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Kardinal Woelki wird 65Die ungewisse Zukunft des Aufgeräumten

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Amtseinführung Kardinal Woelkis als Erzbischof von Köln am 20. September 2014

Köln – Nervös? „Nein, überhaupt nicht. Weshalb sollte ich nervös sein?“ Entspannt sitzt Kardinal Rainer Woelki in einem Gartenstuhl auf der Terrasse des erzbischöflichen Hauses. Hinter ihm blüht es in sattem Gelb. Der kleine Park des Bischofshauses an der Kardinal-Frings-Straße ist eine Oase der Ruhe und des Friedens mitten in der Steinwüste der Kölner City.

Der Erzbischof hat den WDR zu einem Geburtstagsinterview empfangen. Am 18. August wird Woelki 65 Jahre alt. 2014 kam er als Nachfolger von Kardinal Joachim Meisner aus Berlin zurück nach Köln. Die Kölnerinnen und Kölner bereiteten ihm einen begeisterten Empfang. „Alle für einen, Rainer für alle“, so stand es auf einem Großplakat am Domforum und auf Postkarten, die zur Erinnerung verteilt wurden.

Ein Wimmelbild zum Amtsantritt in Köln 2014: Alle für einen – Rainer für alle

Wie es sieben Jahre später mit ihm und dem Bistum weitergeht, ist ungewiss. Ein gesetzliches Renteneintrittsalter für Bischöfe gibt es nicht, schon gar nicht bis 65. Ein formelles Rücktrittsangebot an den Papst ist mit 75 vorgesehen. Kardinäle bekommen regelmäßig Verlängerung. In Woelkis Fall könnte es schneller gehen.

Entscheidung liegt beim Papst

Die Entscheidung liegt derzeit in der Hand des Papstes, der im Mai – auf dem Höhepunkt einer nie dagewesenen Führungs- und Vertrauenskrise – zwei Apostolische Administratoren zu einem Kontrollbesuch nach Köln entsandt hatte. Sie sollten sich ein Bild von der Lage machen und dem Papst Bericht erstatten, zwei Monate nachdem Woelki ein 900-Seiten-Gutachten zum sexuellen Missbrauch und zur Verantwortung der Bistumsleitung für Vertuschung, Verdrängung und Bagatellisierung von Verbrechen an Kindern und Jugendlichen vorgelegt hatte. „Von der Qualität her einzigartig“, sagt Woelki über den Report des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke.

Der Bericht der Visitatoren ist inzwischen fertig. Was darin steht, ist nicht bekannt. Und was der Papst daraus folgert, erst recht nicht. „Ich kann nur sagen, dass er mir sehr klar und sehr deutlich sein völliges Vertrauen ausgesprochen hat“, sagt Woelki. Im Februar sei das gewesen, bei seiner bislang letzten Begegnung mit Franziskus.

Stimmung im Erzbistum gespannt

Sollte Woelki also tatsächlich gelassen in die nahe Zukunft schauen, bleibt die Stimmung im Erzbistum gespannt. Ruhe gebracht hat das Gercke-Gutachten jedenfalls nicht. Zwar legt es dem 2017 verstorbenen Kardinal Meisner und seinen Generalvikaren Dutzende Pflichtverletzungen zur Last. Woelki beurlaubte die heutigen Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff und entband den früheren Offizial Günter Assenmacher von seinem Amt als oberster Kirchenrichter. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, vormals Personalchef und Generalvikar in Köln, ließ sein Amt ruhen und suchte in Rom um seinen Rücktritt nach.

Doch Woelki selbst, der als Meisners Privatsekretär, dann als Priesterausbilder und acht Jahre als Weihbischof zum innersten Zirkel um den Kardinal gehört hatte, kommt unbeschadet davon. Verstöße gegen kirchliches und weltliches Recht? Nichts, niente, nihil.

Verantwortung im „System Meisner“

Kritikern reicht das nicht. Über die reine Rechtmäßigkeitsprüfung hinaus fragen sie nach der moralischen Verantwortung Woelkis in einem „System Meisner“. Den Fall des mit Woelki befreundeten Düsseldorfers Pfarrers Johannes O., den Woelki wegen – wie er sagt – einer schweren Demenz des Beschuldigten – nicht nach Rom meldete, wertet die Münchner Anwaltskanzlei WSW aus heutiger Sicht sehr wohl als Pflichtverletzung. Das WSW-Gutachten zog Woelki 2020 vor der Veröffentlichung wegen rechtlicher Bedenken und angeblicher Qualitätsmängel zurück.

Der damalige Betroffenenbeirat sollte die Entscheidung absegnen. Etliche Mitglieder – unter ihnen beide Sprecher – traten unter Protest aus dem Gremium aus, sprachen von Instrumentalisierung und erneutem Missbrauch.

Sturm der Entrüstung

Einen Sturm der Entrüstung löste auch der Fall des Düsseldorfers Pfarrers D. aus, der 2001 einen polizeibekannten sexuellen Kontakt mit einem jugendlichen Stricher am Kölner Hauptbahnhof hatte und dennoch 2017 unter Woelki zum stellvertretenden Stadtdechanten avancierte.

Die Verteidigungslinie der Bistumsspitze – keine Straftat und Recht auf zweite Chance – wurde in weiten Teilen des Bistums mit blankem Entsetzen aufgenommen und Totalverlust des moralischen Kompasses gewertet. Der Diözesanrat, die Laienvertretung, hat ihre Zusammenarbeit mit der Bistumsleitung seit Monaten ausgesetzt.

Geburtstagstalk mit dem Kardinal

All das spielt im WDR-Interview keine Rolle. Im Gegenteil. Auf die mitfühlenden Fragen des – sonst als hartnäckig und unerbittlich bekannten – Reporters Frank Piotrowski, wie Woelki eigentlich den ganzen Druck des vergangenen Jahrs ausgehalten habe, sagt der Erzbischof: „Das ist natürlich menschlich sehr, sehr schwierig. Kraft gegeben haben mir in diesen ganzen Wochen Betroffene, die mir immer wieder den Rücken gestärkt haben.“

Sie hätten ihn gebeten, „diesen ganzen Prozess durchzuziehen und nicht aufzugeben“, weil sonst die bereits geleistete Aufarbeitung auf dem Spiel stehen und sich „eine erneute Leidenszeit“ des Wartens auftun könnte.

Tausende Kirchenaustritte

Dass parallel dazu Abertausende Katholikinnen und Katholiken ihr Leiden an der Kirche, am Erzbistum und auch an Woelki zum Anlass für den Austritt nehmen und die Laienvertretung, aber auch Pfarrgemeinden und sogar 14 der 15 Kreis- und Stadtdechanten ihm den Rücktritt nahelegten – auch das hat in der aufgeräumten Stimmung eines Geburtstags-Talks keinen Platz.

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Nach der Juli-Flut besucht Woelki das schwer getroffene Euskirchen.

Woelki erzählt aus seiner Kindheit, seinem frühen Wunsch, Priester zu werden. Er spricht vom Glück und der Gnade, in seinem ganzen Leben „immer nur gute Priester“ gehabt zu haben. Auch eine Freundin gab’s da mal in seiner Jugend, „aber dann hat sich im Endeffekt doch dieser Wunsch durchgesetzt“. Vom Elternhaus und seiner kirchlichen Sozialisation in der Mülheimer Bruder-Klaus-Siedlung habe er mit Kategorien wie „modern“ oder „nicht modern“, „konservativ“ oder „progressiv“ nichts zu tun gehabt, „sondern einfach damit, dass wir Christen sind und dass wir unseren Glauben leben“.

Erinnerung an Woelkis Zeit in Berlin

Das erinnert an die Jahre, als Woelki Erzbischof von Berlin war. Auch damals wies er den Verdacht einer konservativen Prägung zurück und betonte seine Lernerfahrung im säkularisierten Umfeld der Hauptstadt. „Das, was man Pluralität nennt, habe ich in Berlin viel stärker wahrgenommen als zuvor“, erzählte er 2014 kurz vor seiner Rückkehr. Früher in Köln habe er sich „vornehmlich in katholischen Milieus bewegt“, in einer „geschlossenen Gesellschaft“ gelebt. Das sei in Berlin anders geworden.

Rainer Maria Woelki kommt am 18. August 1956 in Köln-Mülheim als Kind ostpreußischer Heimatvertriebener zur Welt. Er wächst in der Bruder-Klaus-Siedlung in Köln-Mülheim auf, einem Quartier für Kriegsflüchtlinge und Ausgebombte.

Nach Abitur und Wehrdienst studiert er Theologie und Philosophie. 1985 wird Woelki zum Priester geweiht.

1990 wird Woelki Sekretär von Kardinal Joachim Meisner, 1997 Leiter der Priesteraus bildung in Bonn und 2003 Weihbischof in Köln. 2011 geht Woelki als Erzbischof nach Berlin. 2012 erhebt ihn Papst Benedikt XVI. zum Kardinal.

2014 wählt das Kölner Domkapitel Woelki als Nachfolger Meisners zum Erzbischof von Köln. (jf)

„Wir standen 2014 vor einer Entscheidung“, erzählt ein Kölner Domkapitular, der an Woelkis Wahl beteiligt war: „Bekommen wir tatsächlich den neuen Erzbischof von Berlin – oder kehrt Meisners Weihbischof zurück?“ Zuerst sah es nach Ersterem aus. Woelki baute das Bischofshaus um, setzte sich kleiner, er warf sich für Flüchtlinge, ausgebeutete Arbeitsmigranten, Obdachlose in die Bresche. Und brachte bestimmte Milieus gegen sich auf.

Der Erzbischof als Erzfeind

In rechten pseudo-katholischen Kreisen war der Kölner Erzbischof unversehens der Erzfeind. Und auf einmal galten sie doch etwas, die Kategorien konservativ und progressiv.

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Als Woelki in den folgenden Jahren dann ein ums andere Mal Positionen gegen innerkirchliche Veränderungen bezog, hoben die Reformgegner ihre Exkommunikation umgehend auf und gemeindeten Seine Eminenz freudig wieder ein. Heute hebt er seine Pflicht hervor, „den Glauben der Apostel in dieser Zeit präsent zu machen. Ich stehe hier nicht einfach für mich. Ich bin hier nicht einfach eine Privatperson.“

Eine Galionsfigur

Das macht Rainer Woelki zu einer Galionsfigur – so oder so. Sein Rechtsberater, Anwalt Carsten Brennecke von der Kölner Kanzlei Höcker, argwöhnt, die Debatte um den Missbrauch werde „massiv dazu genutzt Kirchenpolitik zu machen“. Es gebe „einfach Leute, die versuchen, Woelki abzulösen“. Genauso gut aber lässt das Szenario sich andersherum lesen: Es gibt einfach Leute, die Rainer Woelki zum 65. nichts sehnlicher wünschen, als dass er bleibt.

Alle für einen, Rainer für alle? Das ist Geschichte. Er selbst wünscht dem Erzbistum im WDR-Interview „Frieden, Einheit und die Fähigkeit, zusammenzustehen und gemeinsam die Aufgabe anzunehmen, zu der es uns überhaupt gibt, die Neu-Evangelisierung unseres Erzbistums“.