- Ralf Kieselbach war lange arbeitslos und alkoholabhängig – bis es bei ihm Klick machte und er sein Leben vollständig umkrempelte.
Köln – Ralf Kieselbach hat ein Gespür dafür, in Bildern zu sprechen. Wenn er beschreiben will, wie er sich nach seiner überwundenen Alkoholsucht gefühlt hat, dann sagt er: „Wie ein Rennpferd – und niemand macht die Klappe auf“. Seine Sprache ist voll von solchen Details: ein altes Leben, auf dem schon „jede Party getanzt“ gewesen sei, ein neues, in dem er gemerkt habe, „dass ein Sonnenaufgang schon sehr schön“ sein könne.
Seine Arbeit im Hotel am Chlodwigplatz nennt Kieselbach auch ein „Tetris-Spiel“. In einem der Zimmer im ersten Stock sind an einem sonnigen Frühlingsmittag die Möbel anderer Räume eng zusammengerückt, wie in einem Tetris-Spiel eben, denn es wird renoviert. Wände und Fußböden, Fußleisten alles wird neugemacht. Das Hotel soll ein neues, nachhaltiges Gesicht bekommen. Kieselbach arbeitet hier als Haustechniker. Er trägt Arbeitskleidung. In einem der leergeräumten Zimmer verlegt er neuen Boden.
Lange arbeitslos
Es ist Kieselbachs erste Anstellung in einer langen Zeit. Mehr als zehn Jahre war der 41-Jährige arbeitslos, bis er im Oktober den Job im Hotel am Chlodwigplatz antrat. Seine Stelle wird über das sogenannte Teilhabechancengesetz gefördert. Das Jobcenter trägt in den ersten fünf Jahren der Anstellung einen großen Teil seiner Lohnkosten: zunächst für zwei Jahre 100 Prozent, in den darauffolgenden dann jeweils 90, 80 und 70 Prozent. Die Beschäftigung erfolgt sozialversicherungspflichtig, mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten.
„Es geht darum, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren“, sagt Martina Würker, Geschäftsführerin des Kölner Jobcenters. Das Instrument soll Langzeitarbeitslosen den Übergang ins Berufsleben erleichtern – und ihnen eine langsame Eingewöhnung ermöglichen, wo ansonsten schnell Leistungsdruck aufgebaut wird. „Denn je länger jemand arbeitslos war, desto schwieriger ist der Wiedereinstieg“, sagt Würker. Sofort von null auf hundert Prozent – das sei nicht möglich. Die Erwartungen der Arbeitgeber, das Selbstvertrauen der Arbeitnehmer: all das müsse sich einpendeln.
Schild für das Büro
Kieselbach sagt, an seinem ersten Arbeitstag sei er „hochnervös“ gewesen. „Da waren so viele Gesichter, die ich kennenlernen musste. Alles war neu.“ Er bekam seinen Arbeitsplatz zugewiesen und Zeit, sich mit Material und Menschen vertraut zu machen. Als erstes baute er Schränke auseinander, bastelte ein Schild für sein kleines Büro: „Hausmeisterbüro, since 2020“ steht darauf. Es hängt immer noch dort. „Anfangs wurde ich an vieles herangeführt. Jetzt führe ich alleine“, sagt er.
Sein Weg in das kleine Hotel am Chlodwigplatz war ein ungewöhnlicher. Wenn man Kieselbach nach seinen biografischen Daten fragt, dann antwortet er so: 41 Jahre alt, Kölner, ledig, ein Sohn. Erst die Realschule, dann die Ausbildung zum Kaufmann für Logistik, dann die Bundeswehr. „Und da gings dann los.“ Kieselbach rutscht in die Alkoholsucht ab. „Ich konnte kein normales Leben mehr führen. Wenn ich um acht Uhr einen Termin beim Arbeitsamt hatte, bin ich um sechs Uhr aufgestanden, um mir meinen Pegel zurechtzutrinken.“ Bis es eines Tages Klick macht. „Aber wie erkläre ich jetzt, was genau der Klick war? Irgendwann war einfach jede Party getanzt.“
Kontakt über den Schwager
Kieselbach schafft den Entzug – und es folgt die Phase in seinem Leben, zu der die Rennpferdmetapher so gut passt. Am Ende ist es ein glücklicher Zufall, der ihn und die beiden Hotelbesitzer Sebastian Effinger und Manuel Berninger zusammenbringt. Effingers Schwager ist Kieselbachs Nachbar. „Er hat mitbekommen, dass sich bei Ralf etwas verändert und den Kontakt hergestellt“, sagt Effinger. Die Männer beschließen gemeinsam, ans Jobcenter heranzutreten, um die Förderung über das Teilhabechancengesetz zu beantragen.
Kieselbach hat seinen Job in einer Zeit gefunden, in der die konjunkturelle Entwicklung eigentlich gegen ihn arbeitete. Während das Kölner Jobcenter im Februar vergangenen Jahres 19 255 Langzeitarbeitslose zählte, waren es im Februar 2021 mit 25 806 ganze 34 Prozent mehr. Die Gesamtarbeitslosigkeit stieg in diesem Zeitraum mit 26,4 Prozent deutlich weniger stark. „Die Pandemie hat die Arbeitsmarktsituation für viele Menschen erschwert – das gilt in ganz besonderem Maße für die, die länger arbeitslos sind“, sagt Würker. Häufig fehlt den Betroffenen ein Berufsabschluss, sie arbeiten in sogenannten Helfertätigkeiten, die zuletzt immer weniger werden. „Wenn der Arbeitsmarkt sehr aufnahmefähig ist, finden auch Menschen mit geringer Qualifizierung einen Job. Aber aktuell hat niemand hat Kapazitäten, zusätzliches Personal einzustellen.“
„Kein arschteures Plastikhotel“
Auch Effinger und Berninger hätten sich einen Haustechniker ohne die Förderung nicht leisten können. Die beiden kommen nicht aus der Hotellerie. Sie leben selbst in der Südstadt, übernahmen das kleine Hotel von den Vorbesitzern, weil sie verhindern wollten, dass es in ein „0815 arschteures Plastikhotel verwandelt wird“, wie Effinger sagt. Er ist Facharzt für Gynäkologie, Berninger Fotograf und Designer. Mit Kieselbach bekamen sie den Mitarbeiter, den sie sonst nicht hätten bezahlen können – und Kieselbach den Job, den er so lange nicht gefunden hatte.
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Sie alle erzählen sehr offen. Wie das so war, am Anfang, was gut lief, wo es hakte. Effinger sagt, man habe Kieselbach zu Beginn bremsen müssen, weil er zu viel leisten wollte. Kieselbach sagt, er sei sich zu Beginn nicht sicher gewesen, wie er mit Berninger – den er nicht kannte – umgehen sollte. Berninger sagt, er habe lernen müssen, Kieselbach anfangs nicht mit Aufgaben zu überhäufen. Und: „Ich kenne kaum Menschen, die so gut reflektieren wie Ralf.“ Mittlerweile, sagt Kieselbach, sei er richtig im Flow. Effinger nennt ihn die Seele des Hauses. „Die Kurve geht nach oben“, sagt Kieselbach. „Wir laufen einen Marathon“, sagt Berninger. „Einen Ironman“, sagt Kieselbach.
Er erinnert sich, wie er Silvester 2020 mit seiner Familie am Küchentisch saß, in seinem ersten bezahlten Urlaub überhaupt. Während der Rest des Landes im Pandemie-Frust lag, blickte er auf „das beste Jahr überhaupt“ zurück – und optimistisch nach vorn. „Der Strick war schon gekauft. Auf dem tanzen heute meine Nymphensittiche.“