Der Kölner Gentleman ist andere Größenordnungen als das 500 Plätze umfassende Schrotty in Bickendorf gewohnt.
Für die Einhaltung der strengen Regeln belohnte er seine Fans mit Nähe. Mehrmals streifte er durch die Reihen. Ein Popstar zum Anfassen.
Ein Konzerterlebnis zwischen Corona-Auflagen und stimmungsvollen Reggae-Vibes.
Köln – „Mit Fanta 4 fülle ich Stadien, ich spielte in Palladien und jetzt ist Schrotty dran“, sagte Gentleman und wirkte kein bisschen enttäuscht über die drastische Verkürzung auf die 540 Fans, die sich am Samstagabend auf die Vogelsanger Straße 406 begaben – auf das Konzert vom internationalsten Star Kölns. Tilmann Otto, wie der 45-Jährige Reggae-Musiker bürgerlich heißt, nutzte sodann jede Freiminute für ein „Tolle Vibes hier“ und „Wie schön es ist, wieder in Köln zu spielen“.
Auf dem Schrottplatz in Bickendorf finden nun seit rund sechs Wochen Open-Air-Konzerte statt. Ein paar Höhepunkte gab es neben Gentleman bereits: die Kölner Band Bukahara, Reggae-Sänger Patrice und die Kölsch-Lieblinge von Kasalla standen hier auf der Bühne.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Stadtverwaltung, die Schrotty-Betreiber Yediyar Isik zunächst die Schank-Konzession verweigert hatte, ist das Freiluft-Geschehen zwischen Wracks und ausrangierten Autositzen längst eingespielt: Kurz vor Beginn des Gentleman-Konzerts kreischte keine Kehle, sondern alle saßen geordnet an ihrem Sitzplatz oder gingen höchstens zwischen zwei Absperrgittern artig im Einbahnstraßen-Modus zur Toilette. Natürlich mit Maske. Sobald man saß, durfte man diese nur abnehmen, wenn alle in der Reihe eine Einwilligung unterschreiben. Das Corona-Korsett lässt grüßen.
Doch das Konzept geht auf: Alle machten diszipliniert mit. Sogar das Bier kam zu einem gefahren, um Ansammlungen zu vermeiden. Es herrschte so penible Ordnung, dass die Reporterin befürchtete, der Konzertspaß käme völlig abhanden. Doch 200 Prozent Korrektheit ist für Konzert-Veranstalter in diesen Zeiten ein Kompliment. Für Glücksgefühle sorgte dann schon Gentleman selbst. Was nicht zuletzt an seiner empathischen Haltung lag: Er spiegelte dem Publikum laufend dessen Gefühle. „Wenn man aufsteht, kommt das Ordnungsamt. Man muss nicht alles verstehen“ oder „Wir dürfen nicht rauchen, nicht tanzen“. Absurder: „Man kann auch im Sitzen tanzen, ich zeige es euch“.
Solange er ruhige Nummern wie „It no pretty“ spielte, fiel es den Leuten nicht schwer, sich in die Autositze zu kuscheln und ein wenig benebelt (es war mit Sicherheit der Discorauch!) und von einem Lichtermeer aus Feuerzeugen eingehüllt, diesen kuriosen Moment in der Geschichte irgendwie zu genießen. Doch sobald er zu schnelleren Dancehall-Rhythmen switchte, pulsierte dieser Aufruf zum „Dance“ in manchen so stark, dass ein paar Solitäre aufsprangen und höchstens drei Mal ihre Hüften schwangen, bis die Security herbei eilte und sie zurechtwies. Hat sich trotzdem gelohnt, strahlten ihre Gesichter. So wurde auch der Toilettengang von manchen dazu genutzt, sich im Takt zur Musik ein Stück trotzige Freiheit zurückzuholen.
Neue Lieder feiern Premiere
Premiere feierten Gentlemans neue, deutsche Lieder in Köln, die einen Vorgeschmack auf das im Herbst erscheinende Album „Blaue Stunde“ gaben. Wenn treue Begleiter des Patois-sprechenden Reggae-Ablegers aus Köln skeptisch waren, so merkte man es hier nicht. „Time Out“, „Ahoi“ und „Garten“ – viele waren, zumindest bei den Refrains, schon textsicher. Bei den Strophen haperte es noch, doch Gentleman überging den kollektiven Black-Out höchst souverän. Überhaupt hatte er, der schon über 20-Jährige Bühnenkarriere vorzuweisen hat, die Situation sichtlich im Griff. Er belohnte die Fans mit Nähe: Mehrmals sprang er von der Bühne und streifte durch die Reihen. Eine Corona-Faust hier, ein Kniefall dort. Ein Popstar zum Anfassen. Seiner fünfjährigen Tochter in der Mitte des Platzes stattete er mehrmals einen Besuch ab – während Mutter Tamika als Backgroundsängerin in Aktion war. Nicht nur coronakonform, sondern auch kinderfreundlich ist dieses Open-Air-Format.
Demnächst treten Christian Löffler (24. September) sowie Miljö und Lupo (30. September) auf. Schon Kasalla habe gezeigt, dass „die Kombi aus hochkarätigem kölschem Konzert und Schrottplatz-Flair cool ist und die Leute begeistert“, sagt Hannah Hoss vom „Schrotty“. Planen könne man derzeit nicht bis weit in die Zukunft: „Es sind sehr hohe Auflagen zu erfüllen, die natürlich mit einem enormen (finanziellen) Mehraufwand verbunden sind. Die Auflagen werden zudem regelmäßig aktualisiert.“ Doch der Wunsch nach Mehr ist da. Möge der Open-Air-Sommer noch lange halten. Und aus vielen Stars nahbare Wesen machen.