- Nicht entdeckte Cum-Ex-Fälle drohen zu verjähren. Es mangelt an Ermittlern.
- Dabei geht es in vielen Fällen um einen milliardenschweren Schaden, den Steuerzahler zu schultern hatten.
- NRW-Justizminister Peter Biesenbach reagiert nun mit einer Verstärkung der Kölner Staatsanwaltschaft. Doch es droht ein Streit im Kabinett.
Köln – Was die Emissäre der Santander-Bank beim Treffen mit der Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker beichteten, hatte es in sich: Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“, räumten die Besucher ein, dass interne Untersuchungen bei der spanischen Großbank Cum-Ex-Deals in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu Tage gefördert hätten. Von Reue keine Spur. Man habe nicht geahnt, dass die Geschäfte illegal sein könnten.
Oberstaatsanwältin Brorhilker gilt als Pionierin im Kampf gegen den organisierten Cum-Ex-Steuerschwindel hierzulande. Der lateinische Begriff umschreibt ein Handelskarussell von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch, das sich vom deutschen Fiskus gleich mehrfach Kapitalertragsteuern erstatten ließ, die zuvor nicht abgeführt worden waren. Die Experten sprechen auch vom Dividendenstripping. Beteiligt sind mehrere Akteure an verschiedenen Schaltstellen, die den illegalen Gewinn nach vorheriger Absprache unter sich aufteilen. Der Schaden für den Steuerzahler erreicht Schätzungen zufolge zweistellige Milliarden-Beträge.
Protagonisten von 40 Geldinstituten
Im Fall der Santander-Bank versicherten die Spanier laut dem Jahresabschlussbericht 2019, mit den Kölner Strafverfolgern kooperieren zu wollen. Ein seltener Vorgang: „Bisher zeigen sich die Banken wenig kooperativ“, sagt Peter Biesenbach (CDU) dieser Zeitung. Der NRW-Justizminister spricht von einer „Steuerhinterziehungsindustrie“. Neben Brokern, Investoren und Finanzfirmen geraten nach und nach die Banken im Cum-Ex-Skandal ins Blickfeld. Protagonisten von etwa 40 Geldinstituten stehen allein auf der Ermittlungsliste der Kölner Staatsanwaltschaft. Angefangen bei der Deutschen oder der Commerzbank bis hin zu Meryll Lynch, Santander oder der Hamburger Warburg Bank.
Gegen die Mittelebene der Hanseaten ist gerade beim Bonner Landgericht die zweite Anklage eingereicht worden. Verantwortliche der schweizerischen J. Safra Sarasin Bank dürfen sich zum Jahresende auf eine Anklage wegen Betruges einstellen. Sie sollen über einen Luxemburger Fonds Gelder bei den Superreichen wie dem Drogeriekönig Erwin Müller oder dem Investor Carsten Maschmeyer eingesammelt haben, um über einen kriminellen Aktienkreisel die Einlagen zu vergolden. Daraus aber wurde nichts. 2011 verweigerten die zuständigen Finanzämter die Auszahlung der Steuererstattungen. Allein Unternehmer Müller soll 50 Millionen Euro verloren haben.
Bei der Wirtschaftsabteilung der Kölner Staatsanwaltschaft laufen bundesweit überwiegend die Ermittlungen in dem Riesenkomplex „Cum-Ex“ zusammen. Das liegt daran, dass man für das Bonner Bundeszentralamt für Steuern zuständig ist. Von dieser Behörde ließen sich die kriminellen Akteure die Kapitalertragsteuern erstatten, die sie zuvor nie gezahlt hatten. Die Cum-Ex-Hochphase lag zwischen 2005 und 2011.
Erst dann stopfte der Gesetzgeber das Schlupfloch.Inzwischen spricht die rheinische Justiz vom „größten Steuerraub der Geschichte“. Gerade in der Finanzkrise 2008/09 seien die Cum-Ex-Geschäfte „der einzige Cash-Bringer für die Investment-Banken gewesen“, erklärt Torsten Elschenbroich, Leiter der Schwerpunktwirtschaftsabteilungen der Kölner Staatsanwaltschaft. 68 Ermittlungskomplexe führen die zehn Strafverfolger seiner Cum-Ex-Einheit mit insgesamt 880 Beschuldigten. Es geht um einen Steuerschaden in Milliardenhöhe.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe soll nun klären, ob die Cum-Ex-Deals eine schwere Steuerhinterziehung darstellen. Sollte dem so sein, wollen die Kölner Steuer-Jäger Anklagen bis in die Chefetagen der betroffenen Bankhäuser erheben. „Denn solche Geschäfte werden von ganz oben gebilligt“, sind sich die Strafverfolger sicher.
Ein Kabinettstreit droht
Im Gespräch mit dieser Zeitung räumt der Oberstaatsanwalt mit Befürchtungen auf, dass etliche Verfahren, die in seinem Haus laufen, verjähren könnten. In dem Zusammenhang verweist der Strafverfolger auf das Neue Corona-Steuerhilfegesetz. Dieser Paragraf und andere Regelungen legen demnach die Verjährungsfristen weit nach hinten. „Das gilt für alle Fällen, in denen wir die Frist unterbrechen konnten.“ So gehen etwa Cum-Ex-Deals aus dem Jahr 2007 erst im 2037 endgültig zu den Akten. „Da bleibt reichlich Raum für eine Anklage“, resümiert der Oberstaatsanwalt.
Anders sieht es bei den Neuverfahren aus. Nach wie vor gehen die Ermittler von einem größeren Dunkelfeld in diesem illegalen Geschäftszweig aus. „Derzeit ist es die wichtigste Aufgabe, die drohende Verjährung bei neuen Verfahren zu unterbrechen“, resümiert der Chefankläger, „das geht nur über Durchsuchungen sowie beschlagnahmte Asservate schnell auszuwerten, um die Tatverdächtigen zu ermitteln.“
Vor dem Hintergrund hat Justizminister Biesenbach die Cum-Ex-Abteilung um weitere fünf Staatsanwälte auf 15 aufgestockt. „Alles, was wir jetzt finden, wird unterbrochen. Wir müssen schneller sein als die Verjährungsfristen“, betont der CDU-Politiker. Sollte sich das Arbeitsvolumen weiter erhöhen, will er 2021 fünf weitere Ankläger in die Abteilung geben. Damit gingen dann 20 Staatsanwälte in die Anti-Cum-Ex-Offensive.
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In dem Kontext drohen harte Kabinettsverhandlungen. Um die Sonderstaatsanwälte ausreichend zu füttern, werden mehr Ermittler bei der Polizei benötigt. Derzeit arbeiten nur fünf Beamte beim Landeskriminalamt (LKA) für die Kölner Steuer-Ankläger. Nach internen Berechnungen bräuchte man mindestens 40 bis 50 Finanzfahnder beim LKA, um den Cum-Ex-Berg zu bewältigen. Deshalb will Biesenbach mit seinem Parteikollegen, Landesinnenminister Herbert Reul, über ein großes Cum-Ex-Personalpaket beim LKA verhandeln. Schließlich sollen Milliarden für die Staatskasse zurückgeholt werden.
Allerdings setzt Reul derzeit andere Prioritäten: Der Law-and-Order-Hardliner hat den Kampf gegen Kindesmissbrauch und die Clankriminalität zur Chefsache erklärt und entsprechende Kontingente aus der Kriminalpolizei für diese Aufgaben abgezogen. Ressourcen, die angesichts der ohnehin knappen Personaldecke bei der Kripo in Bereichen wie Cum-Ex fehlen könnten. Und somit fiel die Antwort aus dem Hause Reul äußerst zurückhaltend aus. Tenor: In erster Linie fallen Steuervergehen in „die originäre Zuständigkeit der Finanzbehörden.“ Sprich der Steuerfahndung. Ob sich diese Sichtweise durchsetzt, bleibt abzuwarten.