- Die rheinischen Bauern haben nach dem Lebensmittelgipfel am Montag im Kanzleramt schwere Vorwürfe gegen die Handelskonzerne erhoben.
- Bernhard Conzen ist Präsident des Rheinischen Landwirtschaftsverbands. Er fordert den Schutz vor Billig-Erzeugnissen aus Lateinamerika und höhere Preise für Lebensmittel in Deutschland.
- Wie das gelingen könnte, erklärt er im Interview.
Herr Conzen, wie bewerten Sie den Ausgang des Lebensmittelgipfels bei Kanzlerin Angela Merkel?
Bernhard Conzen: Es ist zumindest gut, dass die Politik eine gewisse Sensibilität für den Mehrwert bei Lebensmitteln entwickelt. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir die Lage stabilisieren. Und wie wir die Spirale nach unten stoppen. Wir brauchen früher oder später ein Ende der Preisspirale nach unten. Oder besser gesagt, der Tatsache, dass Auflagen für Umweltschutz, Tierschutz und Sozialstandards immer weiter steigen, die Preise für landwirtschaftliche Produkte aber im Keller bleiben.
Muss die Politik in den Markt eingreifen?
Die Politik kann nicht in den Markt eingreifen, sonst landen wir in der Planwirtschaft, und einer neuen DDR, das wollen wir Landwirte nicht. Wir haben ja auch in den vergangenen Jahrzehnten gesehen, was passiert, wenn so etwas geschieht. Denken Sie etwa an die Butter- und Getreideberge, verursacht durch die EG in den 1980er Jahren.
Zur Person
Bernhard Conzen ist Landwirt mit einem Hof im Selfkant an der niederländischen Grenze. Dort baut er Zuckerrüben, Mais, Soja und Getreide an.
Der 63-Jährige ist Präsident des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes und studierter Agraringenieur. Bevor er einen eigenen Hof übernahm war er Manager beim Neusser Traktorenhersteller IHC.
Eingreifen kann die Politik aber an anderer Stelle. Die Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken wäre etwa sinnvoll für deutsches Recht. Darin sind zum Beispiel Ad-Hoc-Abbestellungen verboten - also freitags bestellt der Handel 500 Salate beim Bauern, am Montag darauf sagt er, wir brauchen nur 200. Oder nachvertraglicher Opportunismus bei den vereinbarten Mengen und Preisen. Wir fordern einen fairen Umgang des Handels mit uns Landwirten.
Warum fordern Sie nicht einen Mindestpreis für Nahrungsmittel, um die Kosten für gestiegene Anforderungen an Tierschutz, Umwelt und Soziales in der Landwirtschaft zu kompensieren?
Weil solche Mindestpreise einfach nicht funktionieren. Erstens weiß niemand, wie hoch diese Preise sein sollten. Zweitens würden von einem solchen Mindestpreis ja vor allem die Konkurrenten aus Nahost, Neuseeland oder anderen Ländern profitieren, wo solche Standards aber ja gar nicht gelten.
Hat denn angesichts der Tierschutz- und Umweltdebatte nicht bereits ein Umdenken bei den Verbrauchern eingesetzt? Konkret: Greifen die nicht schon freiwillig zu teureren, fair gehandelten und ökologisch erzeugten Lebensmitteln?
Das ist zweischneidig. Fragt man die Kunden vor dem Supermarkteinkauf, ob sie bereit wären, mehr für gute Lebensmittel auszugeben, sagt eine überwältigende Mehrheit „Ja, natürlich“. Beobachtet man diese Menschen dann mit einer versteckten Kamera beim Einkauf, stellt man fest, dass dieselben Menschen dann im Supermarkt oder Discounter mehrheitlich zur billigsten Milch greifen. Erneut befragt, sagen die Kunden dann Sätze wie „Ich muss drei Kinder ernähren und die billige Milch ist qualitativ genauso gut wie die teurere“. Die „Geiz ist geil“-Mentalität ist noch fest verankert in den Köpfen der deutschen Konsumenten.
Sie selbst wollen doch Marktwirtschaft, können Sie Ihren Kunden dann ernsthaft vorwerfen, dass sie sich wie Marktteilnehmer verhalten und das billigste Produkt kaufen?
Das kann man sicherlich keinem vorwerfen. Es ist ja auch eine Errungenschaft unseres Landes, das aus der Nachkriegszeit mit Hunger und Not aufgestanden ist, dass auch ärmere Bevölkerungsschichten gut essen können in Deutschland. Das ist vor allem eine Errungenschaft der Landwirte.
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Heute ernährt ein Mitarbeiter in der Landwirtschaft 150 Menschen, in den 1950er Jahren waren es nur zehn. Aber es ist auch so, dass in keinem europäischen Land der Anteil des Einkommens, der für Essen ausgegeben wird, so niedrig ist wie in Deutschland.
Heißt das, die Deutschen sollten doch mehr fürs Essen ausgeben?
Deutsche geben 9,8 Prozent ihres Einkommens für Essen aus. In Südeuropa sind es 14 oder 15 Prozent. Wenn die Deutschen nur drei, vier oder fünf Prozent mehr für ihre Lebensmittel ausgeben würden, dann wäre uns schon sehr geholfen, ohne dass Menschen dann leiden müssten. Denn parallel steigen ja die Ausgaben für den subsidiären Konsum, für Unterhaltung, Autos oder Reisen viel stärker, und keiner spricht von Not. Den meisten Deutschen geht es gut, höhere Lebensmittelpreise könnten sie durchaus verkraften.
Helfen höhere Preise denn nun wirklich den Landwirten, ökologischer oder tierfreundlicher zu produzieren?
Das ist genau die Krux. Es besteht die große Gefahr, dass die höheren Preise einfach zu höheren Margen im Lebensmitteleinzelhandel oder bei den Verarbeitern führen und die Bauern am Ende leer ausgehen.
Die Vereinigten Staaten oder die lateinamerikanischen Mercosur-Staaten schützen ihre Bauern durch Schutzzölle. Ist das eine Lösung für unser Land oder die ganze EU?
Das kann ich mir vorstellen, auch wenn ich nicht glaube, dass es eine Mehrheit zur Umsetzung von solchem Protektionismus gibt. Wir könnten aber einen anderen Weg finden, der die gleiche positive Wirkung auf unsere Bauern hätte. Ich würde mir wünschen, dass für die importierten Lebensmittel aus Südamerika die gleichen ökologischen und sozialen Standards gelten würden wie für die deutschen. Fakt ist aber, dass der argentinische Gaucho, der die Rinder hütet, am Tag nur zehn Dollar bekommt, also so viel, wie der deutsche Mitarbeiter in der Landwirtschaft pro Stunde. Das ist nicht fair.