Köln – Der Schock saß tief, als vor wenigen Tagen die Post vom Gasversorger kam. Die Belkaw, eine Tochter der Rheinenergie, eröffnete dem Burscheider Industrie-Unternehmen Fietz, dass der Versorgungsvertrag im September auslaufe und man dem Familienunternehmen keinen neuen Vertrag mehr anbieten könne. „Wir bekämen dann Gas nur noch zum aktuellen Tagespreis. Das ist der helle Wahnsinn“, sagt Firmenchef Maryo Fietz. Derzeit belaufen sich die Gas-Kosten für den Industriebetrieb auf bis zu 45.000 Euro im Jahr. „Ohne Vertrag wären das mehr als 100.000 Euro – das würde richtig weh tun“, sagt Fietz. Nun sei man auf der Suche nach einem neuen Anbieter.
Trotzdem hat das Familienunternehmen schon lange vor dem Ukraine-Krieg und der Gaskrise vorgesorgt und sich energetisch komplett neu aufgestellt. „Wir wollen so weit wie möglich autark werden und im Sinne des Klimaschutzes 2030 klimaneutral sein“, so Fietz. Da sei Kreativität gefragt und die brächten gerade mittelständische Familienunternehmen in der Regel ohnehin oftmals mit.
Corona-Pandemie genutzt
Die Fietz-Gruppe wurde 1974 in Burscheid von Maryo Fietz’ Vater in einer Garage als Ein-Mann-Betrieb gegründet. Heute erwirtschaften rund 250 Mitarbeitende an vier Produktionsstandorten einen Jahresumsatz von 35 Millionen Euro. Das Unternehmen verarbeitet Kunststoff – zum größten Teil Dichtungen für Hydraulik und Pneumatik für die chemische sowie die Autoindustrie. Dichtungen von Fietz finden sich etwa in Motoren und im Fahrwerk. Zu den größten Kunden zählen die namhaften deutschen Zulieferer, die die Produkte in ihre Komponenten für die Autohersteller einbauen.
Maryo Fietz führt das Unternehmen in zweiter Generation. Auch sein Sohn Roman ist seit acht Jahren in der Firma und übernimmt zunehmend das operative Geschäft. „Wir haben schon einige Krisen gut gemeistert, wie etwa die Finanzkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman, wo erstmals die Erfolgskurve steil nach unten ging“, sagt Fietz im Rückblick. Auch die Corona-Pandemie und die Lockdowns habe man vergleichsweise gut überstanden – und die Zeit genutzt. „Wir haben den gesamten Betrieb auf Energiesparpotenziale überprüft – für den Klimaschutz und unsere Unabhängigkeit“.
Solarenergie und Wärmespeicher
Im vergangenen Jahr wurde eine Photovoltaik-Anlage auf dem Firmendach installiert. Damit produziert Fietz 530 Kilowatt. Eine zweite geht in Kürze in Radevormwald in Betrieb, mit einer Leistung von 330 Kilowatt. Damit spart das Unternehmen im Jahr 100.000 Euro. Der Strom wird zum größten Teil für die Produktion genutzt, die kein Gas benötigt, und er wird nur an den Wochenenden ins Netz eingespeist, was allerdings kaum Ertrag abwirft. Das überschüssige Volumen wird künftig mithilfe von Wärmespeichern zum Heizen der Firma genutzt. Die Speicher sollen vor dem Herbst in Betrieb genommen werden.
Darüber hinaus nutzt Fietz Wärme, die während der Produktion entsteht. „Wir erzeugen in der Fertigung Druckluft mit Strom. Bei der Komprimierung von Druckluft entsteht Wärme. Die lassen wir über einen Wärmetauscher laufen. So erhitzen wir unser Heizungswasser und Duschwasser für die Mitarbeiter.“ Damit könne die Heizung für eine Übergangszeit und bis zu einer Außentemperatur von acht Grad komplett ohne Gas betrieben werden. „So konnten wir im vergangenen Jahr fast die Hälfte des Gases einsparen.“ Ziel sei nun eine Einsparung von weiteren Zwei-Drittel des bereits reduzierten Gasverbrauchs. Investiert hat das Unternehmen auch in eine effizientere Heizungsanlage.
Am Standort Radevormwald wird zudem aktuell eine neue Logistikhalle gebaut, die klimaneutral und über die Photovoltaik/Wärmepumpe und Abwärme komplett ohne Fremdenergie betrieben wird
Insgesamt 750.000 Euro hat das Unternehmen in die Energieeffizienz investiert. In den nächsten zwei Jahren will Fietz noch einmal den gleichen Betrag für Energieautarkie ausgegeben. „Die Investition lohnt sich. Schon bei geringeren Energiepreisen amortisiert sich das Ganze in acht Jahren.“ Bei dem nun höheren Preisniveau wohl schon in vier Jahren. Dank guter und langjähriger Kontakte zu seinen Handwerkern gab es auch keine größeren Verzögerungen beim Ein- und Umbau.
Einen solchen Schritt zu gehen, dazu ermutigt Maryo Fietz auch andere Unternehmen. „Man sollte den gesamten Betrieb mit einem Energieberater überprüfen. Bei uns war Potenzial groß, deshalb haben wir gehandelt.“ Nebenbei erfreuen sich die Mitarbeitenden mittlerweile auf dem Gelände auch an Blumenwiesen und Bienenstöcken. „Ein klimabewusstes Verhalten macht einen auch als Arbeitgeber auf der Suche nach neuen Fachkräften attraktiv“, sagt Fietz.