Wenn Geschäftsleute an der Zülpicher Straße ihre Läden verrammeln, um sie vor Randalierern, Wildpinklern und Einbrechern zu schützen, dann steht der Karneval kurz bevor.
„Es nimmt jedes Jahr chaotischere Ausmaße an“, erzählt ein Anwohner. „Man findet nach den Karnevalstagen ein Scherbenmeer vor. Überall ist hingekotzt und hingepisst, auch in den eigenen Hauseingang.“
Auch am Chlodwigplatz ist die Sorge groß. Wie man sich in den Feier-Hotspots auf die Auswüchse vorbereitet? Ein Rundgang.
Köln – Es ist extrem – und wird mit jedem Jahr schlimmer. Das zumindest behaupten Händler an Zülpicher Straße und Chlodwigplatz über die Zustände an den Karnevalstagen.
Offen reden über die Probleme mit betrunkenen Randalierern und ihre Schutzmaßnahmen gegen die Zerstörung wollen aber nur wenige – aus Angst, das Problem könne so nur noch größer werden.
Noch scheint alles ganz normal, wie immer zu sein. Menschen laufen hektisch über die Zülpicher Straße, um die Bahn zu bekommen, in den Geschäften herrscht reges Treiben, manchmal klingen die Glocken des Turms der Herz-Jesu-Kirche, der seine Spitze über die Dächer der Stadt in den Himmel bohrt. Doch wer genau hinschaut, der sieht sie: Schon eine Woche vor den jecken Tagen, stehen mehrere hundert Absperrgitter an den Rändern der Zülpicher Straße und ihren Nebenstraßen. An Karneval wird damit das Areal abgesperrt. Vorboten einer Zeit, in der sich viele Menschen, die hier leben, fürchten vor dem, was kommt – vor Tausenden, die hier ausgelassen Karneval feiern wollen.
„Marodieren“ nennen manche Anwohner das. Viele berichten von Dreck, Müll und Zerstörung. „Der Karneval wirft so langsam seine Schatten voraus“, sagt Susanne Bethke. Ihr gehört ein kleiner Laden an der Zülpicher Straße, in dem sie neben Postkarten und Füllern auch Glück in kleinen Flaschen verkauft. Den Abend vor Weiberfastnacht hat sie seit ihrer Übernahme des Ladenlokals vor zehn Jahren zum Ritual gemacht. „Das ist ein besonderer Abend, sonst habe ich das nur an Silvester“, sagt sie. Nach Ladenschluss verriegelt sie dann ihren Laden „Papelito“, fährt ein schwereres Rollo vor den Fenstern herunter, verbarrikadiert sogar den Seiteneingang.
Über ihn waren während der Karnevalsfeierlichkeiten vor einigen Jahren einmal Einbrecher eingestiegen und hatten ihren Laden ausgeräumt. Rund 10.000 Euro Schaden seien damals entstanden, erläutert Bethke. Auch sonst seien die Karnevalstage nicht gut für ihre Kasse. Schließlich zwinge sie die Situation auf der Straße, fast eine ganze Woche zu schließen. „Das tut natürlich weh, klar.“ Sie ist eine der wenigen, die auf der Zülpicher Straße ungezwungen ausspricht, was sie am karnevalistischen Treiben stört.
Ein Anwohner erzählt unter der Voraussetzung, seinen Namen nicht in der Zeitung zu lesen: „Es nimmt jedes Jahr chaotischere Ausmaße an“, sagt er. „Man findet nach den Karnevalstagen ein Scherbenmeer vor. Überall ist hingekotzt und hingepisst, auch in den eigenen Hauseingang.“ Regelmäßig flüchte er deshalb vor den jecken Tagen – seine Frau diesmal nach Holland, er nach Norddeutschland. „Köln hat diese Straße zum Abschuss freigegeben“, sagt eine Händlerin an der Zülpicher Straße nur anonym.
„Ich muss in dieser Zeit sozusagen Zwangsurlaub nehmen“, sagt Stephanie Ilhan, die auf der Zülpicher Straße einen Friseurladen besitzt. Jedes Jahr verbarrikadiere sie ihre einfach verglaste Fensterscheibe und die Hauseingänge mit Holzbrettern. Aus Angst davor, Betrunkene könnten die Scheibe einwerfen oder auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit in die Kellerräume eindringen. „Das ist hier alles schon passiert. Deshalb bringt es nichts, an diesen Tagen zu öffnen, die Kunden kommen wegen der Zustände an diesen Tagen ja eh nicht mehr“, ist ihr Fazit.
Um ihre Umsatzeinbußen wegen der unfreiwilligen Schließung ihres Ladens während Karneval wettzumachen, stehe sie jetzt jeden Abend etwas länger in ihrem Geschäft. „Und bin froh, wenn es wieder vorbei ist.“
Auch auf dem Chlodwigplatz kündigt sich der Karneval langsam an. Eigentlich gilt während des Karnevals auch hier das Glasflaschenverbot. Das, was am Chlodwigplatz an Glas übrigbleibt, wird dagegen verpackt – etwa die gläsernen U-Bahn-Aufgänge sind aus Schutz vor Randalierern von Sperrholzplatten umhüllt. Wahrscheinlich wäre das auch die beste Idee für ihre Schaufensterscheibe, meinen die Mitarbeiter eines anliegenden Geschäftes. „Wenn wir aber der Firmenzentrale in Berlin aber sagen, dass da eine gewisse Gefahr besteht, können die das gar nicht so nachvollziehen“, erläutert Mitarbeiter John Campana. „Ich bin froh, dass ich an Karneval dieses Jahr nicht arbeiten muss. Ich habe wirklich keine Lust mehr auf Besoffene, die uns den Laden kaputt machen.“
Und doch gibt es sie: Die Händler, die sich freuen auf die wilden Tage im Jahr – weil die Feiernden für sie auch ein gutes Geschäft bedeuten. „Ich finde es unnötig, das Thema an die große Glocke zu hängen. Die Karnevalisten sind so aufs Feiern fixiert, dass die Stimmung ansonsten sehr friedlich ist“, sagt Dursmus Arslan, der an der Zülpicher Straße einen Kiosk betreibt. Jetzt, so sagt er, sei in seinem Laden noch „tote Hose“, das ändere sich an Karneval schlagartig. „Wegen der Sicherheit habe ich gar keine Bedenken. Ich mache mir eher Sorgen, dass die Sicherheitsmaßnahmen zu stark werden und weniger Kunden kommen.“
Und Susanne Bethke? Die Besitzerin des „Papelito“ hat ihre Sorgen um ihr Ladenlokal im vergangenen Jahr bewusst auszublenden versucht, während der Karnevalstage stattdessen ihre Wohnung renoviert. Und in diesem Jahr? „Vielleicht fahre ich weg, vielleicht feiere ich mit, vielleicht renoviere ich meine Wohnung wieder. Oder von allem etwas.“