hat. Für mich ist der Druck größer.“