Fast so zahlreich und genau so ausgelassen wie 2023 feierten vor allem junge Jecken im Zülpicher Viertel. „Der ganz normale Wahnsinn“, so ein Anwohner.
„Wir sind alle krankgeschrieben“So lief der 11.11. im Zülpicher Viertel
Kurz vor 11.11 Uhr stimmt die Menge aus Tausenden von jungen Karnevalisten einen Countdown an, als wäre Silvester. Als sie bei Null angekommen ist, brandet Jubel auf der Zülpicher Straße auf, Konfetti fliegt durch den Nieselregen, einer zündet Bengalos, ein anderer hält seine Musikanlage über den Köpfen der Menge, die anfängt, zu „Guten Morgen Barbarossaplatz“ zu schunkeln und zu grölen.
Es ist wieder Karneval in Köln. Und wieder sind zehntausende, vor allem junge Jecke ins Zülpicher Viertel gepilgert, um dort den Sessionsauftakt zu feiern. Nachdem der 11.11. im vergangenen Jahr auf einen Samstag fiel und das Zülpicher Viertel aus allen Nähten platzte, war die Hoffnung bei Stadt und Anwohnern groß, dass der Andrang dieses Jahr, an einem Montag, geringer ausfällt. Auch, damit sich Szenen wie im vergangenen Jahr, als vor allem der Aachener Weiher als Freilufttoilette und Müllhalde missbraucht wurde, nicht wiederholen.
Wenn Karneval wichtiger als die Erdkunde-Klausur ist
Doch auch wenn das Zülpicher Viertel am Morgen nicht ganz so voll wirkt wie im vergangenen Jahr – allzu viele Jecken haben sich von Wetter und Wochenbeginn nicht aufhalten lassen.
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„Wir haben gehört, hier soll es gut sein“, „die Stimmung ist gut“ oder „weil hier alle herkommen“ – das antworten die jungen Jecken auf die Frage, warum sie im Zülpicher Viertel feiern. Max aus Kaiserslautern sagt: „Wir sind hierhergekommen, weil uns gesagt wurde, dass hier am meisten los ist.“ Der 23-Jährige, der seinen ersten 11.11. in Köln als Cowboy verkleidet feiert, ist jedoch ein bisschen enttäuscht: „Aus Kaiserslautern kenne ich es an Fasching, dass auf den Plätzen Bühnen aufgebaut sind und überall Musik läuft.“
Auch eine Gruppe Frauen Anfang 20 ist extra aus Karlsruhe gekommen, sie haben gehört, dass die Stimmung im Zülpicher Viertel gut sein soll, und sind wegen der fehlenden Musik enttäuscht. Der 20-jährigen Julie aus dem Bergischen dagegen gefällt es super im Zülpicher Viertel – „ist halt geil“, sagt sie. Seit fünf Jahren kommt sie mit ihren Freunden zum Feiern hierher.
Marie feiert auf der Zülpicher Straße, weil hier alle ihre Freunde herkommen, „alle in unserem Alter“. Die Kölnerin ist 16 Jahre alt, sie habe heute aber schulfrei, beteuert sie. Anders sieht es bei einem 17-jährigen Kölner aus. Bei der Frage, ob er denn nicht in der Schule sein müsse, verzieht er das Gesicht. Nicht schulfrei? „Ne, ich habe ne Klausur, aber egal.“ Ist ja nur Erdkunde. Und seine 16-jährige Begleiterin wirft ein: „Karneval ist wichtiger.“
Mitten im Trubel auf der Zülpicher Straße ist auch die Kneipe „Stiefel“. Um 11.11 Uhr hat Stephan Freund hier die Türen geöffnet. „Die Leute sind sehr gut drauf“, sagt er wenige Stunden später. Es sei besser als im Vorjahr, bisher hätten sie auch keine Betrunkenen abweisen müssen. Direkt gegenüber vom „Stiefel“ steht Yasin Kutlu in der Tür seines „Borsalino“. Auch sein erstes Fazit fällt positiv aus, die Stimmung sei „sehr gut“. Im Gegensatz zu Weiberfastnacht und dem vergangenen 11.11. sei das Publikum älter, statt Jugendlichen seien mehr Studenten unterwegs. Claudia Wecker vom „Ding“ sagt, es habe bis mittags noch „fast keinen Stress“ gegeben und die Stimmung sei gut. Sie stört sich lediglich an dem Sperrkonzept der Stadt, das sie als „irren Freiluft-Zoo“ bezeichnet. „Mir ist klar, dass es Sperren geben muss, aber ob es so sein muss, weiß ich nicht.“
Spätestens als sich kurz nach 11 Uhr die Sonne zeigt, ist das Zülpicher Viertel rappelvoll, zwischendurch sperrt die Stadt die Eingänge und leitet das Geschehen auf die Ausweichfläche auf der Uniwiese weiter. Auch dort ist es bereits am Vormittag voll. Natascha, die im dritten Semester in Köln studiert, ist dieses Jahr lieber direkt zur Ausweichfläche statt auf die Zülpicher Straße gegangen. Ganz zufrieden ist sie aber nicht: „Die Musik könnte lauter sein und es ist sehr voll.“ Josephine, die mit ihren Freunden seit etwa zehn Uhr auf der Uniwiese feiert, bemängelt, dass dort kein Alkohol mehr verkauft wird. „Man muss vorbereitet kommen.“ Das sind ihre Freunde: Stolz zeigen sie die volle Reisetasche mit kleinen Berentzen-Flaschen.
Als der Andrang so groß wird, dass die Zülpicher Straße geschlossen werden muss, verlagert sich das Geschehen auch auf die Luxemburger Straße, die zwischen Barbarossaplatz und Uni-Center gesperrt wird. Und auch Richtung Aachener Weiher. Zwar hat die Stadt große Teile rund um den Aachener Weiher und den Hiroshima-Nagasaki-Park abgezäunt –aber eben nicht alles.
Auf der Wiese in der Mitte des Parks sammeln sich Feiernde, die dort zusammenstehen, trinken und tanzen. Mehrere Jecken haben große Musikanlagen mitgebracht und beschallen den Park mit einer Mischung aus Karnevals-Hits und Techno. Und auch die Absperrungen scheinen einige Jecke nicht besonders zu interessieren. Einen Zaun im Park haben sie zur Seite geräumt, um zwischen den Bäumen im Gebüsch ihr Geschäft zu verrichten. Das scheint aber eher die Ausnahme zu sein. Insgesamt bleibt die Stimmung trotz merklich steigendem Alkoholpegel größtenteils friedlich.
Erstes Zwischenfazit von Polizei und Feuerwehr fällt positiv aus
Diesen Eindruck bestätigt auch die Polizei: „Bisher ist die Lage entspannt“, sagt eine Sprecherin am Nachmittag. Bis auf vereinzelte Zwischenfälle sei es vergleichsweise friedlich. „Für uns ist der Tag aber noch jung.“ Am frühen Abend häuften sich dann erwartungsgemäß mit zunehmenden Alkoholpegel Streitigkeiten und Schlägereien, insgesamt aber weiterhin auf niedrigerem Niveau als in den Vorjahren, so ein Sprecher am frühen Abend. Ähnliches berichtet die Feuerwehr: „Für die Einsatzkräfte ist es bisher ein schöner und ruhiger 11.11., sodass sie auch ein bisschen mitschunkeln können.“
„Der übliche Wahnsinn“, bilanziert Michael Neumann von der Bürgergemeinschaft Rathenauplatz den Tag. „Die Hoffnung, dass weniger Leute kommen, weil es ein Montag ist, ist meiner Einschätzung nach nicht eingetroffen. Dadurch, dass es aber deutlich mehr Absperrungen gibt, etwa am Aachener Weiher, bin ich heute deutlich entspannter als im vergangenen Jahr.“ Dennoch sei die Belastung für die Anwohner noch immer immens.
Ähnlich sieht das der Bezirksbürgermeister der Innenstadt, Andreas Hupke: „Ein Jugendlicher, den ich angesprochen habe, hat es so formuliert: Wir sind heute alle krankgeschrieben.“ Die Atmosphäre habe er allerdings als „nicht so exzessiv und aggressiv“ erlebt wie in den vergangenen Jahren. „Die Ordnungsbehörden haben Wort gehalten und viele Jugendliche kontrolliert.“ Das Geschehen hat sich Hupkes Eindruck nach schneller als in den vergangenen Jahren in die Nebenstraßen verlagert. Für Hupke bestätigt diese Beobachtung das, was er schon länger fordert: „Wenn die Jugendlichen eine vernünftige Alternative zum Feiern in der Stadt hätten, dann würden die da sofort hinlaufen.“