AboAbonnieren

20 Jahre „Loss mer singe“Wie in einer Kneipe am Eigelstein alles begann

Lesezeit 4 Minuten
DSC_9588

Gemeinsames Singen zum Geburtstag mit dem Schöpfer der ersten „Loss mer singe“-Hymne, Wolfgang Anton (2.v.l.), Ex-Bläck Fööss Sänger Kafi Biermann (l.), Georg Hinz (3.v.l.), Marian Hirschfeld  (2.v.l.) und Oli Niesen von Cat Ballou (r.) 

Köln – Peter Brings ist ein Mann der klaren Worte: „Du wirst schneller enttarnt, wenn du Scheiße schreibst“, sagt er über den Einfluss, den die Mitsing-Bewegung Loss mer singe (LMS) auf den aktuell guten Zustand der kölschen Musikszene und die Qualität der Lieder hat. Höchstes Lob von einem Mann der ersten Stunde. Denn der Sänger war vor zwanzig Jahren mit seiner Band Brings erster Gewinner beim LMS-Wettbewerb um den besten Song der Session: „Superjeile Zick“. Die Musikszene rund um den Karneval hat sich seitdem massiv verändert.

Gute Ideen entstehen, wie gute Hauspartys, oft in einer gemütlichen Küche. In der von Georg Hinz hatte sich ein Freundeskreis bereits im dritten Jahr für die neue Session eingesungen, als man 2001 beschloss, ins Lapidarium am Eigelstein zu ziehen, um hier an einem Freitagabend wildfremden Zufallsbesuchern der Kneipe, Textzettel mit den neusten Hits der Session in die Hand zu drücken und zum Mitsingen der ablaufenden CDs einzuladen.

In der Kneipe Lapidarium wurde der erste Sessions-Hit gekürt

Die Kneipengäste, die nicht geflüchtet waren, wurden anschließend noch gefragt, welchen Song man denn als „Kneipenhit der Session“ sehen würde. LMS war geboren. Heute sind es um die 80 Veranstaltungen in Köln und Umgebung, die Jahr für Jahr zum „Einsingen in den Karneval“ einladen, um die Menschen „textsicher für die tollen Tage zu machen, damit sie intensiver das Fest erleben können“, wie Erfinder Hinz sagt.

Alles zum Thema Loss Mer Singe

Darum traf man sich jetzt zum Auftakt der Session mit rund 150 Weggefährten, Musikern und Sponsoren auf ein Kölsch im Lapidarium, darunter Kafi Biermann (Ex-Fööss), Stephan Brings, Detlef Vorholt (Paveier), Olli Niessen (Cat Ballou), JP Weber, Ex-Wirt Ernst Moers, Gerd Krebber (Ex-WDR) oder Thomas Deloy von Gaffel. Und es wurde – nein, nicht gesungen (bis auf ein kurzes Ständchen von Wolfgang Anton), sondern geredet.

Video von Weggefährten zum Jubiläum von „Loss mer singe“

Zum Jubiläum hatte Filmemacher Marian Hirschfeld, u.a. für die Videos von Cat Ballou zuständig, die LMS-Erinnerungen und Einschätzungen von über 50 Akteuren in 20-minütigen Interviews festgehalten. „Auch bei uns gibt es gerade einen Generationswechsel“, sagt Georg Hinz, „und wir wollten für unseren Nachwuchs festhalten, wie es losgegangen ist.“ Entstanden ist ein eindrucksvolles Dokument, ein noch weitgehend unbearbeiteter Diamant.

Denn die Beteiligten haben durchaus etwas zu sagen. Brauchtumsforscher Wolfgang Oelsner etwa merkt heute, woran man damals gelitten habe: „LMS hat uns aus der reinen Konsumentenhaltung befreit.“ Das Publikum habe sich vor zwanzig Jahren berieseln lassen, trotz der Sehnsucht, mitzumachen, mitzugestalten. „Durch das Singen bist du beteiligt.“ Als eine „Bewegung von unten“ bezeichnet er LMS, aber „gute Ware wird vom Publikum honoriert.“

„LMS ist ein Steigbügel für neue Bands“

„1970 sah es in den Sitzungssälen aus wie im Bundestag beim Hammelsprung – eine Band wie Querbeat hätten die mit dem nassen Handtuch aus dem Saal getrieben“, sagt Bläck Fööss-Gründungsmitglied Hartmut Priess. „Ohne LMS wären alle neuen Bands seit Brings gescheitert.“ Und Kollege Kafi Biermann ergänzt: „LMS ist ein Steigbügel für neue Bands“.

Die beiden samt Bömmel Lückerath unterstützten das Projekt von Anfang an mit honorarfreien Auftritten in der Kneipe, charmant war das Unkomplizierte, Spontane. „Ich habe mir »Kaffebud« gewünscht, aber die drei hatten den Text nicht drauf“, erinnert sich Ex-Lapidarium-Mitarbeiter Guido Eilers. „Ich schon – also habe ich das Lied gesungen.“ Das besondere sei, so Peter Brings, dass „es um den Song geht, nicht um den Künstler.“ Die Qualität der Songs habe profitiert, und LMS sei „eine Frischzellenkur für die kölsche Sprache“, wie Wolfgang Löer ergänzt.

„Die Mitsing-Bewegung ist die ideale Vorstellung von Karnevalfeiern“

Dabei gab es durchaus Unterschiede zwischen Sitzungssaal und Kneipe. So gewann 2006 der Höhner-Titel „How do you do?“, der, wie Henning Krautmacher sich erinnert, im Saal überhaupt nicht lief. Für Kasalla-Frontmann Basti Campmann waren in Zeiten, als die Band nur 20 bis 30 Auftritte in der Session hatte, regelmäßige LMS-Besuche jedenfalls „Aha-Erlebnisse“, und Hanz Thodam, heute bei den Fööss, freut sich über die „ungeheure Wertschätzung, wenn alle ein von dir komponiertes Lied mitsingen.“ Dabei sei das Absingen neuer Lieder, so Kabarettist Jürgen Becker, eigentlich etwas, was der Mensch gar nicht so gerne mache. In der Gruppe wohl eher, und der Prozess sei „sehr demokratisch.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Miljö-Sänger Mike Kremer sieht es aus der Sicht des Publikums: „Für mich ist LMS die ideale Vorstellung von Karnevalfeiern.“ Dafür wurden auch in diesem Herbst wieder über 400 Neuproduktionen von einer Jury gesichtet, in einer aufwendigen Abstimmung mit über hundert Teilnehmern entstand dann die Liste mit den 20 Titeln, die jetzt auf Kneipentour ist.

Bei der Premiere in der Ubierschänke am Mittwoch vor rund 150 Gästen gab es direkt eine Überraschung: Es siegten die sehr kneipentauglichen Songs „Verlieb dich nie (in dat Mädche hinger d’r Thek’“) von Eldorado vor dem von Hanz Thodam geschriebenen Bläck-Fööss-Titel „Die nächste Rund’“. Dritter wurde Miljö mit „Null oder Hundert“.

www.lossmersinge.de