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Leitentscheidung zur Braunkohle in NRWFür fünf Dörfer gibt es keine Rettung mehr

Lesezeit 5 Minuten

Alt-Morschenich ist schon ein Geisterdorf und kann nun erhalten bleiben.

  1. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat den Entwurf der neuen Leitentscheidung für das Rheinische Braunkohlerevier vorgestellt.
  2. Das bereits größtenteils verlassene Dorf Alt-Morschenich soll demnach gerettet werden, für fünf andere gibt es dagegen keine Rettung mehr.
  3. Eine Übersicht über den neuen Entwurf – und wie Dörfer, Opposition und Aktivisten reagieren.

Düsseldorf – Vor dieser Erfahrung möchte Michael Dohmes (50), Ortsvorsteher des bereits umgesiedelten Dorfes Morschenich im Rheinischen Braunkohlerevier alle bewahren, denen dieses Schicksal noch bevorsteht. „Stellen Sie sich eine Beerdigung vor, bei der der Leichnam über Jahre in der Leichenhalle liegt und man ihn in dem Moment zu Grabe trägt, als feststeht, dass er gar nicht hätte sterben müssen“, sagt der CDU-Politiker. Zehn lange Jahre hätten sich die Dorfbewohner mit nur einer Frage beschäftigt: Werden wir uns irgendwann wohlfühlen in Neu-Morschenich?

Und jetzt, da bis auf wenige Bewohner alle umgezogen sind, spricht NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) im fernen Düsseldorf von Morschenich als einem „Ort der Zukunft“. Und meint damit das alte Morschenich, das wegen der Verkleinerung des Tagebaus Hambach „nicht mehr in Anspruch“ genommen werden müsse. Diese Nachricht überrascht die Morschenicher nicht. Bereits im Januar hatte der Energiekonzern RWE klargestellt, dass neben dem Hambacher Forst auch der alte Ort stehen bleiben kann. Oder besser das, was von ihm noch übrig ist.

Seit Donnerstag haben sie das schwarz auf weiß. Die schwarz-grüne Landesregierung hat dem Parlament den Entwurf der neuen Leitentscheidung für das Rheinische Braunkohlerevier vorgelegt, der im Frühjahr 2021 in ein Gesetz gegossen werden soll. Damit konkretisiert NRW die im Kohleausstiegsgesetz des Bundes vorgegebenen Regelungen. Bis zum 1. Dezember können sich Bürger, Städte, Gemeinden und Kreise in einem Online-Beteiligungsverfahren äußern.

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Tagebauführung verändern

Bei allem Bemühen, den Strukturwandel für die Menschen im Gebiet des Tagebaus Garzweiler II möglichst erträglich zu gestalten – die Leitentscheidung stellt klar, dass es für die fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich und Berverath keine Rettung mehr gibt. Spätestens 2028 werden sie verschwunden sein.

„Für eine gesicherte Energieversorgung bleiben Abbau und Verstromung von Braunkohle in NRW bis zum Abschlussdatum 2038 – möglichst schon 2035 – erforderlich“, sagt Minister Pinkwart. „Die Umsiedlungen in Erkelenz müssen fortgeführt werden.“ Mehr als die Hälfte der Bewohner aus den betroffenen Ortschaften seien bereits umgezogen. Rund 80 Prozent hätten ihre Umsiedlung verbindlich vereinbart.

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Um den Menschen vor allem in Keyenberg mehr Zeit zu geben, sich auf die Umsiedlung vorzubereiten, werde das Land vorgeben, dass RWE die Tagebauführung in Garzweiler verändert und von Süden nach Norden vornimmt. „Sie wird zeitlich vorrangig auf die unbewohnten Ortschaften Immerath und Lützerath ausgerichtet“, so Pinkwart. „So gewinnen wir einige Jahre Zeit, um auch für das letzte Umsiedlungsverfahren sozialverträgliche Lösungen zu finden.“

Verbesserte Abstandsregelungen

Auch bei den Abstandsregelungen will das Land nachbessern. Man komme dem Wunsch der Anwohner nach besserem Schutz vor Lärm und Erschütterungen nach, "indem wir die Abstände der Abbaugrenze des Tagebaus gegenüber den Ortsrändern von heute 100 bis 300 Metern auf 400 Meter vergrößern“, so der Minister. „Bei einem vorgezogenen Kohleausstieg in 2035 sogar auf 500 Meter.“

Die Landesregierung plant, den Hambacher Forst mit dem benachbarten Merzenicher Erbwald und einem weiteren Waldgebiet zu vernetzen, das dem Tagebau Hambach auch nicht mehr geopfert werden muss. Der Wirtschaftsminister fordert die Klimaaktivisten auf, den Hambacher Forst zu verlassen. „Die Vernetzung der Wälder und ihre gedeihliche Entwicklung könnten gefördert werden, wenn die rechtswidrig errichteten Baumhäuser endlich geräumt würden.“ Die Waldbesetzer sollen an die 100 Baumhäuser errichtet haben.

Kritik von den Grünen

Die Grünen werfen der Landesregierung vor, mit der Leitentscheidung neue Probleme zu schaffen. „Sie scheuen sich vor klaren Entscheidungen“, sagt die Grünen-Abgeordnete Wibke Brems im Landtag. „Die Dörfer könnten gerettet werden, wenn Sie es wollten.“ Letztlich würden Gerichte entscheiden, ob die Umsiedlungen fortgesetzt werden müssten, sagt Brems.

Erste Dorfbewohner seien bereits vor Gericht gezogen. Für die Bewohner sei es eine existenzielle Frage, wie es weitergehe. Die Leitentscheidung sei widersprüchlich. Einerseits solle um die betroffenen Dörfer zunächst „herumgebaggert“ werden, andererseits solle die Umsiedlung bis 2028 abgeschlossen sein. Brems fordert die Landesregierung auf, ein unabhängiges Gutachten erstellen zu lassen. „Es muss geklärt werden, wie viel Kohle aus energiewirtschaftlicher und klimapolitischer Sicht“ noch verantwortbar aus der Erde geholt werden müsse.

Widerstand angekündigt

Das Bündnis „Alle Dörfer Bleiben“ hat die Leitentscheidung als „Quatsch von vorgestern“ kritisiert und weiteren Widerstand gegen die Abbaupläne angekündigt. „Der Entwurf ist eine Katastrophe, er liest sich wie ein Plan von RWE-Managern. Wir Menschen aus den Dörfern wurden mal wieder völlig ignoriert“, erklärt Britta Kox aus Berverath in einer Mitteilung. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) werde seiner Verantwortung in keiner Weise gerecht.

„Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen“, betont David Dresen aus Kuckum in der Mitteilung und verweist auf verschärfte EU-Klimaziele: „Die Verfassungsbeschwerde gegen das Kohlegesetz hat gerade erst begonnen. Der Widerstand in unseren Dörfern ist so stark wie nie. Wir werden weiter um unser Zuhause kämpfen.“

RWE spricht von wichtigem Schritt

Der Energiekonzern RWE spricht in einer Stellungnahme von einem „wichtigen Schritt“ zur konsequenten Umsetzung des Kohleausstiegs. Der Entwurf gehe in Teilen über die Planung hinaus, die RWE auf Anforderung der Landesregierung im Februar vorgelegt habe. Man werde ihn prüfen und sich konstruktiv in das Beteiligungsverfahren einbringen.

Das alles interessiert in Neu-Morschenich nur am Rande. Dort fragt man sich, was Wirtschaftsminister Pinkwart meint, wenn er Alt-Morschenich zu einem Ort der Zukunft machen will. „Das muss etwas ganz Neues sein, ein Vorbild für Klimaneutralität“, sagt Ortsvorsteher Dohmes und gibt den Bewohnern der bedrohten Dörfer am Tagebau Garzweiler mit auf den Weg, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. „Die Dorfgemeinschaften müssen erhalten bleiben.“