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Sexueller MissbrauchNeue Akte über Kölner Priester Nikolaus A. entdeckt

Lesezeit 4 Minuten
Köln Dom dunkle Wolken

Die Zahl der Kirchenaustritte nimmt weiter zu.

Köln/Münster – Manchmal geht es im Leben fast so spannend zu wie im Film, selbst im Leben eines Archivars. Vor wenigen Tagen entdeckte ein Mitarbeiter des Münsteraner Bistumsarchivs bei Umräumarbeiten in einem Karton mit allerlei Unterlagen die bislang unbekannte Personalakte des mehrfach vorbestraften Sexualstraftäters Nikolaus A., eines Priesters des Erzbistums Köln. Das Konvolut von rund 250 Blättern, teils beidseitig beschrieben, sowie handschriftlichen Notizen umfasst die gesamte Zeit von 1972 bis 1989, in der A. im Bistum Münster tätig war.

Sein Fall schlug öffentlich hohe Wellen, weil A. über Jahrzehnte hinweg zwischen den Bistümern Köln, Münster und Essen hin und herwechselte, trotz seiner Vorstrafen immer wieder in der Seelsorge eingesetzt wurde und kirchlicherseits bis 2019 unbehelligt blieb. Erst dann setzte der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Woelki, ein Verfahren in Gang, das zu einem kirchlichen Strafprozess in Rom führte und im Dezember 2020 mit der Entlassung A.s aus dem Klerikerstand endete, der Höchststrafe für Geistliche.

Bistum Münster beklagte „dürftige Aktenlage“

Im Bemühen um die Aufklärung von A.s Vergehen und ihrer Vertuschung durch hochrangige Kirchenvertreter wurde seitens des Bistums Münster wiederholt die „dürftige Aktenlage“ beklagt. Diese missliche Situation stellt sich mit dem überraschenden Aktenfund nun deutlich verbessert dar, wie der Münsteraner Historiker Bernhard Frings im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erläutert. Er ist Teil eines Teams von Wissenschaftlern, das im Auftrag des Bistums Münster den Umgang mit Missbrauchsfällen aufarbeitet.

Bernhard Frings

Bernhard Frings

Frings erhielt die Akte in der vorigen Woche, eine Kopie ging an A.s Heimatbistum Köln, das dessen Fall federführend aufarbeitet. Noch habe er sich nicht komplett durch alle Schriftstücke lesen können, sagt Frings „Aber schon jetzt ist klar, dass die Akte wichtige neue Erkenntnisse und zusätzliche Perspektiven zu den Abläufen und den Verantwortlichkeiten in der damaligen Bistumsleitung liefert.“ Ungeachtet der bedrückenden Thematik sei das eine „spannende Lektüre“.

„War damals üblich“

Die Akte zeigt, dass die Bistumsleitung über A.s Vergehen fortlaufend im Bilde war. „Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass es eine genaue Abfolge von Anzeigen, protokollierten Befragungen und konkreten Entscheidungen gäbe“, sagt Frings. Selbst eine fortlaufende Nummerierung (Paginierung) der einzelnen Schriftstücke fehlt. Eine solche unsachgemäße Aktenführung „war damals üblich“, sagt Bernhard Frings. Weitaus gravierender sei die lückenhafte Dokumentation dessen, „was wirklich passiert ist“.

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So habe es offensichtlich auch Gespräche mit Eltern von Opfern gegeben. Die Inhalte seien aber nur schwer nachzuvollziehen. „Von den Vorgängen als solches ist in Akten nicht die Rede, aber zwischen den Zeilen ist klar zu lesen, dass die Personalverantwortlichen von A.s Taten wussten und überlegten, wie sie jetzt weiter mit ihm verfahren sollen.“ So habe man ihm Therapien auferlegt, „in der Hoffnung, dass danach nichts mehr passiert“.

Weiter dokumentiert die Akte, wie A. nach Verbüßung einer Haftstrafe in der JVA Münster in den Dienst des Bistums übernommen und – trotz gegenteiliger Beteuerungen gegenüber der staatlichen Justiz – in der Seelsorge eingesetzt wurde.

Akte über weiteren Missbrauchstäter entdeckt

Frings geht nach Lage der Dinge nicht davon aus, dass die Akte gezielt versteckt wurde. Sie sei dem Archiv von der Personalabteilung des Bistums turnusmäßig mit vielen anderen Unterlagen in mehreren Kartons übergeben worden und dann in einen falschen Bestand gerutscht. „Das darf nicht passieren, kann aber passieren“, so Frings. Zusammen mit der Akte A. fand sich die Akte eines weiteren, inzwischen verstorbenen Missbrauchstäters, dessen Fall der Historikerkommission bekannt ist, sowie zweier anderer Priester. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie nur vorübergehend im Dienst des Bistums Münsters standen.

Dom Münster

Blick auf den Dom in Münster

Der Missbrauchsbeauftragte des Bistums, Peter Frings, bedauerte in einer Erklärung, „dass wir diese Akte erst jetzt gefunden haben“. Seine frühere Aussage, dass es im Bistum Münster keine weiteren Unterlagen zum Fall A. mehr gebe, habe dem bisherigen Kenntnisstand entsprochen, sich aber nun als „nicht richtig“ erwiesen.

Zum gesamten Fall A., der unter anderem in einem vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ öffentlich gemachten Rechtsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl dokumentiert ist, hatte der Kölner Kardinal Rainer Woelki im November von einer „jahrzehntelangen Aneinanderreihung schwerer Fehler“ gesprochen, für die „Verantwortliche herausgefunden und benannt werden“ müssten.