Künstlerische Interventionen sollen laut Reker „Impulse und Visionen“ für die Schaffung eines „langfristigen Kultur- und Erinnerungsortes“ liefern.
„Panorama Waidmarkt“Künstlergruppe erinnert mit künstlerischen Interventionen an Archiveinsturz
In seinem bekannten Holzschnitt „Der Zeichner des liegenden Weibes“ zeigt Albrecht Dürer einen Künstler, der durch ein Gittergestell auf eine Frau schaut und Quadrat für Quadrat den Anblick, der sich ihm bietet, auf ein vor ihm liegendes Raster einträgt. Das Gestell ist ein Visiergerät, das hilft, die dreidimensionale Realität perspektivisch korrekt ins Zweidimensionale zu übertragen.
Projekt setzt sich mit Stadtraum Waidmarkt auseinander
Ein solches Gerät gehört zur Ausstattung des mobilen Zeichenstudios, das zurzeit im Kunstraum des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums steht. Denn die Schule ist die erste Station einer „künstlerischen Intervention“, mit der die Stadt Köln die Künstlergruppe „Observatorium“ aus Rotterdam beauftragt hat. Zweck dieses Projekts ist, sich kreativ mit dem Stadtraum Waidmarkt, wo am 3. März 2009 das Historische Archiv einstürzte, auseinanderzusetzen, die Stadtgesellschaft einzubeziehen und Ideen und Perspektiven für einen dauerhaften Erinnerungs- und Kulturort zu entwickeln. Am Mittwoch ist das Projekt, das sich „Panorama Waidmarkt“ nennt, im Friedrich-Wilhelm-Gymnasium im Beisein von Schulleiter Ralf Pommerening und Kunstlehrerin Stefanie Oelke der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
„Kunst für das öffentliche Leben“ sei das Arbeitsmotto der Künstlergruppe, sagte Andre Dekker, der sie 1997 mitgegründet hat. Nach deren Eigenbeschreibung ist es ihr Anliegen, „an Orten und in Prozessen der urbanen Transformation mit Kunstwerken neue Bedeutungen und Nutzungen zu etablieren, indem sie die Fantasie anregende Skulpturen und Architekturen baut, Programme für Reflexion auf die Umgebung organisiert und Bausteine für Bürgerengagement entwickelt.“ Damit scheint „Observatorium“ eine gute Wahl für die „Intervention“ in Köln zu sein. Sie ist Teil des Konzepts, das die Projektwerkstatt Waidmarkt – von den Bürgerinitiativen „Köln kann auch anders“ und „Archivkomplex“ entsandte Experten – mit Unterstützung durch Vertreter der Verwaltung und der KVB – entwickelt hat.
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Das Konzept sieht vor, aus dem Waidmarkt eine Art öffentlichen Campus zu machen, eine „kulturelle Bildungslandschaft“ im Zusammenspiel von Anwohnern, Schulen, sozialen Einrichtungen und anderen Akteuren. Da es wegen der aufwändigen Bauarbeiten an der Einsturzstelle noch einige Jahre – voraussichtlich bis 2031 – bis zur Realisierung des „Neuen Waidmarkts“ dauert, wird der Ort zuvor künstlerisch bespielt.
Kölner können ihre Gedanken zur Zukunft in das Logbuch eintragen
Den Anfang macht also die niederländische Künstlergruppe. Das mobile Zeichenkabinett, das unter anderem aus Regalen, einem Tisch und einem „Logbuch“ besteht, wandert etwa ein halbes Jahr durch öffentliche Einrichtungen und private Orte rund um den Waidmarkt, macht zum Beispiel Station in Klassenzimmern, Werkstätten, Wohnungen, auf Balkonen und in Geschäften.
Die Künstler haben die Anwohner und Anwohnerinnen gebeten, das Studio zu beherbergen, und sind weiterhin für jedes Angebot dankbar. Von allen Positionen aus werde mit Zeichnungen und Notizen die „Abwesenheit eines städtischen Gefüges“ festgehalten, sagte Decker. Anschließend, im Frühjahr 2025, wird an prominenter Stelle im Georgsviertel ein öffentlich zugänglicher Pavillon installiert, wo Kölner und Kölnerinnen ihre Gedanken zur Zukunft des Ortes und zum Stadtgedächtnis in das Logbuch eintragen können. Im Sommer wird das Buch, in das auch Einträge auf der Webseite „panorama-waidmarkt.de“ einfließen, als „Archiv der Zwischenzeit“ der Stadt übergeben.
Seit über 15 Jahren würden die Menschen am Waidmarkt „mit einer offenen Wunde leben“, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Heute wollen wir einen Neuanfang wagen.“ Künstlerische Interventionen wie diejenige der Künstlergruppe sollten „Impulse und Visionen“ für die Schaffung eines „langfristigen Kultur- und Erinnerungsortes“ liefern. Die Vorschläge der Projektwerkstatt dienten als Grundlage für eine Umsetzungsstrategie, die die Verwaltung im nächsten Jahr in die politische Beratung geben werde. Was „Observatorium“ vorhabe, sei eine „Neubetrachtung des Orts“ sagte Kay von Keitz, Mitglied der Projektwerkstatt – eine Betrachtung, aus der sich Inspirationen dafür ergeben würden, wie sich „ein neues Stück Stadt“ gestalten lasse. Er stellte weitere Interventionen in Aussicht.