Andre Carls hat als NRW-Bankenpräsident einen tiefen Einblick in die zukünftige Entwicklung des Bargelds.
Im Interview trifft er eine klare Aussage über die Perspektiven dieses Zahlungsmittels und erläutert, warum Alternativen auf der Überholspur sind.
Zudem erklärt er, was nachhaltige Investment-Richtlinien künftig für die Vergabe von Krediten bedeuten.
Köln – Herr Carls, hat der bisherige Verlauf der Corona-Pandemie eine mögliche Abschaffung des Bargeldes beschleunigt?
Wir beobachten einen klaren Trend zum bargeldlosen Zahlen. Der ist zwar nicht neu, wurde aber durch die Corona-Krise stark beschleunigt. Im März wurden mit 55 Prozent aller Umsätze erstmals die Hälfte aller Zahlungen unbar, also mit Karte oder per Smartphone getätigt. Das gilt in etwa für die umgesetzte Summe als auch für die Menge der Zahlungsvorgänge. Im April haben unsere Mitgliedsbanken bereits 57 Prozent gemessen. Viele Zahlungen dabei auch kontaktlos, seit das Limit dafür von vielen Banken auf 50 Euro verdoppelt wurde.
Warum haben die Menschen seltener Bargeld genutzt?
Wir dürfen sicher den Faktor Hygiene nicht unterschätzen. Außerdem ist das bargeldlose Bezahlen auch sehr bequem und schneller, man muss nicht umständlich im Portemonnaie an der Kasse suchen, während die anderen Kunden warten, sondern zahlt einfach mit Karte, Smartphone oder neuerdings auch mit seiner Fitnessuhr. Eine Studie der Postbank hat etwa ergeben, dass im Urlaub sogar 70 Prozent der Kunden lieber digital zahlen möchten als sich das Portemonnaie mit fremden Scheinen und Münzen voll zu machen.
Zur Person
Andre Carls ist Präsident des NRW-Bankenverbands und Mitglied der Geschäftsleitung Privat- und Unternehmerkunden West der Commerzbank.
Im Bankenverband sind neben den Großinstituten Deutsche Bank und Commerzbank auch diverse Privatbanken aus Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen.
Ist das auch der Grund, warum es in immer mehr Banken keine echten Kassenschalter in den Filialen mehr gibt?
Wir haben in der Tat viel weniger Kassen als noch vor Jahren, auch weil die Kunden das nicht mehr so nachfragen. Parallel zur rückläufigen Nutzung des Bargelds hat diesen Trend aber auch die Tendenz zu Geldautomaten bestärkt, die nicht nur Aus-, sondern auch Einzahlungen möglich machen. Außerdem ist die Möglichkeit dazu gekommen, sich kostenlos in Supermärkten und Tankstellen mit Bargeld zu versorgen.
Sparen Banken dadurch auch Geld?
Klar, Bargeldhaltung und -versorgung ist für Kreditinstitute wie auch den Handel teuer. Der logistische und der Sicherheits-Aufwand sind einfach hoch.
Wird der niedrigere Bargeldanteil auch nach Corona bestehen bleiben?
Ich glaube jedenfalls nicht an eine Umkehr. Die Kunden werden mehr und mehr die Vorzüge der neuen Zahlungsmethoden zu schätzen wissen.
Kartenzahlungen sind ja nichts Neues, es gibt nur mehr Akzeptanzstellen. Aber wie würden Sie mir erklären, warum ich Apple-Pay oder Google-Pay auf dem Smartphone brauche, wenn ich doch mit Karte genauso bequem zahlen kann?
Das Smartphone mit beiden konkurrierenden Systemen kann halt viel mehr als nur die Karte. Das ist praktisch meine mobile Finanzverwaltung, mit der ich auch Kontoabfragen oder Überweisungen tätigen kann. Das Smartphone ist die Brieftasche der Zukunft, insbesondere, wenn bei Apple-Pay nun bald neben Kreditkarten auch Giro-Karten hinterlegt werden können.
Bedeutet dieser Trend das Ende des Bargeldes, und wenn ja: Wann?
Das Bargeld bleibt auf jeden Fall, da bin ich mir sicher. Das zeigen auch Länder, die radikaler das Bargeld zurückgedrängt haben wie im Baltikum oder in Schweden. Aber die Nutzung wird auf ein Minimum beschränkt werden. Kleine Beträge wie Trinkgelder werden noch eine Weile bar gezahlt werden. Doch auch da zeigt das Beispiel Schweden, dass es anders geht. Dort verfügen Obdachlose über mobile Kartenlesegeräte, mit denen Spenden abgerechnet werden. Und es funktioniert, ganz ohne Münzen und Scheine. In Londoner U-Bahnen gibt es keine Tickets mehr, weil die Pendler beim Betreten und Verlassen der U-Bahn-Station ihre Kreditkarte durchziehen und so das virtuelle Ticket bezahlen. Das hat ein cleveres Fintech erfunden. Es wird noch viel mehr solcher Lösungen geben.
Aber führt nicht eine Reduzierung des Bargeldes zu einem Verlust der Kontrolle über meine persönlichen Finanzen?
Ganz im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, dank Mobil- und Online-Banking haben die Menschen einen viel präziseren Überblick über ihre privaten Geldgeschäfte. Am Smartphone oder Bildschirm das virtuelle Haushaltsbuch auf einen Blick, das ist doch viel praktischer als ein Wust am Automaten gezogener und abgehefteter Konto-Auszüge. Umweltfreundlicher ist es auch, wenn ich weniger Papier produziere.
Apropos umweltfreundlich. 16 deutsche Banken haben am Dienstag eine Selbstverpflichtung für mehr Klimaschutz unterzeichnet. Sie verpflichten sich, ihre Kredit- und Investmentgeschäfte bis 2022 in Einklang mit den Pariser Klimaschutzzielen zu bringen. Was bedeutet das für Banken, Kreditvergabe und Kunden?
Schon seit einigen Jahren haben wir Nachhaltigkeitskriterien in unsere Geschäftspolitik verankert. Wir kennzeichnen nachhaltige Investments und weisen unsere Kunden auf Anlagen hin, die den Klimaschutz fördern und anderen sozialen und ethischen Standards unterliegen.
Heißt das, dass Sie sagen: Halt, Moment, wenn jemand bei Ihnen eine Order für Aktien von Rheinmetall oder RWE aufgeben will?
Das muss man differenzierter betrachten. Viele Unternehmen sind jetzt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Ausrichtung. Diese begleiten wir mit Transformationsfinanzierungen, beispielsweise bei der Umstellung von Kohle auf Wasserstoff bei der Energiegewinnung.
Heißt das für den Firmenkundenbereich auch, dass Sie bestimmten Branchen Kredite verweigern?
Ja, das wird kommen, zumindest werden Finanzierungen bei schlechten Ratings teurer. Die EU legt gerade konkrete Nachhaltigkeitskriterien fest, die die Banken bei ihrer Kreditprüfung und -entscheidung berücksichtigen müssen. Darauf sollten sich Unternehmen vorbereiten,
Was wäre denn aus Ihrer Sicht nicht nachhaltig? Der Begriff ist ja dehnbar.
Nachhaltigkeit ist mehr als nur Klimaschutz. Wir orientieren uns da an den 17 Zielen der Vereinten Nationen. Schon heute finanzieren Banken vielfach nichts mehr, was gegen Umweltschutz- und Menschenrechtsnormen verstößt, dazu gehören beispielsweise Kohle- und Kernkraftwerke oder Rüstung.