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Ex-„Sternsinger“-Chef PilzWoelki beharrt auf Unkenntnis des Missbrauchsfalls

Lesezeit 4 Minuten
Woelki im Vatikan

Kardinal Rainer Woelki (Mitte) im Vatikan

Köln – Neue Erkenntnisse zum Missbrauchsfall des früheren „Sternsinger“-Chefs Winfried Pilz stellen eidesstattliche Versicherungen des Kölner Kardinals Rainer Woelki in Frage. Der Deutschlandfunk (DLF) und die „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ berichten über ein schriftliches Gesprächsangebot Woelkis an einen Betroffenen von Anfang Mai. Der 1956 geborene, vor Kurzem verstorbene Matteo Schuster (Name geändert) hatte Pilz beschuldigt, ihn Ende der 70er oder Anfang der 80er Jahre zweimal vergewaltigt zu haben.

In einem Rechtsstreit mit der „Bild“-Zeitung und dem Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller gab Woelki an, er sei mit dem Fall des 2019 verstorbenen, über die Grenzen Kölns hinaus bekannten Pilz überhaupt erst Ende Juni 2022 befasst worden. Eine falsche eidesstattliche Versicherung ist eine Straftat.

Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ beharrte das Erzbistum auf der Stichhaltigkeit von Woelkis Angaben. Den scheinbaren Widerspruch zur Einladung Schusters vom 6. Mai erklärt das Bistum mit den Abläufen in Woelkis Büro.

Anweisung zur Terminvereinbarung

Seine Büroleiterin und persönliche Referentin Gerlinde Schlüter sei bei Gesprächswünschen von Missbrauchsopfern angewiesen, „selbstständig die Einladung zu koordinieren und den Termin abzustimmen“. Woelki selbst werde dann erst unmittelbar vorher damit befasst, wer der Gesprächspartner sei. „Er bekommt, soweit erforderlich, auch erst dann eine inhaltliche Vorbereitung auf den Termin."

So habe es sich auch bei Matteo Schuster verhalten. Nachdem dieser sich an das Erzbistum gewandt und um ein Treffen mit Woelki gebeten hatte, habe dessen Büro Schuster „ohne jede Befassung“ des Kardinals für den 27. Juni eingeladen.

Zwar heißt es in Schlüters Schreiben, „der Herr Kardinal bat mich, bei Ihnen anzufragen“. Das sei jedoch eine „vom Büro autonom gewählte Formulierung“, die lediglich auf Woelkis generelle Bitte um Terminvereinbarungen mit Missbrauchsopfern Bezug nehme. Die Frage nach Schlüters eigenem Kenntnisstand über Schuster ließ das Erzbistum unbeantwortet. Die Interventionsstelle „prüft die Gesprächsanliegen und teilt dem Büro von Herrn Kardinal Woelki dann mit, dass ein Gesprächswunsch berechtigt vorhanden ist“, führte das Erzbistum lediglich zum Procedere aus.

Kardinal Woelkis Vorzimmer: „Wie in jedem Büro dieser Welt“

Es gebe keine Vorgabe, wann Woelki zu informieren sei. „Tatsächlich ist die Praxis aber so, dass Kardinal Woelki aus organisatorischen Gründen immer erst in der konkreten Terminvorbereitung inhaltlich informiert wird."

Angesichts der Vielzahl seiner täglichen Termine sei Woelki so stets aktuell informiert und habe die Informationen präsent. „Wie in jedem Vorzimmer dieser Welt wird somit auch bei Herrn Kardinal Woelki vom Büro selbstständig der Terminkalender gepflegt, und wenn nötig bekommt der Chef – in diesem Fall der Herr Kardinal – kurz vor dem Termin eine kurze Vorbereitungsinformation."

Begegnung im Hospiz

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ soll es in früheren Jahren Teil einer Strategie von Woelkis damaligen Medienverantwortlichen gewesen sein, den Kardinal über Missbrauchsfälle möglichst lange nur vage zu informieren, damit man ihn im Zweifelsfall nicht auf seinen Wissensstand festnageln könne.

Die für den 27. Juni geplante Begegnung zwischen Schuster und Woelki kam dann zunächst nicht zustande, weil Woelki zum geplanten Zeitpunkt Ende Juni an Corona erkrankt war. Erst in der Woche davor sei ihm mitgeteilt worden, „dass und mit wem“ er den anstehenden Termin habe und dass Schuster Vorwürfe gegen Pilz erhebe. Das Erzbistum bestätigte den Bericht von DLF und „Christ und Welt“ über einen späteren Besuch Woelkis bei Schuster zu einem „priesterlichen Gespräch“ in einem Hospiz am 11. August.

Meldepflicht verletzt

Der Fall Pilz ist für Woelki brisant, weil in seiner Amtszeit über Jahre hinweg keine Meldung über eine kirchliche Sanktion und Kontaktauflagen, die Woelkis Vorgänger Joachim Meisner 2014 gegen Pilz verhängt hatte, an dessen damaliges Wohnbistum Dresden-Meißen gemacht wurde. Als zuständiger Ortsbischof wäre Woelki hierzu verpflichtet gewesen.

Die Weitergabe der Informationen erfolgte erst 2022 im Zuge der Prüfung neuer Vorwürfe gegen Pilz. Woelkis Sprecher Jürgen Kleikamp räumte ein, die Meldung sei vorher bedauerlicherweise unterlassen worden.

Täterliste von Woelki geschreddert

Allerdings betonen Woelki und das Erzbistum beständig, der Kardinal sei weder mit dem Fall Pilz noch erst recht mit etwaigen Meldepflichten vor Ende Juni 2022 befasst worden. Ob sich Pilz‘ Name auf einer von Woelki 2015 angeforderten Liste mit Missbrauchstätern befand, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, weil Woelki die entsprechende Tabelle nach der Lektüre eigenhändig schredderte – aus Datenschutzgründen, wie das Erzbistum erklärte. Ob er Pilz auf der fraglichen Liste gesehen habe, sei ihm nicht erinnerlich, gab Woelki an. Auch könne er nicht sagen, ob die Liste vollständig gewesen sei.

Nach Pilz‘ Tod 2019 veröffentlichte das Erzbistum einen Nachruf, der Pilz‘ Fähigkeiten und Verdienste als Seelsorger überschwänglich rühmte. Auf den damals bereits einschlägigen Missbrauchsvorwurf findet sich nicht der geringste Hinweis.

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Der Bericht von DLF und „Christ und Welt“ legt überdies den Verdacht nahe, dass die Zahl mutmaßlicher Opfer von Pilz größer ist, als bisher bekannt, und dass das Erzbistum deutlichen Hinweisen auf weitere Vergehen von Pilz selbst im Jahr 2012 nicht nachging. Inzwischen, beteuert das Erzbistum, „arbeitet die Interventionsstelle den Fall Pilz weiter auf.“