Alex Lechleuthner ist Mitglied der Nachfolge-Organisation des Corona-Expertenrates. Ein Gespräch über Lehren aus der Pandemie.
Kölner Rettungsdienst-Chef„Kitas und Schulen sind kritische Infrastruktur“
Herr Lechleuthner, Bundeskanzler Olaf Scholz hat Sie im März in den Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“ berufen, dem Nachfolgerat des Corona-Expertenrates. Was sind dort ihre Aufgaben?
Alex Lechleuthner: Bisher gab es nur eine konstituierende Sitzung, das genaue Aufgabenfeld wird noch ausgearbeitet, deswegen kann ich da noch nichts Konkretes sagen. Grundsätzlich soll dieser Expertenrat dabei helfen, gesundheitliche Herausforderungen, die auf die Gesellschaft zukommen, aus fachlicher Sicht zu bewerten und dazu Stellungnahmen abzugeben. Wir haben aus der Corona-Pandemie gelernt, wie wichtig es ist, bestmöglich vorbereitet und in allen Bereichen schnell entscheidungs- und handlungsfähig zu sein.
Alex Lechleuthner ist ärztlicher Leiter des Kölner Rettungsdienstes und Leiter des Instituts für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr der TH Köln. Während der Corona-Pandemie war er Mitglied des Corona-Krisenstabs der Stadt Köln. Seit März ist Lechleuthner Mitglied des Expertenrates „Gesundheit und Resilienz“ der Bundesregierung, der Nachfolgeorganisation des Corona-Expertenrates, unter anderem gemeinsam mit Christian Drosten und Hendrik Streeck.
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Wie ist der Titel des Rates „Gesundheit und Resilienz“ zu verstehen?
Resilienz bedeutet: Wie widerstandsfähig sind wir? Das heißt, Resilienz beschäftigt sich mit der Frage, wie die Gesellschaft besser auf bestimmte gesundheitliche Gefahren vorbereitet werden und wie sie damit besser umgehen kann.
Während der Corona-Pandemie wurde der Gesellschaft ein hohes Maß an Resilienz abverlangt. In den letzten Wochen wurde wieder viel über Fehler während der Pandemie diskutiert. So forderte die FDP eine Enquetekommission zur Aufarbeitung der Pandemie. Kann der Expertenrat bei der Aufarbeitung helfen?
Wenn wir die gesellschaftliche Resilienz stärken wollen, ist es natürlich wichtig, auf vergangene Krisen zurückzublicken und sich zu fragen: Was hat dazu beigetragen, diese Krise zu bewältigen? Und was müssen wir tun, um auf die nächste Gesundheitskrise besser zu reagieren?
Welche Fehler wurden Ihrer Meinung nach gemacht?
Bei der Corona-Pandemie war es gerade am Anfang so, dass wir sehr wenig über das Virus wussten und oft nur in andere Länder blicken konnten, um vorherzusehen, was möglicherweise auf uns zukommt. Ich saß damals im Krisenstab der Stadt und es hat an allen Ecken und Enden an Schutzkleidung und Desinfektionsmittel gefehlt. Wir haben dann als Stadt sehr schnell entschieden, uns diese Sachen selbstständig bis hin zum Weltmarkt zu besorgen. Außerdem fehlte uns oft eine ausreichende Datenlage, um die Situation richtig einzuschätzen. Das sind natürlich Lernprozesse, die uns hoffentlich in zukünftigen Krisen zugutekommen. Insgesamt hatte ich aber schon den Eindruck, dass die Regeln und Richtlinien im Laufe der Zeit konsistenter geworden sind, insofern ist es schon interessant zu sehen, wie sich dieser Maßnahmendiskurs entwickelt hat.
Von Maßnahmenkritikern wird zum Beispiel bemängelt, dass vor allem Virologinnen und Epidemiologen den Diskurs bestimmt haben und Pädagoginnen und Psychologen zu selten gehört wurden.
Ja, das ist sicher auch eine Lehre, die wir aus dieser Krise ziehen sollten. Dass nicht nur die Ansteckung mit einem Virus einen Menschen nachhaltig schädigen kann. Die Zahl der Opfer der Pandemie ist weitaus größer als die Zahl derer, die durch Corona gestorben oder daran schwer erkrankt sind. Beispielsweise Kindertagesstätten und Schulen haben nicht nur eine pädagogische Bedeutung, sondern stellen im Prinzip kritische Infrastruktur dar und müssen deshalb unbedingt ihren Betrieb aufrechterhalten, das war vor der Pandemie vielleicht nicht so im Blick. Ich habe aber das Gefühl, dass das jetzt stärker berücksichtigt wird. Das sieht man zum Beispiel daran, wie der neue Expertenrat zusammengesetzt ist. Da sitzen neben Physikern, Medizinern und Virologen eben beispielsweise auch Experten für Kinder- und Jugendmedizin.
Olaf Scholz nannte bei der Berufung des Expertenrates den Klimawandel und den demografischen Wandel als nächste große Gesundheitsherausforderungen. Wie wird uns das beschäftigen?
Die Herausforderungen des Klimawandels für das Gesundheitssystem sind bereits heute spürbar. Vor allem die extremen Hitzeperioden im Sommer, in denen die Menschen vor allem in Ballungszentren wie Köln immer höheren Belastungen ausgesetzt sind, können gerade für ältere Menschen tödlich sein. In Köln haben wir vor Jahren schon einen Hitzeaktionsplan entwickelt, um dem Problem zu begegnen. Um solche Anpassungspläne wird es, denke ich, auch im Expertenrat gehen. Auch hier hilft der Blick in andere Länder, ob es dort schon geeignete Maßnahmen gibt. Etwa um Städte bei Extremhitze herunterzukühlen, wie das zum Beispiel in Paris oder Wien seit Jahren mit Wassernebelsprühern geschieht.
Und der demografische Wandel?
Die Überalterung der Gesellschaft beschäftigt uns auf allen Ebenen. Um ein Beispiel aus der Praxis des Rettungsdienstes zu nennen: Bei gebrechlichen Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, also zum Beispiel auf einen Rollator angewiesen sind, reicht oft schon eine Bagatellerkrankung wie Husten aus, damit sie sich nicht mehr selbst versorgen können. Hier brauchen wir ambulante Versorgungsangebote, die auch akute Hilfe leisten können, um Krankenhauseinweisungen zu vermeiden. Gerade in einer Gesellschaft, die immer mehr aus Single-Haushalten besteht, ist das eine große Herausforderung.