Warum man froh sein sollte, dass am Brüsseler Platz Menschen verweilen wollen. Die Wutrede einer Anwohnerin.
Wutrede einer AnwohnerinVerweilverbot am Brüsseler Platz – Schon das Wort zündelt mit meinen Gefühlen


Zum Schutz der Anwohnenden vor Lärm dürfen sich nach 22 Uhr auf dem Brüsseler Platz keine Personen mehr aufhalten. Das Verweilverbot gilt nun an jedem Tag der Woche.
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Die Tischtennisplatten haben mich endgültig erzürnt. Aber ich gestehe: Schon vorher glomm eine Glut unter meiner gutbürgerlichen Anwohnerfassade. Ich hatte aber alles weitgehend unter Kontrolle. Und ja auch viel Verständnis. Aber dennoch regte sich in mir quasi von Anfang an ein gewisser Widerstand gegen die Lärmschutzmaßnahmen am Brüsseler Platz.
Ich bin Anwohnerin des Brüsseler Platzes. Ich weiß, wovon ich rede. Natürlich sind Anhäufungen grölender Jugendlicher direkt vor dem Schlafzimmerfester an manchen Sommerabenden und in manchen Lebensabschnitten eine Zumutung. Natürlich weiß ich, wie sehr es nerven kann, wenn man ein Kleinkind gefühlt stundenlang in den Schlaf geschaukelt hat, das dann beim nächsten lauten Gläserklirren wieder aus den Kissen schreckt und brüllt. Neulich hat jemand in unseren Hausflur gepinkelt, ich musste das wegputzen. Und ja: Sowas stört mich dann auch.
Die Trainingsmöglichkeit war abgebaut ehe der Jüngste den Topspin beherrschte
Und dennoch: Als die Tischtennisplatten neben der Kirche Sankt Michael abgebaut wurden, weil sich dort auch des nachts Gruppen von Jugendlichen zum Konsum berauschender Substanzen trafen, goss das quasi Brandbeschleuniger in meine Wut-Glut. Nicht, dass ich selbst gern nachts kiffend an Tischtennisplatten hängen möchte. Aber grundsätzlich handelt es sich bei den Bauten ja um Sportgeräte, die ich als Anwohnerin tagsüber mit meinen Kindern sehr gerne genutzt habe. Und noch ehe unser Jüngster den Rückhand-Topspin einwandfrei beherrschte, war plötzlich die Trainingsmöglichkeit direkt vor der Haustür abmontiert. Entzogen von einer Stadt, der beim Abwägen von Interessen ganz eindeutig die Verhältnismäßigkeit abhanden gekommen ist.
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Verweilverbot. Schon das Wort zündelt mit meinen Gefühlen. Meinetwegen kann man überbordenden Lärm verbieten. Aber wer das Verweilen verbietet, der fragt vielleicht bald auch nach der Notwendigkeit von lautem Lachen oder vom Tragen zu kurzer Röcke. Was ist denn ein Freiheitsbegriff wert, wenn er schon das Stehenbleiben ausschließt?
Überdies sollte wirklich gerade in Köln bedacht werden: Wir leben in einer Stadt, deren allermeiste Plätze derart verbaut und unschön sind, dass niemand dort verweilen will. Und an einem der wenigen Orte, an dem sich das Verweilen als tatsächlich angenehme Freizeitmöglichkeit lohnen könnte, wird es verboten. Wie absurd ist das?
Das Zusammenleben von Menschen setzt Toleranz voraus. Das ist in Familien nicht anders als in der Nachbarschaft. Und macht diese Vielfalt an Lebensformen, das Bunte, Lebhafte das Leben in Städten nicht gerade interessant? Und ja auch bequem? Muss derjenige, der jeden Morgen beim Supermarkt nebenan seine Bananen kaufen will, nicht auch aushalten, dass die Bananen in den frühen Morgenstunden angeliefert werden? Dass der Sohn des Supermarktverkäufers nachmittags seinen Topspin an der Tischtennisplatte übt? Dass die erwachsene Tochter nachts giggelnd mit ihren Freundinnen um die Häuser zieht? Dass der Supermarktverkäufer selbst sich freut, wenn er nach einer anstrengenden Arbeitswoche spätabends auf dem für ihn schönsten Platz der Stadt verweilen darf?
Natürlich kann man in absoluter Abgeschiedenheit leben wollen. Mit einer Nachtruhe, die höchstens vom Gruß zwischen Fuchs und Hase gestört zu werden droht. Mit dem Leben mitten in Köln, an einem der zentralsten und schönsten Plätze dieser Stadt, ist dieser Wunsch aber nicht zu vereinbaren. Denn zum Gesundheitsschutz und der Erhaltung der Lebensqualität mancher Anwohner gehört es eben auch, mit einer Flasche Apfelsaft und ein paar Freunden des nachts vor der eigenen Haustür verweilen zu dürfen. Wer will und kann ihnen das verbieten? Diese Lebensqualität ist der Grund, warum sie einst aus entlegenen Gebieten mitten in die Innenstadt gezogen sind. Warum sie hier ihre zuweilen lauten Kinder großziehen und in manchen Nächten das Leben und die Freiheit auf den Straßen spüren wollen. Ruhe und Einsamkeit rund um die Uhr könnten sie in Immekeppel für weniger Geld haben.