„Berlin Berlin – Die große Show der Goldenen 20er Jahre“ gastiert ab Ende Juni in der Philharmonie in Köln. Und hat einige Schwächen.
Potpourri statt HandlungsbogenRevue „Berlin Berlin“ kommt in die Kölner Philharmonie – so ist die Show
Aus dem Parkett kommen schrille Töne. Ein Nazi pöbelt gegen die dunkelhäutige Sängerin und Tänzerin, die mit anderen Darstellern auf der Bühne steht, beschimpft die Frau, die einen Rock aus Bananen trägt, als „Affe“ und fordert lautstark „deutsche Kultur“. Dann kommt er nach oben. Mit dem energisch angestimmten „Bye bye, mein lieber Herr“ aus dem Musical „Cabaret“ lässt er sich schwerlich vertreiben.
„Stormy Weather“ erklingt als nächstes Lied, und auf der Projektionsfläche im Bühnenhintergrund ziehen düstere Wolken auf. Während grelles Licht Ungemütlichkeit verbreitet, senkt sich eine riesige Hakenkreuzfahne vor die Szene, und die Darsteller, dahinter nur noch als Schattenrisse erkennbar, singen pathetisch „Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück“.
Die Revue „Berlin Berlin“ in Köln – wegen Corona-Pandemie verschoben
So bricht in der Revue „Berlin Berlin“ der Nationalsozialismus über den Nachtclub herein, dessen buntes Treiben das Lebensgefühl der „Goldenen 20er Jahre“ beschwört. 2019 feierte die Show im Admiralspalast in Berlin Weltpremiere, wurde drei Wochen vor ausverkauftem Haus gezeigt und ging anschließend auf Gastspielreise durch fünf deutsche Städte.
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In diesem Sommer ist die Revue, inhaltlich und optisch weiterentwickelt, erstmals in Opern- und Konzerthäusern zu erleben, etwa in der Kölner Philharmonie. Nach den ersten Vorstellungen im Dezember 2021 in Berlin musste die neue Tournee wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Ein Jahr darauf kehrte die überarbeitete Inszenierung im zweiten Anlauf in den Admiralspalast an der Friedrichstraße zurück, der in den 1920er Jahren eines der drei großen Revuetheater der Hauptstadt war.
Die meisten Hauptrollen – vom „Admiral“ genannten Conférencier (Simon Stockinger) über Marlene Dietrich (Lena Müller) bis zu Skandaltänzerin Anita Berber (Jil Clesse) – sind im Vergleich zur ersten Tourneeproduktion neu besetzt. Das gilt auch für Josephine Baker, die die rassistische Pöbelei über sich ergehen lassen muss; ihren Part hat die Engländerin Paige Fenlon übernommen.
Alte Gesichter und Neubesetzungen – auch für Aufführung in Köln
Dagegen ist Sebastian Prange als „Kutte“, der komische Sidekick des Admirals, wieder mit von der Partie. Mit seiner Spielfreude hat er das Publikum vor allem dann auf seiner Seite, wenn er am Klavier ausgelassen den „Lachfoxtrott“ gackert. Mit ihrem perfekten mehrstimmigen Gesang überzeugen die fünf Männer, die als Comedian Harmonists einen Klassiker an den anderen reihen, von „Wochenend und Sonnenschein“ bis zu „Mein kleiner grüner Kaktus“.
Zu den Neuerungen gehört das Medley am Anfang, das Schlager von damals vereint und bei dessen Zusammenstellung die Macher der Show aus dem Vollen schöpfen konnten. Um möglichst viele Lieder unterzubringen, werden manche nur angespielt, sei es „Bei mir bist du schön“, „Schöner Gigolo“ oder „Es gibt nur ein Berlin“. Die ganze Revue hat den Charakter eines Potpourris. Geschichten werden nur angerissen, statt einen größeren Handlungsbogen zu spannen; Nummer folgt auf Nummer, locker verbunden durch die Conférencen des Admirals. Kaum sind Bertolt Brecht und Kurt Weill aufgetaucht, sind sie auch schon weg vom Fenster.
Anita Berber, die zwischendurch zugekokst und betrunken umherschwankt, hat immerhin mehrere Auftritte. Die Rolle der Dietrich, die passend zu ihrem Status als Megastar buchstäblich hereinschwebt und der ein Verhältnis mit der Skandaltänzerin angedichtet wird, ist im Vergleich zur ersten Inszenierung glamouröser angelegt. Nach ein paar hintereinander gesungenen Liedern verschwindet sie auf Nimmerwiedersehen in die USA.
Abwechslungsreiche Choreografien und authentische Abbildungen der Zeit
Unterschiedliche Tänze wie Charleston, Lindy Hop, Foxtrott und Swing, zur Musik des Orchesters ausgezeichnet getanzt nach der Choreografie von Matt Cole, finden ebenso ihren Platz in der Show wie das jazzige „Puttin' on the Ritz“ und die Moritat von Mackie Messer. Auch wenn es für Abwechslung sorgt, wirkt es beliebig, dass der Zuschauer am Anfang des zweiten Akts unvermittelt an den Wolfgangsee versetzt wird, in die Welt von Ralph Benatzkys „Im weißen Rößl“, wo in Dirndl und Lederhose gejuchzt und geschunkelt wird.
Der Bezug zum Berlin jener wilden Jahre? Dort wurde das österreichische Singspiel uraufgeführt – allerdings erst 1930. Das liegt noch im zeitlichen Rahmen, denn als gefühltes Ende der Goldenen Zwanziger wird die Machtergreifung der Nazis genommen. Bemühen sich Autor und Regisseur Christoph Biermeier und Co-Autor Thomas Lienenlüke um authentische Abbildung der Zeit, indem sie beispielsweise eine Fülle von Originalzitaten einbauen, so streuen sie doch gelegentlich Anspielungen auf die Gegenwart ein.
Tickets für die Aufführung in der Kölner Philharmonie
„Wir werden euch jagen“, tönt der Nazi auf der Bühne und zitiert damit AfD-Politiker Alexander Gauland. Mit dem Anliegen, Gesellschaftskritik zu üben, wäre die Revue allerdings überfrachtet. Es geht in erster Linie um Unterhaltung. Um sie nicht zu sehr zu trüben, haben sich die düsteren Wolken am Ende zu verziehen. „Wir sind ein kommerzielles Theater und wollen, dass die Leute mit einem guten Gefühl nach Hause gehen“, sagte nach der Premiere der zweiten Inszenierung Produzent Ralf Kokemüller von Mehr-BB Entertainment.
„Berlin Berlin – Die große Show der Goldenen 20er Jahre“ gastiert vom 28. Juni bis zum 2. Juli in der Philharmonie. Die Ticketpreise beginnen bei 39,50 Euro, zuzüglich Gebühren an der Vorverkaufsstelle. Der Autor besuchte auf Einladung von BB Promotion die Premiere am 10. Dezember 2021 im Admiralspalast in Berlin.