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VerordnungswirrwarrWie sich in Kölner Geschäften plötzlich alle Türen öffneten

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City

Kunden beim Einkaufsbummel in der Kölner Schildergasse am Montag

Köln – Fragende Blicke dominieren die Warteschlange vor dem Eingang der Media-Markt-Filiale an der Hohe Straße in Köln, als am Montagmittag um kurz vor 13 Uhr die Zugangsbeschränkungen zu dem Geschäft unvermittelt aufgehoben werden. Der Sicherheitsdienst und Mitarbeiter des Technikmarkts geben den Weg frei und fast alle der rund 20 wartenden Kunden nehmen die Einladung kurz darauf an und strömen in das Geschäft.

Rund zwei Stunden zuvor hat das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster sämtliche Vorschriften der Corona-Schutzverordnung zur Beschränkung des Einzelhandels vorläufig außer Vollzug gesetzt. Sie seien mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar, heißt es in der Urteilsbegründung. Das Land als Verordnungsgeber habe seinen Spielraum bei der Ausgestaltung der Regeln überschritten, als es Buchhandlungen, Gartenmärkten und Schreibwarengeschäften Anfang März erlaubte, Kundinnen und Kunden ohne Terminvereinbarung zu empfangen – allen anderen Einzelhändlern aber strenge Auflagen machte. Dazu gehört neben der Terminvereinbarung auch die Kundenbegrenzung auf eine Person pro 40 Quadratmetern Verkaufsfläche, anstatt pro zehn oder 20 Quadratmetern, je nach Geschäftsgröße.

Weil die Landesregierung bei ihrer Differenzierung keinen einleuchtenden Grund für unterschiedliche Regeln genannt hat, herrscht am Montag nach dem Urteil also plötzlich wieder Freiheit in der Innenstadt. Geklagt hatte ein Media-Markt per Eilantrag. Einkaufen, wo und wann man will, ohne Planung, ohne Rücksicht auf Corona-Regeln, das alles geht nun wieder – auf den Tag genau ein Jahr nach Verkündung des ersten Lockdowns.

Flüchtige Freiheit

Doch die Freiheit der Einzelhändler ist flüchtig und ihre Freude währt nur kurz. In Windeseile überarbeitet das NRW-Gesundheitsministerium die Corona-Schutzverordnung. Ab Dienstag in Kraft, gelten die verschärften Regeln nun für alle Einzelhändler mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften. Die Landesregierung setze die Maßgaben des Gerichts damit konsequent um, teilt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) wenige Stunden nach dem Urteil des OVG mit. „Damit werden aus Gleichheitsgründen auch für Schreibwarenläden, Buchhandlungen und Gartenmärkte Terminvereinbarungslösungen vorgesehen“, sagt Laumann.

Betroffen ist zum Beispiel Dinger’s Gartencenter. Auf 30 000 Quadratmetern verkauft Geschäftsführer Christian Dinger im Kölner Westen Pflanzen, Gartengeräte und Saatgut. Nach dem Hin und Her am Montag ist er verwirrt. Darf er jetzt sein gesamtes Sortiment anbieten oder nur verderbliche Ware wie Schnittblumen, was ja auch vor dem 8. März schon möglich war?

Die neue Fassung der Corona-Schutzverordnung verwirrt mit ihrer juristisch sperrigen Sprache voller Schachtelsätze nicht nur Dinger, sondern auch Teile des Ministeriums, das sie eilig aufgesetzt hat. Erst nach einer Nachfrage in der Fachabteilung kann eine Sprecherin gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ klarstellen, dass Gartenmärkte nur mit Terminen ab Dienstag das gesamte Sortiment anbieten dürfen, ohne Termine geht es wie zuletzt vor etwas mehr als zwei Wochen nur mit dem Mini-Sortiment.

Wie schnell aber können betroffene Geschäfte die verschärften Regeln umsetzen? „Bis morgen schaffen wir es jedenfalls nicht, Click & Meet für unsere Kunden anzubieten“, sagt Dinger dieser Zeitung. „Das trifft uns schon sehr hart, weil wir am Start der Frühlingssaison stehen. In dieser Saison machen wir jedes Jahr den überwiegenden Umsatz.“

Handel ist kein Pandemietreiber

Auf der einen Seite, so Dinger, habe er Verständnis für die Maßnahmen, „zumindest nach juristischen Maßstäben“, schränkt er ein. „Ich sehe aber weder Gartenmärkte noch andere Einzelhändler als Pandemietreiber“, sagt der Unternehmer. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 seien Bau- und Gartenmärkte schließlich auch geöffnet gewesen – „und trotzdem hatten wir sinkende Infektionszahlen“.

Der Handelsverband NRW springt Dinger in dieser Einschätzung bei. „Was wir brauchen, ist ein Strategiewechsel bei der Pandemiebekämpfung“, sagt eine Sprecherin. „Der Handel ist und war nie ein Infektionsherd.“ Inzidenzwerte, sagt sie, dürften nicht das einzige Beurteilungskriterium für einzuleitende Maßnahmen sein.

„Wichtig ist, dass das Gericht grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit unserer Maßnahmen erneut bestätigt hat“, sagt unterdessen NRW-Gesundheitsminister Laumann.

Und tatsächlich teilt das OVG nicht die grundlegenden Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen für den Einzelhandel, die der klagende Media-Markt in seinem Antrag geltend gemacht hatte. Vielmehr heißt es in der Mitteilung des Gerichts, die Beschränkung der Grundrechte der Einzelhändler sei „angesichts der gravierenden Folgen, die ein erneuter unkontrollierter Anstieg der Neuansteckungen für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen hätte, voraussichtlich gerechtfertigt.“