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Interview

Fünf Jahre Corona
Ex-Gesundheitsamtsleiter Nießen: „Wissen jetzt, wie man Krisen bekämpft“

Lesezeit 4 Minuten
Johannes Nießen leitet kommissarisch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, von 2019 bis 2024 war er Leiter des Kölner Gesundheitsamts.

Johannes Nießen leitet kommissarisch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, von 2019 bis 2024 war er Leiter des Kölner Gesundheitsamts.

Fünf Jahre nach der ersten Corona-Infektion in Deutschland spricht Johannes Nießen im Interview über den Umgang in Köln mit der Pandemie.

Herr Dr. Nießen, vor fünf Jahren begann die Corona-Pandemie, Sie waren damals Leiter des Kölner Gesundheitsamtes. Wie blicken Sie persönlich auf die Coronazeit zurück?

Das war die spannendste Zeit in meinem Berufsleben, nicht nur was die Inhalte angeht, sondern auch, was die Anstrengung angeht. Wir haben wöchentlich zwei oder drei Krisenstabsitzungen in der Stadt Köln gehabt und im Gesundheitsamt von 8 bis 22 Uhr durchgehend gearbeitet – Samstag, Sonntag, feiertags, sogar Heiligabend –, um den Kölner Bürgerinnen und Bürgern zu helfen, gut durch die Pandemie zu kommen. Und ich glaube, unterm Strich ist uns das ganz gut gelungen, wenn man schaut, dass bundesweit 0,44 Prozent der Corona-Infizierten gestorben sind. In Köln 0,24 Prozent. Das sind über 1000 tote Menschen weniger gegenüber dem Bundesschnitt.

Am 28. Februar 2020 hat Sie ein Internist mit der ersten Corona-Patientin in Köln angerufen. Sie haben schon öfter diese erste schlaflose Pandemie-Nacht beschrieben, als ein Hausmeister ihnen eine Matratze ins Gesundheitsamt und morgens Brötchen ins Büro brachte. Hat Sie diese Nacht nachhaltig geprägt?

Sie war der Wendepunkt: Jetzt wurde es ernst. So ernst, wie es an dem Tag vielleicht noch nicht vorhersehbar war. Wir haben dann über drei Jahre gegen die Pandemie gekämpft. In dieser Nacht mit der Matratze in meinem Dienstzimmer am Neumarkt, das war schon etwas Besonderes. Ich habe gemerkt, das fordert uns jetzt alle.

Diese Nacht beeinflusst mich bis heute, wenn ich priorisiere, was wichtig ist. Das Wissen half mir auch, im Expertenrat der Bundesregierung, mit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Priorität hat heute auch die Bewältigung der Folgen von Corona, die Kinder und Jugendliche betreffen, sie waren acht Monate zu Hause und ihre psychische und körperliche Gesundheit leidet bis heute.

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Heute würde man ältere Menschen, die im Sterben liegen, nicht mehr allein lassen.
Johannes Nießen, ehemaliger Leiter des Kölner Gesundheitsamtes

Sie haben es als Fehler bezeichnet, dass ältere Menschen allein in Heimen gestorben sind und viele Kinder psychosoziale Probleme entwickelt haben. Wie können diese Erfahrungen bei der Bewältigung künftiger Krisen helfen?

Heute würde man ältere Menschen, die im Sterben liegen, nicht mehr allein lassen. Das hat auch der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Laumann, auf den Punkt gebracht: Das geht so nicht mehr. Es muss die Möglichkeit geben, Sterbende in den letzten Stunden zu begleiten. Und wir müssen natürlich bei den Kindern und Jugendlichen hingucken, wie wir bei den Folgen von Corona für sie gegensteuern können.

Jeder vierte Jugendliche hat psychische Probleme. Das war vor der Pandemie so nicht. Dagegen müssen wir etwas tun. Dafür gibt es ein breites Spektrum an Hilfsmöglichkeiten: von mehr Beratungsangeboten an Schulen bis hin zu Aufklärungskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Viele Menschen berichten, sie seien nicht gut durch die Pandemie gekommen. Was sagen Sie denen?

Ich höre zu, was sie sagen. Während der Pandemie haben einige vor dem Gesundheitsamt protestiert. Wenn es die Gelegenheit gab, haben wir sachlich argumentiert. In solchen Momenten ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben.

Das Kölner Gesundheitsamt ist das größte in Deutschland. Hatten Sie bei der Bekämpfung von Corona eine Art Vorbildfunktion für das ganze Land?

Es war schon so, dass die Impulse, die wir in Köln als Millionenstadt gesetzt haben, in der Republik ankamen. Wir haben viel erfolgreich auf den Weg gebracht, wie aufsuchendes Testen und aufsuchendes Impfen dort, wo keiner impfte und testete. Die Feuerwehr hat auf dem Pariser Platz in Chorweiler Zelte aufgebaut, wo wir innerhalb von drei Tagen 5000 Bürger geimpft haben.

Mehrere Kölner Mediziner im Expertenrat vertreten

Und wir haben zusammen mit den niedergelassenen Ärzten die Impfzentren gegründet, wo wir täglich bis zu 6000 Kölnerinnen und Kölner geimpft haben. Die gute Zusammenarbeit im Krisenstab der Stadt Köln hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir gut durch die Pandemie gekommen sind. Es war gut zu sehen, dass man auch in einer Millionenstadt viel erreichen kann, wenn man gemeinsam eine Pandemie bekämpft.

Wie hat sich die Arbeit des Gesundheitsamtes durch die Pandemie verändert?

Wir haben in der Stadt Köln das Personal im Gesundheitsamt vorübergehend von 325 Mitarbeitern auf fast 1800 aufgestockt. Das hat die Kolleginnen und Kollegen in den anderen Gesundheitsämtern in Deutschland dazu bestärkt, mehr Personal zu fordern. Und die Pandemie hat die Digitalisierung im öffentlichen Gesundheitsdienst vorangetrieben.

Ich habe das Bild des Einkaufswagens voller Ordnungsverfügungen im Kopf, die täglich zur Post gefahren werden mussten. Dann hat die IT der Stadt Köln mit Kollegen aus dem Gesundheitsamt eine eigene Software erstellt. Die Software erfasste unter anderem Menschen, die ein Symptom-Tagebuch führten. Trugen sie ein, dass sie Fieber hatten, wurde das digital erfasst und gegebenenfalls fuhr ein Notarzt los. So haben wir Corona auch als eine Chance für die Digitalisierung genutzt. Hinzu ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten im Gesundheitswesen enger geworden. Es gab ja nicht zufällig immer eine Kölner Ecke im Expertenrat der Bundesregierung mit Jörg Dötsch (Anm. der Redaktion: Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder in der Kölner Uniklinik) und Christian Karagiannidis (Leiter der Lungenintensivstation der städtischen Klinik in Merheim).

Die auslaufende Regierung ist nicht mehr dazu gekommen, aber in meiner Wahrnehmung ist es wichtig, den Fokus noch einmal auf eine Aufarbeitung zu legen.
Johannes Nießen, ehemaliger Leiter des Kölner Gesundheitsamtes

Ist Köln gut vorbereitet auf eine mögliche weitere Pandemie?

Wir wissen jetzt, wie man Krisen bekämpft. Die Strukturen dafür sind geschaffen und müssen erhalten bleiben. Und sie werden bereits weiter genutzt, wie zum Beispiel bei den Mpox-Fällen, die wir vor ein paar Wochen im Kölner Umland hatten. Auch auf eine weitere Pandemie wären wir deutlich besser vorbereitet. Es ist nicht vorhersehbar, wann das sein wird, aber sie wird irgendwann kommen, da sind sich Expertinnen und Experten einig. Um gut durch eine weitere Pandemie zu kommen, muss aber auch die Corona-Zeit aufgearbeitet werden. Und als letzter Punkt bleibt wichtig: Für die Gesundheitsämter wurden vier Milliarden Euro bereitgestellt, um sie krisenfest auszustatten. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass diese Finanzierung auch über 2026 hinaus weitergeht.