Der zweite Lockdown ist da, Restaurants und Bars sind dicht. Der Unmut darüber ist groß. Thorsten Breitkopf, Leiter der Wirtschaftsredaktion, hat mit NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart darüber gesprochen und wie er den Spagat zwischen Schließungen und der Position seiner Partei, der FDP, zu der Freiheitsbeschränkung schaffen will.
Herr Pinkwart, Sie sprachen neulich vor der Presse von einer „nachhaltige Strategie ab Dezember“. Was verstehen Sie darunter konkret?
Andreas Pinkwart: Im Moment handeln wir ja aus der Not heraus, um den exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen zu stoppen. Dabei arbeiten wir auf der Grundlage, dass wir bei kritischen Marken von wöchentlich 35 oder 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner gegensteuern müssen. Jetzt stellt sich erstmal die Frage, können wir bis Monatsende die Welle brechen? Und wie können und müssen wir reagieren? Und Zweitens: Wie können wir diese Strategie weiterentwickeln von einem reinen Krisenmanagement hin zu einem differenzierten Risikomanagement? Dazu brauchen wir nach meiner Überzeugung umfassendere Referenzwerte, die unter anderem neben den Infektionen auch die materiellen und personellen Kapazitäten in den Krankenhäusern und die Verfügbarkeit von Tests einbeziehen sollten, um uns ein verlässliches Gesamtbild der Lage zu geben.
Wir müssen beispielsweise den Schutz der vulnerablen Gruppen stärker in den Vordergrund stellen, auch durch prophylaktische Testungen und leistungsfähige Masken. Zudem müssen wir die Gesundheitsämter endlich digitalisieren, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Hilfe medienbruchfreier Meldeketten Infektionen auch bei steigenden Zahlen schneller nachverfolgen können. Zudem brauchen wir eine gezieltere Information der unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft wie sie sich und andere besser schützen können.
Dennoch gibt es viel Kritik. Was machen Sie falsch?
Es ist ja verständlich, dass sich die Bürgerinnen und Bürger wie die Unternehmen in der Gastronomie sowie im Freizeit- und Kulturbereich mit den neuerlichen Einschränkungen, die ihnen zugemutet werden, schwertun. Deshalb muss die Politik massiv um Verständnis werben. Die jetzige Situation ist ja beispiellos. Nun kommt es darauf an, Kontakte zur vermeiden, um die Kette der Neuansteckungen zu durchbrechen. Denn leider ist bei der erschreckenden Zahl von 75 Prozent der Neu-Infizierten nicht nachvollziehbar, wo sie sich angesteckt haben.
Sie sagen selbst, drei Viertel aller Infektionen seien nicht nachvollziehbar. Aber für die Branche scheinbar willkürlich schließen Sie Bars und Restaurants. Ohne überhaupt zu wissen, ob es dort zu einer Ansteckung kam. Viele bezweifeln, dass das Risiko dort höher ist als anderswo. Ist das verhältnismäßig?
Es ist eine äußerst schwierige Abwägung mit extremen Härten. Bund und Länder haben entschieden, dass Bildung und große Teile der Wirtschaft weiter aufrechterhalten werden und wir Kontakte an anderen Stellen reduzieren.
Aber im privaten Bereich gab es mehr Ansteckungen als in Hotels und Restaurants…
Sie haben Recht: Manche haben sich in den vergangenen Monaten nicht verantwortlich verhalten. Dass Gastronomie, Hotels und auch der Kulturbetrieb nun diese Sonderlast tragen müssen, ist für die Betroffenen besonders bitter, die in den letzten Wochen und Monaten aufwendige Hygienekonzepte umgesetzt und dafür viel Geld ausgegeben haben, obwohl hier kein herausragendes Ansteckungsrisiko vorliegt. Daher müssen sie jetzt auch angemessen entschädigt werden. Das ist auch klar.
Wie soll diese Sonderlast für Hotels und Gaststätten denn entschädigt werden?
Für den November muss es eine angemessene Entschädigung geben: Der Bund muss den direkt und indirekt Betroffenen schnell und unbürokratisch helfen. Nach allem, was wir bisher wissen, sollen Soloselbständige und Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern 75 Prozent der Umsätze des Vergleichszeitraums im Vorjahr oder des Durchschnittsumsatzes des vergangenen Jahres erhalten, das wäre ein fairer Ansatz. Auch für größere Betriebe sind Entschädigungszahlungen vorgesehen. Der Bund entwickelt gerade sein Konzept und stimmt es mit den Ländern ab. Jetzt muss jetzt alles getan werden, damit die Hilfe nicht zu spät kommt. Dafür setzen wir uns beim Bund massiv ein.
Wer soll das bezahlen? Und wie?
Pinkwart: Der Bund und zwar möglichst schnell und unbürokratisch. Am besten wäre es, wenn es so ähnlich liefe, wie wir es in Nordrhein-Westfalen beim ersten Lockdown im März/April bei der Soforthilfe vorgemacht haben. Dafür müssen jetzt aber noch die Voraussetzungen geschaffen werden.
Werden auch die Lieferanten der Gastro-Firmen, die genauso leiden, für diese Sonderlast entschädigt?
Die Entscheidung steht aus. Wir sind in enger Abstimmung mit allen Verbänden der betroffenen Branchen und koppeln dies mit dem Bund unmittelbar zurück.
Ihr Parteichef Christian Linder hat gesagt, er habe große Zweifel, ob die Maßnahmen wirksam sind, die Pandemie zu bremsen. Er spricht von „Stillstand“ und einem „künstlichen Koma“. Maßnahmen und damit einhergehende Freiheitseinschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie müssten sehr genau abgewogen werden, „damit sie nicht ihrerseits eine große Gefahr für den Zusammenhalt und auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens darstellen.“ Wie stehen Sie dazu?
Was Christian Lindner gesagt hat, ist nicht von der Hand zu weisen: Wir stehen in der Verantwortung, zu handeln und müssen selbstkritisch bleiben. Fest steht: In dieser Krise haben Bürger und Unternehmen wie auch Politik und öffentliche Verwaltung viel geleistet, um die Krise zu meistern. Bestimmt gibt es aber auch Versäumnisse. Die Frage muss doch jetzt sein: Wie können wir diese schnell beseitigen, um es besser zu machen?
Wenn Sie von Selbstkritik sprechen, was konkret würden Sie denn besser machen, wenn Sie die Uhr auf Sommer zurückdrehen könnten?
Wir steckten noch im akuten Krisenmodus und haben uns nicht darauf vorbereitet, wie wir als Gesellschaft mit dem Virus auch auf mittlere Sicht leben können. Dazu gehört zum Beispiel die verbesserte digitale Ausstattung der Gesundheitsämter, um den Informationsaustausch zu professionalisieren. Daran arbeiten wir jetzt. Unterschätzt haben wir möglicherweise die mit der Rückkehr aus dem Urlaub einhergehenden Risiken. Da sind auch Pannen passiert: Testergebnisse waren falsch oder ließen lange auf sich warten wie beispielsweise in Bayern. Und wir haben die von Familienfeiern ausgehenden Risiken nicht richtig einschätzen können.
Was lief denn gut, aus Ihrer selbstkritischen Sicht?
Die Bürger haben sich im ersten Lockdown außerordentlich verantwortungsvoll verhalten, Politik und Verwaltung haben einen guten Job gemacht. Wirtschaft und Industrie wie auch Gastronomie, Kultur und Freizeit haben sich mit Akribie fit gemacht für den Betrieb in der Pandemie. Und das läuft vorbildlich. Bei Ford in Köln gibt es 218 Regeln zu dem Thema und das Werk läuft. Ingenieurmäßig wird da über die Hygiene gewacht. Und es funktioniert.
Messen und Flughäfen, beide in Köln und Düsseldorf, sind am härtesten getroffen von der Pandemie, sogar ohne Lockdown. Werden Sie Hilfen bereitstellen?
Wir haben ja den öffentlichen Unternehmen über einen Rettungsschirm seitens des Landes über die NRW Bank fünf Milliarden Euro bereitgestellt. Die Situation ist doppelt tragisch, weil die pandemiebedingten Einbußen der Messen auch Hotellerie und Gastronomie treffen. Ein Mutmacher war der Caravan-Salon in Düsseldorf als bislang einzige Präsenzmesse in Corona-Zeiten. Und sie lief offenbar ohne Ansteckungen, weil sie perfekt organisiert war. Das kann Hoffnung machen, genau wie die Hygiene-Anstrengungen bei Ford in Köln oder Daimler in Düsseldorf und bei unzähligen mittelständischen Betrieben von Handwerk, Handel und Gewerbe.
Was sagen Sie den Solo-Selbstständigen in NRW, die keine Milliarden bekommen wie Messen und Flughäfen?
Mit der November-Nothilfe will der Bund den Soloselbstständigen erstmalig auch die fixen Lebenshaltungskosten erstatten. Eine derartige Berücksichtigung erwarten wir auch für die Überbrückungshilfe III, die der Bund 2021 starten will.
Bislang ist das Land Nordrhein-Westfalen in die Bresche gesprungen und hat den Soloselbstständigen bei der Soforthilfe pauschal 2000 Euro angerechnet und jetzt bei der Überbrückungshilfe monatlich 1000 Euro gezahlt. Damit sind wir bundesweit eines der wenigen Länder, die das tun. Das war uns wirklich wichtig, weil wir die besondere Betroffenheit vieler Künstler, Freelancer und Soloselbstständigen sehen.