- Noch ist Sommer, aber es sieht nicht gut aus für den Karneval – auch in Köln.
- Die Landesregierung kann sich bei der jetzigen Infektionslage des Coronavirus keine fünfte Jahreszeit vorstellen.
- Eine Übersicht über den aktuellen Stand sowie die Argument für und gegen eine Absage des Fastelovends.
Köln/Düsseldorf/Berlin – Am Mittwochnachmittag versucht das Festkomitee Kölner Karneval zu retten, was zu retten ist und eine Aussage seines Präsidenten einzufangen, die dieser am Morgen im WDR zum Thema Corona getätigt hatte. „Der Straßenkarneval, der Kneipenkarneval, das sind so Elemente, die wir uns nicht vorstellen können“, sagte Christoph Kuckelkorn. „Auch Ballveranstaltungen können wir uns nicht vorstellen.“ Anders sei es bei Karnevalssitzungen mit Hygienekonzept. Man könne ja auch mit Maske in ein Restaurant gehen und diese dann am Platz abnehmen.
War es das? Ist die Kamelle schon gelutscht? Springt ausgerechnet das mächtigste Sprachrohr aus der deutschen Karnevalshauptstadt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Seite, der sich wegen der Pandemie zuvor äußerst skeptisch geäußert hatte, ob Karneval im kommenden Winter überhaupt stattfinden könne?
Sessionsbeginn in Köln steht auf der Kippe
Alle, die mit den Feinheiten des kölschen Fasteleer und der seit Wochen laufenden Debatte vertraut sind, können sich das kaum vorstellen. Wozu die ganzen Planspiele für die kommende Session mit Mottowagen, die auf den großen Plätzen der Stadt stehen, anstatt am Rosenmontag durch die Straßen zu rollen? Warum überhaupt über ein Dreigestirn nachdenken, wenn der Karneval komplett ausfällt?
FK-Sprecherin Tanja Holthaus versucht am Nachmittag, das Kuckelkorn-Statement einzufangen. Dessen Aussage habe sich vor allem auf den Sessionsauftakt am 11.11. bezogen. „An unseren Plänen für die Session ändert das erstmal nichts. Klar ist, dass beim Feiern Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden müssen. Dichtes Gewühl auf den Straßen oder in den Kneipen bereitet uns deshalb natürlich Sorgen. Daher tendieren wir am 11.11. aktuell zu einer kleinen Lösung. An unseren Plänen für die Session ändert das erstmal nichts. Wie gehabt arbeiten wir an alternativen Formaten für den Zoch und die Sitzungen und entwickeln Konzepte, die die Abstands- und Hygieneregeln berücksichtigen. Jetzt schon etwas abzusagen, das in einem halben Jahr stattfindet, ist weder nötig noch sinnvoll.“
Zeitgleich tritt Karl-Josef Laumann (CDU) in Düsseldorf vor die Presse. Die Aussagen des NRW-Gesundheitsministers sorgen beim Festkomitee in Köln für Beruhigung. Laumann will mit einem Verbot abwarten. Noch! „Derzeit ist nicht sicher abzusehen, wie die Covid-19-Pandemie sich in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird“, sagt er. „Ich persönlich bin, Stand heute, bei Karnevalsfeiern in diesem November nicht optimistisch.“ Eine Entscheidung solle Mitte September fallen.
Infektionsgeschehen als entscheidender Faktor für Absage
Entscheidender Maßstab sei das Infektionsgeschehen. „Es war allen klar, dass mit der Reisesaison ein erhöhtes Risiko verbunden ist.“ Man habe mit den Karnevalsvertretern besprochen, das Infektionsgeschehen nach den Sommerferien zu analysieren. Bis dahin prüfe man Konzepte der großen Festkomitees und „die mitunter anders gelagerten Fragen kleiner Vereine.“ Sollte die Entscheidung gegen den Karneval fallen, müsse das akzeptiert werden. Bei Absagen von Schützenfesten und Kirmesveranstaltungen habe man auch „nicht mit der Wimper gezuckt“.
SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) spricht sich am Mittwoch in Düsseldorf zwar gegen eine pauschale Absage aus. „Dass es klassische Sitzungen in geschlossenen Räumen geben“ könne, halte er aber „für schwer vorstellbar“.
In Köln rechnet man nicht damit, dass die Entscheidung der Landesregierung über die Sessionseröffnung am 11.11. vor der Kommunalwahl am 13. September getroffen wird. Für viele Karnevalisten in Köln ist der Zeitdruck nicht so hoch, startet die Session doch erst Anfang Januar so richtig durch. Und selbst bis zur Sessionseröffnung am 11.11. blieben noch mehrere Wochen.
Kölner Politik will noch keine Aussage treffen
Dieses Datum gilt als eine Art Versuchsballon, an dem man Corona-taugliche Konzepte testen könnte. So planen die neun Traditionskorps eine gemeinsame Veranstaltung in der Lanxess-Arena. Dort sind 2400 Besucher zugelassen, das Schutzkonzept hat sich bei bisher 20 Konzerten bewährt. Sollte die Veranstaltung vom Publikum angenommen werden, könnte die Arena zu einer Art großem Gürzenich werden. Karnevalistische Programme in Plexiglas-Boxen und auf Tribünen statt an langen, nur teilweise besetzten Tischen. Je nach Corona-Lage würde die Eröffnung der Ostermann-Gesellschaft auf dem Heumarkt im TV übertragen, der Countdown der Großen von 1823 als Live-Stream. All das wäre bei einer Komplettabsage Makulatur.
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Aus dem Kölner Rathaus verlautbart, dass es zu früh sei, um Absagen oder Zusagen zu tätigen. „Wir brauche erst eine klare Einschätzung des prognostizierbaren Infektionsgeschehens im November. Dann können wir Maßnahmen beschließen“, teilt das Presseamt in Vertretung der Oberbürgermeisterin mit. Im September komme der Runde Tisch Karneval, an dem das Festkomitee, Karnevalsvereine, Gastronomen, Virologen und die Polizei sitzen, das nächste Mal zusammen. „Dann werden wir sicherlich etwas klarer sehen“, heißt es weiter. „Der Karneval und die Menschen, die ihn feiern, haben jedes Recht, die beste Entscheidung zu bekommen, was erlaubt werden kann und was nicht.“
Der wirtschaftliche Schaden wäre immens. Laut einer Studie, die das Festkomitee bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group in Auftrag gegeben hatte, betrug die Wirtschaftskraft des Karneval in der Session 2017/2018 mehr als 600 Millionen Euro. Zu den Umzügen kommen demnach 2,1 Millionen Besucher, an Sitzungen und Bällen nehmen 835 000 Karnevalisten teil und auch der Tourismus boomt. Den größten Anteil am Umsatz hat die Gastronomie mit 257 Millionen Euro.
Jürgen Becker schlägt Verschiebung in Mai vor
Mit einem ganz anderen Vorschlag meldet sich der Kabarettist Jürgen Becker zu Wort. Weil der „Psychohaushalt der Stadt Köln“ ohne Karneval schwer durcheinander gerate, schlägt er vor, den Sessionshöhepunkt ausnahmsweise und nur ein einiges Mal in den Mai zu verschieben. „Bis dahin gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit schon einige Zeit einen Impfstoff und man kann viele Veranstaltungen draußen machen.“
In den kleineren Städten und Gemeinden des Rheinlands ist die Lage deutlich komplizierter. Eine lange Hängepartie können sich die kleinen Vereine kaum leisten. Wie im Kreis Euskirchen hoffen viele Gesellschaften deshalb auf eine klare und frühzeitige Entscheidung der Landesregierung, um bestehende Verträge noch kündigen zu können. „Für die kleinen Gesellschaften wäre es am besten, wenn abgesagt und die Hallen für Karnevalsveranstaltungen gesperrt würden“, sagt Eddy Wildenburg, Präsident der KG Rut-Wies Balkhausen-Türnich in Kerpen – und steht damit nicht allein da. (mit nip/NR/og/tom)