Kurz vor dem silbernen Dienstjubiläum von Ingo Brüggenjürgen als Chefredakteur des „domradio“ gibt das Erzbistum Köln seine Ablösung bekannt.
Erzbistum KölnChefredakteur des „domradio“ überraschend abgelöst
Kurzfristig angekündigte Personal-Mitteilungen verheißen in der katholischen Kirche traditionell Gutes: Freitagmittags erwartet die Gläubigen eines verwaisten Bistums die frohe Kunde, wer wohl ihr neuer Bischof wird. Im Erzbistum Köln dagegen waren eilends anberaumte Informationsveranstaltungen zuletzt Grund zu Sorge und Unruhe. Beim Multimedia-Sender „domradio“ war es am Mittwochnachmittag wieder so weit.*
Just in der Zeit, in der Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen mit dem Rad auf einer zwölftägigen Klostertour kreuz und quer durch Deutschland bis nach Italien fährt und von unterwegs berichtet (Motto: Pilgern live – himmlische Hotspots), wurde daheim in Köln hastig seine Ablösung bekannt gegeben.
Neuer Chefredakteur des Kölner „domradio“ tritt schon im August an
In einer – wie Teilnehmende einer „Teams“-Videoschalte berichten – recht lapidaren Erklärung bekam die „domradio“-Crew gesagt, dass Brüggenjürgens Nachfolger Renardo Schlegelmilch, seit 15 Jahren selbst beim Sender tätig, bereits in vier Wochen, am 1. August, sein Amt antritt. Nach nur einem Monat Übergang ist Brüggenjürgen dann zum 1. September endgültig raus. Kurz bevor er die 25 Jahre an der Spitze des von ihm konzipierten und maßgeblich geprägten Senders voll gemacht hätte.
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Die Terminplanung sei mit Brüggenjürgen abgestimmt, betonte das Erzbistum auf Anfrage. Auch die Bekanntgabe des Wechsels während der Pilger-Radtour sei mit Blick auf Urlaub und andere Abwesenheiten über den Sommer hinweg bewusst gewählt gewesen. „Ziel war es, das Team und die Öffentlichkeit frühzeitig über den vereinbarten Wechsel zu informieren. An dem Termin für das ‚domradio.de‘-Team hat Herr Brüggenjürgen selbst teilgenommen und über seinen persönlichen Wunsch informiert, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen.“
Wer den leidenschaftlichen Journalisten Brüggenjürgen und seine Identifikation mit dem „domradio“ als dem – wie er gern sagt – „guten Draht nach oben“ kennt, kann sich schwerlich vorstellen, dass er dieses Jubiläum nicht noch gern begangen hätte. Das „domradio“ sei „sein Baby“, sagt einer, der ihn lange kennt.
Generalvikar Guido Assmann bekundet Brüggenjürgen „großen Dank“
Die am Mittwochabend auf „domradio.de“ veröffentlichte offizielle Erklärung ist geradezu gespickt mit jenen Floskeln, die immer dann eingesetzt werden, wenn wahre Worte unmöglich sind oder gar zu weh täten. Generalvikar Guido Assmann bekundet den „großen Dank unseres Erzbistums und aller Menschen, in deren Alltag das domradio fest verwurzelt ist“. Assmann erinnert auch daran, dass Brüggenjürgens Begeisterung und Beharrlichkeit das domradio „aus der Taufe gehoben“ hätten.
„Wir bedauern sehr, dass wir mit Ingo Brüggenjürgen einen verdienten und allseits geachteten Journalisten verabschieden müssen“, gibt der Vorsitzende des Bildungswerks, Simon Schmidbaur, für den Träger des „domradio“ zu Protokoll. Brüggenjürgen habe „professionelle journalistische Standards gesetzt, denen wir uns auch zukünftig verpflichtet wissen“.
Insider sprechen von Brüskierung und Demütigung
Wenn dem so sein sollte (und Professionalität wie journalistische Standards bestreitet in der Tat niemand, der das Programm des „domradio“ kennt), dann stellt sich umgehend die Frage, warum die von Krokodilstränen begleitete Verabschiedung ausgerechnet jetzt sein „muss“. Von der Altersgrenze ist Brüggenjürgen, der im Mai 62 wurde, jedenfalls noch Jahre entfernt. Insider sprechen von einer Brüskierung und Demütigung, die freilich charakteristisch sei für die neue Führungsriege des Erzbistums um Kardinal Rainer Woelki.
„Ob man Menschen bei Entscheidungen mitnimmt oder nicht, spielt keine Rolle“, berichtet jemand aus dem inneren Zirkel des Erzbistums. „Die Leute vom ‚domradio‘ bekommen dann auch noch gesagt: Wenn der Kardinal wollte, könnte er den ganzen Laden morgen auch dichtmachen.“ Was das für die Motivation bedeute, könne sich jeder selbst ausmalen.
Geplante Strukturveränderungen
Als Vorsitzender des Bildungswerks ist Schmidbaur noch nicht einmal einen Monat im Amt. Er löste Petra Dierkes aus der Seelsorge-Abteilung des Generalvikariats ab, die Anfang Juni Knall auf Fall und ohne Angaben von Gründen von ihrem Posten zurückgetreten war. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass Kardinal Rainer Woelki die Trägerstruktur des „domradio“ zu verändern gedenkt. Indem er es dem Bildungswerk mit seiner pluralen Mitgliedschaft wegnimmt und einer gemeinnützigen GmbH zuführt, kann er den bislang erstaunlich unabhängig, ja kritisch berichtenden Sender stärker an sich binden. So jedenfalls beurteilen Kritiker das Manöver.
Der Vorsitzende des Programmbeirats, Professor Jürgen Wilhelm, sieht das Vorgehen Woelkis beim „domradio“ gar als exemplarischen Fall für die Gefahr einer „Gleichschaltung aller Institutionen“ im Erzbistum. Fakt ist, dass das Erzbistum den vormaligen Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, Gerald Mayer, als zweiten Geschäftsführer für das „domradio“ installiert hat. In einer Beiratssitzung führte Mayer auf drängende Nachfragen zu seinen Aufgaben aus, es gebe ein Gegenüber von „domradio“ und Erzbistum, das aufzulösen er als seinen Job sehe.
Verhältnis Woelkis zum Chefredakteur galt als gestört
Angesichts mancher scharfen Kommentare des Chefredakteurs zu Woelki, seiner Amtsführung und seinen kirchenpolitischen Positionen sowie mit Blick auf das breit gefächerte journalistische Angebot des „domradio“, in dem dezidiert auch liberale Stimmen mit Widerspruch zu Auffassungen des Kölner Erzbischofs zu Wort kommen durften, liegt der Schluss nahe, dass das behauptete Gegenüber aus Woelkis Warte an Brüggenjürgen persönlich festgemacht wird. Dem Vernehmen nach soll das einstmals sehr enge und vertrauensvolle Verhältnis des Erzbischofs zu seinem Chefredakteur seit längerem – zurückhaltend formuliert – gestört sein.
Die Gremien des Bildungswerks wurden über die Personalie vorab gar nicht oder nur sehr kurzfristig informiert. In der Mitgliederversammlung am Dienstag spielte sie keine Rolle - im Gegensatz zu einer mehrheitlich abgelehnten Satzungsreform, die nach Angaben von Teilnehmern das Ende einer pluralen Besetzung der Versammlung bedeuten würde.
Gremien kurzfristig informiert
Der Vorstand des Bildungswerks wiederum wurde nur wenige Stunden vor den „domradio“-Mitarbeitern über den Chefredakteurswechsel in Kenntnis gesetzt. Schmidbaur soll im Wesentlichen den Inhalt der wenig später veröffentlichten Erklärung vorgetragen haben.
Hierzu hieß es vom Erzbistum, die abschließenden Gespräche mit Brüggenjürgen seien erst Anfang der Woche geführt worden. „Dann wurden zügig die notwendigen formalen Schritte umgesetzt. Der Wechsel in der Chefredaktion – der erste überhaupt für ‚domradio.de‘ – ist für das gesamte Team eine große Zäsur. Wichtigstes Ziel war es deshalb, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuerst zu informieren, ohne dass der Generationswechsel bereits öffentlich bekannt wurde.“ Im Verwaltungsrat des Senders sei die Neubesetzung am Mittwoch zuvor „positiv beraten“ worden. Daraufhin habe der Vorstand des Bildungswerks die Personalie ebenfalls beraten und Schlegelmilchs Berufung beschlossen.
Erzbistum verneint Frage nach weiteren Personalveränderungen
Wie es ergänzend von gut informierter Seite heißt, soll der Umbau an der Spitze des Senders keineswegs abgeschlossen sein. Als nächsten könnte es Geschäftsführer Carsten Horn treffen, der bisher mit Brüggenjürgen für die unabhängige journalistische Linie des „domradio“ stand, seit dem Amtsantritt von Co-Geschäftsführer Mayer aber als abgemeldet gilt. Eine Frage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nach geplanten weiteren Personalveränderungen verneinte das Erzbistum jedoch ausdrücklich.
Brüggenjürgen war auf seiner Klostertour für eine Stellungnahme nicht erreichbar. In der Meldung zum Amtswechsel lässt er sich mit dem in solchen Fällen beliebten Begriff „Generationenwechsel“ zitieren, für den er „den Weg frei“ mache. Er sei „dankbar für fast 25 gute Jahre, in denen ich zusammen mit einem engagierten Team den Sender von Null an aufbauen durfte“. Die Frage, ob und wie lange sein bestehender Vertrag noch weiterläuft, beantwortete das Erzbistum nicht. Es bat um Verständnis dafür, „dass wir uns zu Personalangelegenheiten nicht äußern können“.
Neubesetzung des Chefpostens „geschickte Lösung“
Brüggenjürgens Nachfolger, der 35** Jahre alte Schlegelmilch, hat Journalismus studiert und sein Volontariat über die katholische Journalistenschule ifp absolviert. Nach Senderangaben ist er derzeit neben seinen redaktionellen Aufgaben als Sprecher der Redakteursversammlung auch Interessenvertreter seiner Kolleginnen und Kollegen – und bald nun ihr neuer Chef.
Dass er wie andere Personalien der jüngeren Vergangenheit als „Woelki-Mann“ strikt auf Linie des Erzbischofs läge, lässt sich seinen Veröffentlichungen nicht entnehmen. Von Kollegen heißt es, sie hätten ihn bislang auch nicht so wahrgenommen. Er sei im Vergleich zu Brüggenjürgen aber weniger kantig in der kirchenpolitischen Positionierung. Schlegelmilchs Ernennung wurde von einem Insider wohlwollend-abwartend als „geschickte Lösung“ gewertet. Nur sei ein gewaltiger Druck von oben zu erwarten, und es sei unklar, wie der neue Mann dem gewachsen sein werde.
Einen Tag vor Brüggenjürgens Aufbruch zur Klostertour gab der Chefredakteur dem eigenen Sender noch ein Interview – womöglich sein letztes. Im Licht des plötzlich und unerwartet erfolgenden Abgangs bekommt ein Satz über sein Vorhaben eine ungeahnte Doppelbödigkeit. „Ich will fragen: Gibt es im Moment nur Niedergang? Oder zeigen sich vielleicht neue Aufbrüche?“
*In dieser Version des Artikels ist eine Reihe von Aktualisierungen enthalten. Auch die Antworten des Erzbistums auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wurden unmittelbar nach Eingang ergänzt.
** Die Altersangabe wurde in dieser Version des Artikels korrigiert.