Trotz aller Bemühungen der Europäischen Union, dem Sozialdumping im internationalen Speditionsgewerbe mit rechtlichen Mitteln beizukommen, wird der Wettbewerb auf Deutschlands Autobahnen immer gnadenloser.
Meine Geschichte 2024Das Strandgut eines gnadenlosen Transportgewerbes
In unserer Serie „Meine Geschichte 2024“ schreiben unsere Redakteurinnen und Redakteure über ihre ganz persönlichen Geschichten des Jahres.
Mitleid ist fehl am Parkplatz an einem Winter-Wochenende im Industriegebiet zwischen Niehl und Merkenich, wo ein eisiger Wind pfeift und die letzten Schneereste zwischen Dutzenden schwerer Zugmaschinen und Sattelschleppern konserviert, in dessen Fahrerkabinen das Fernfahrer-Prekariat aus halb Osteuropa pennt. Aus der Türkei und Tadschikistan, aus Aserbaidschan, Kasachstan, Georgien, Rumänien, Russland und der Ukraine. Vereinzelt sogar aus Afghanistan, Indien, Pakistan, dem Kongo und den Philippinen.
Willkommen in der EU. Die Gewerbegebiete rund um den Kölner Autobahnring sind die Rettungsinseln für die Gestrandeten eines gnadenlosen Transportgewerbes, das seit Jahren außer Kontrolle geraten ist, in dem ein mörderischer Preiskampf tobt, der Fahrer wie Dimitrij aus Kasachstan dazu zwingt, seit einem Jahr auf der Straße zu leben und auf der Pritsche in einem Campingkocher sein Mittagessen zuzubereiten.
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Meine Hoffnung: Die Arbeitsbedingungen hätten sich verbessert. Das Gegenteil ist der Fall
Ich hatte die Hoffnung, dass sich in den zwei Jahren, die ich mich mit den Arbeitsbedingungen der Fernfahrer nicht mehr beschäftigt habe, etwas zum Besseren gewendet hat. Das Gegenteil ist der Fall. Während eine Monster-Bürokratie bei der EU in Brüssel sich immer neue Paragrafen ausdenkt, um das Sozialdumping im Güterverkehr zu bekämpfen, wird der Wettbewerb nur noch gnadenloser.
Diesmal begleitet mich mein geschätzter Kollege Jan Bergrath, ein Fachjournalist, der zu den Arbeitsbedingungen im Transportgewerbe seit Jahren recherchiert und während seiner Studentenzeit selbst als Fernfahrer gejobbt hat. Er kann sehr genau einschätzen, ob die Geschichten stimmen, die man uns im Industriegebiet erzählt. Geschichten von gestohlener Ladung, abgezapftem Sprit oder Fahrern, die mitten auf der Tour von ihren Bossen rausgeschmissen werden, weil sie sich weigern, mit einem defekten Lkw weiterzufahren und ohne Geld und in der Tasche von Frankreich nach Kiew trampen müssen.
Diese Erfahrung hat meinen Blick auf die Lkw-Wand auf der rechten Spur unserer Autobahnen verändert. Im Vorbeifahren ertappe ich mich dabei, wie ich immer wieder auf die Kennzeichen schaue. Nicht aus Mitleid, sondern mit großem Respekt vor den Menschen, die täglich ums Überleben ihrer Familien kämpfen. Mitten in Deutschland.