Hunderte Geflüchtete haben Mahnbescheide für Unterbringungskosten bekommen – weil sie arbeiten. Die Stadt Köln will nun ihre Gebührensatzung ändern.
Mahnbescheide der Stadt Köln4500 Euro Miete für irakische Familie – „Werden wir fürs Arbeiten bestraft?“
Als Muhammad vor einigen Monaten an einem Kölner Bankautomaten 50 Euro abheben wollte, zog die Maschine seine Karte ein. Auf dem Display erschien ein Hinweis, er solle sich an seine Bank wenden. Der 32-Jährige, der 2015 aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet war und arbeiten ging, sobald die Bürokratie das zugelassen hatte, verstand die Welt nicht mehr: Als Reinigungskraft mit vielen Nachtschichten verdient er nicht schlecht. „Und ich habe immer darauf geachtet, dass genug Geld auf dem Konto ist.“
Als seine Bank ihm mitteilte, dass er knapp 30.000 Euro Schulden habe und das Konto deswegen gesperrt worden sei, geriet Muhammad in Panik: Was war geschehen? War er Betrügern aufgesessen? „Ich habe drei kleine Kinder und konnte nicht mehr für meine Familie einkaufen gehen. Das war ein Schock.“ Der Bankberater klärte ihn auf: Es handele sich um eine Pfändung der Stadt Köln wegen Mietschulden.
Seitdem er arbeitet, muss Muhammad einen Teil der Mietkosten für das Flüchtlingswohnheim, in dem er mit seiner Familie lebt, selbst zahlen. Die Kosten hat die Stadt auf rund 4500 Euro pro Monat veranschlagt. „Wir leben zu fünft in einem Zimmer und nicht in einer riesigen Villa. 4500 Euro? Ich habe gedacht: Wofür will man mich bestrafen? Weil ich arbeiten gehe?“ Er habe vor der Pfändung nie Mahnbescheide erhalten, sei davon ausgegangen, als Vater von drei Kindern nicht genug zu verdienen, um die Mietkosten selbst tragen zu müssen.
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Geflüchtete wissen nicht, dass sie einen Härtefallantrag stellen müssen
Der Fehler steckt im System: Die Kölner Gebührensatzung für Übergangswohnheime enthält Nutzungsgebühren von bis zu 54 Euro pro Quadratmeter. Abgedeckt werden damit nicht nur die Mietkosten, sondern auch die Ausgaben für Sozialarbeit, Sicherheitsdienste oder Hausmeister. Das Jobcenter trägt aber seit einem Hinweis des Bundesrechnungshofs, lediglich „sozialrechtlich angemessene“ Mieten zu erstatten, nur noch die reinen Mietkosten. Um alle Kosten zumindest anteilig erstattet zu bekommen, müssen Geflüchtete, die arbeiten gehen, einen Härtefallantrag stellen. Einen Antrag, von dem viele nichts wissen.
Mit 54 Euro pro Quadratmeter bewege sich Köln „am oberen Ende der Skala für Nutzungsgebühren“, sagte die Migrationssozialrechtlerin Dorothee Frings gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Frings hält die Gebührensatzung der Stadt für rechtswidrig. Sie verstoße gegen das so genannte Äquivalenzprinzip, mit dem ein angemessenes Verhältnis von Nutzungsgebühren zum Gebrauchswert hergestellt werden soll. Auf dem öffentlichen Wohnungsmarkt bedeuteten die Kölner Quadratmeterpreise für einige Unterkünfte „Mietwucher in höchster Form“, meint Frings.
Über den Härtefallantrag, den sie stellen müssen, werden die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner über ein Merkblatt informiert, auf dem steht, sie sollen sich möglichst schnell bei ihren Sozialarbeitern melden. Viele Menschen wissen allerdings noch nicht einmal, wer für sie zuständig ist. „Ich kann ein bisschen Deutsch, aber die Post von der Stadt zu lesen, ist sehr schwer, ich verstehe sehr vieles nicht“, sagt Muhammad.
Der jesidische Familienvater hatte Glück: Ein Bekannter aus seiner Unterkunft riet ihm, sich bei Gülistan Çaçan im Vingster Treff zu melden. Zu der Beraterin kamen schon viele Geflüchtete, die 10.000, 15.000 oder wie Muhammad 30.000 Euro für Mietkosten nachzahlen sollten. „Die meisten kommen leider erst, wenn sie einen Vollstreckungsbescheid erhalten – oder wenn wie bei Muhammad das Konto gesperrt ist.“
So erging es auch Ibrahim*, bei dem Vollstreckungsbeamte morgens vor der Tür standen, „als ich noch in Unterwäsche war“. Er habe nicht gewusst, was los war – auch nicht, als die Beamten versucht hätten, ihm zu erklären, dass er hohe Schulden habe. 13.000 Euro sollte Ibrahim, der auch wegen einer chronischen Erkrankung in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt, nachzahlen.
Als sein Konto gesperrt wurde, habe er sich Geld von Freunden geliehen, sich über Spenden und Essen von der Tafel über Wasser gehalten. Anders als Muhammad ist Ibrahim, der aus Pakistan kommt, in Deutschland noch nicht anerkannt – darf aber arbeiten und tut das bis heute für einen Security-Dienst. „Der Schuldenbescheid war für ihn wie für die meisten mit großen Ängsten verbunden“, sagt Sozialpädagogin Çaçan.
Mitarbeiter: Geflüchteten in Unterkünften wird vom Arbeiten abgeraten
Die Erfahrung, kein Geld mehr abheben zu können und angeblich hohe Schulden zu haben, „ist für viele Menschen traumatisierend. Sie fühlen sich zu Unrecht bestraft, bei vielen besteht auf dem Konto kein Pfändungsschutz, der existenzsichernde Beträge schützt. Sie bekommen einen Schufa-Eintrag – und verzweifeln zurecht an der Bürokratie, die in diesem Fall tatsächlich dazu führt, dass Menschen davon abgehalten werden, arbeiten zu gehen“.
Ein Mitarbeiter einer Willkommensinitiative hatte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erzählt, dass „Menschen in den Unterkünften mit dem Verweis auf die Mahnbescheide dringend davon abgeraten wird, eine Arbeit anzunehmen – weil sie dann zur Kasse gebeten werden“. Vor allem unter ukrainischen Geflüchteten werde diese Warnung verbreitet. Sie arbeiten im Schnitt deutlich seltener als Menschen aus den meisten anderen Ländern.
Die Mahnbescheide sollen mit einer neuen städtischen Gebührensatzung, die im Januar 2024 in Kraft treten soll, Geschichte sein. Die Notwendigkeit, einen Härtefallantrag zu stellen, entfalle dann, „da künftig alle Geflüchteten maximal eine an der Mietobergrenze gekappte Gebühr zahlen müssen, egal ob sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder nicht“, teilt die Stadt Köln mit. „Wenn sie ihre Gebühren bezahlen, laufen keine Rückstände auf und es sind keine Mahnungen erforderlich.“
Kölner Stadtrat: Entscheidung über neue Gebührensatzung
Was mit den vielen noch offenen Mahnbescheiden geschieht, sobald die neue Gebührenordnung in Kraft ist, werde in den zuständigen Ämtern momentan abgestimmt, teilt die Stadt mit. Mehr als 6500 Gebührenschuldner sind registriert. Wie viele Mahnverfahren für nicht bezahlte Unterbringungszahlungen laufen, sei statistisch nicht ermittelbar.
Über die neue Gebührensatzung stimmt der Stadtrat am 7. Dezember ab. Der Integrationsrat hatte sie abgelehnt – auch, weil er die Unterlagen erst sehr kurz vor der jüngsten Sitzung erhalten hatte. Bei Ibrahim und Muhammad hat Gülistan Çaçan erfolgreich gegen die hohen Mahnbescheide der Stadt interveniert. Sie sollen jetzt nur noch einen Bruchteil des gepfändeten Gelds als Eigenanteil für die Miete zahlen: Bei Ibrahim sind es 3489 statt 30.000 Euro.
*(Namen von der Redaktion geändert)