NRW-Innenminister Herbert Reul will Polizeibehörden im Land pensionierte Kripo-Ermittler als „Senior Experts“ zur Seite stellen.
„Cold Cases“ in NRW403 ungelöste Verbrechen werden noch einmal neu aufgerollt – 90 in Köln
Am tückischsten, sagt „Rentnercop“ Franz Wirges, seien die alten Heftklammern gewesen. Einige hielten jahrzehntelang die Blätter in den Mordermittlungsakten zusammen. Manche sind in dieser Zeit fast eins geworden mit dem Papier. Und die nun alle wieder zu lösen, um die Seiten einzeln einzuscannen und zu digitalisieren, sei extrem lästig gewesen, erzählt Wirges.
Der 63-Jährige war bis zu seiner Pensionierung 2021 Mordkommissionsleiter der Polizei in Bonn. Doch nach gerade mal drei Monaten im Ruhestand kehrte er im Herbst 2021 als so genannter Alt-Ermittler in die Besondere Aufbauorganisation (BAO) „Cold Cases“ des Landeskriminalamts (LKA) zurück. Mit 26 Kollegen und einer Kollegin half Wirges, neue Spuren in teils 50 Jahre zurückliegenden, bis heute ungelösten Verbrechen in NRW zu finden.
1143 Tötungsdelikte zwischen 1970 und 2015 sind in NRW ungeklärt
Die BAO ist nun nach eineinhalb Jahren ausgelaufen. Jetzt beginnt „Phase Zwei“, kündigte Innenminister Herbert Reul (CDU) an. „Jetzt geht es sozusagen erst richtig los. Die Früchte, die unsere Alt-Ermittler in der ersten Phase gesät haben, können bald geerntet werden.“ Einige der BAO-Ermittler sollen demnächst als „Senior Experts“ den Polizeibehörden in den Städten und Ladkreisen bei der Aufklärung ungelöster Kapitalfälle helfen.
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Zwischen 1970 und 2015 blieben in NRW 1143 Tötungsdelikte ungeklärt. Die so genannten Rentnercops – allesamt erfahrene, ehemalige Kripo-Ermittler – untersuchten seit Herbst 2021 ungelöste Tötungsdelikte und Vermisstenfälle der vergangenen 50 Jahre auf neue Ermittlungsansätze. Im Oktober 2022 wurde die BAO um ein weiteres halbes Jahr mit noch 16 ehemaligen Ermittlern verlängert.
Köln: Polizei sucht mit großem Aufwand nach dem Mörder einer 16-Jährigen
Manche Fälle fielen raus, weil sie zum Beispiel schon verjährt waren. Nur Mord und versuchter Mord verjähren nicht. In 694 Fällen führten die Ermittler eine erneute Fallanalyse durch, nachdem sämtliche Verfahrensakten digitalisiert worden waren. Fünf Fälle wurden geklärt. In weiteren 403 Fällen fanden sich neue Spuren, denen die Polizeibehörden vor Ort zurzeit mit teils neuen kriminalistischen Methoden noch einmal nachgehen. 90 davon betreffen die Polizei Köln.
Hier startete die Polizei vor einigen Wochen erst eine aufwändige DNA-Reihenuntersuchung bei 355 Männern, um den Mörder von Seckin Caglar noch zu finden. Die 16-jährige Auszubildende war am 16. Oktober 1991 in einem Gebüsch in Köln-Poll erwürgt und mutmaßlich sexuell missbraucht worden.
NRW: Rentnercops trugen in fünf Fällen zur Klärung von Cold Cases bei
In zwei weiteren Kölner Fällen hatten die „Rentnercops“ des LKA und ihre Kollegen von der Kölner Mordkommission bereits Erfolg – wenngleich es in beiden Angelegenheiten noch keine gerichtlichen Urteile gibt. So steht seit kurzem ein 56 Jahre alter Mann vor dem Landgericht, der 1987 nach einer Zechtour durch Ehrenfeld einen damals 50-Jährigen mit einem Pokal in dessen Wohnung angegriffen und fast getötet hätte.
Und im Februar fasste die Polizei einen 56-Jährigen in Bilderstöckchen, der eine junge Frau am Karnevalssamstag 1988 nachts hinter einem Bierstand angegriffen und erwürgt haben soll. Der Prozess hat noch nicht begonnen.
Und es gibt drei weitere Fälle, an deren Klärung die „BAO Cold Case“ beteiligt war: In Vlotho im Kreis Herford nahm die Polizei voriges Jahr einen 38-Jährigen fest, der 2014 eine 84-Jährige getötet haben soll. Der Beschuldigte nahm sich in der JVA Bielefeld vier Tage nach seiner Festnahme das Leben. Des Weiteren steht ein 66-Jähriger im Verdacht, 1987 eine 23-Jährige in Lohmar ermordet zu haben. Der Mann hat bereits wegen Doppelmordes 32 Jahre im Gefängnis verbracht. Und schließlich könnte auch der „Mord im Maisfeld“ demnächst vor Gericht verhandelt werden. Ein 63-Jährige soll 1992 eine 50 Jahre alte Frau in Meerbusch getötet haben. In allen genannten Fällen brachte die DNA des Täters den Durchbruch bei den Ermittlungen.
Die Ergreifung von Mördern sei eine „nie endende Verpflichtung“ gegenüber den Hinterbliebenen, sagt LKA-Direktor Ingo Wünsch. „Irgendwann stehen wir bei ihnen vor der Tür – und wenn es erst 20 oder 30 Jahre später ist.“ Das sei auch ein Verdienst der eigentlich schon pensionierten Kripo-Experten, sagte Reul. „Mit endlosem Tatendrang, mit jugendlicher Neugier haben die alten Hasen sich nochmal hingesetzt und gegraben. Old but gold. Danke für Ihren Einsatz.“
Wie viele „Senior Experts“ das Innenministerium künftig weiterbeschäftigen will und wer welcher Behörde zugeteilt wird, ist noch unklar. Einzelheiten stünden noch nicht endgültig fest, sagte Reul.
An diesen alten Fällen arbeitet die Kölner Polizei
In einer aufwendigen Recherche hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ acht ungelöste Kölner Mordfälle aus den vergangenen 33 Jahren nachgezeichnet. Die Folgen der Serie sind abrufbar unter ksta.de/coldcases.