Am Mittwoch geht es im Bundestag auch um die Kölner Kliniken. Zwei Experten erklären vorab, warum sie für die Gesamtentwicklung wichtig sind.
Expertenbefragung im BundestagSo dramatisch ist die Schieflage der Kölner Kliniken im Deutschland-Vergleich
Die in Köln geplante Zusammenlegung der städtischen Kliniken könnte bundesweit zum Vorbild für die Zentralisierung von Krankenhäusern dienen. Das ist die Einschätzung von Gesundheitsforscher Boris Augurzky (Uni Duisburg-Essen), der mit dem „Krankenhaus-Report“ eine jährliche Orientierung über die ökonomischen und gesundheitlichen Entwicklungen im deutschen Krankenhaussektor publiziert.
„Köln ist nicht die erste Stadt, die ihre Kliniken konsequent zusammenlegt. Der Landkreis Lörrach ist dabei, aus vier Standorten einen zu machen, Stadt und Land haben in Heilbronn aus vier zwei gemacht, Ludwigsburg ebenfalls“, sagte Augurzky dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Bemerkenswert ist aber, wie Köln diesen Schritt als Millionenstadt auch gegen politische Widerstände geht und durchsetzt, in dieser Hinsicht hat Köln durchaus Vorbildfunktion.“
Kölner Stadtrat stimmte im Juni für die Klinik-Zusammenlegung
Der Kölner Stadtrat stimmte in seiner Sitzung im Juni dafür, die drei städtischen Krankenhaus-Standorte Holweide, Riehl und Merheim zusammenzulegen und mit Investitionen von mehr als 800 Millionen Euro bis 2032 einen Gesundheitscampus in Merheim zu errichten. Augurzky spricht am Mittwochnachmittag im Bundestag über die Zukunft der Krankenhauslandschaft, Hintergrund ist eine politische Debatte um eine mögliche Zwischenfinanzierung von Krankenhäusern: In den kommenden fünf bis zehn Jahren erwarten Fachleute eine wirtschaftlich besonders kritische Phase für Krankenhäuser, an vielen Standorten drohen Insolvenzen. „Bundespolitisch steht die Forderung im Raum, Krankenhäusern finanziell zu helfen, weil deren wirtschaftliche Lage sehr schlecht ist“, sagte Augurzsky.
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„Ich war in Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Köln und kann sagen: es brennt überall. Die Krankenhausreform wird wirken, aber erst mittelfristig. Die Häuser suchen nach einer Zwischenfinanzierung. Darüber kann man aus meiner Sicht reden – unter der Bedingung, dass die notwendigen Veränderungen durch eine Geldspritze nicht gestoppt werden.“ Die nächsten zehn Jahre seien „eine immense Herausforderung“. Langfristig könne man durch Zentralisierung die Behandlungsqualität verbessern und mehr Pflegepersonal akquirieren, zudem sei eine Umschichtung von vielen Behandlungen auf den ambulanten Bereich notwendig. Denn diesen könne man ausbauen.
Christian Karagiannidis: Wer jetzt abwartet, wird abgehangen
Auch Christian Karagiannidis, Lungenspezialist am Klinikum Holweide sowie Berater der Bundesregierung während der Corona-Pandemie und Präsident der Notfallmedizinervereinigung, spricht am Mittwoch im Bundestag zur Zukunft der Krankenhauslandschaft. Er sagte vorab: „Bevor man einfach Geld zuschießt wie während der Pandemie, werbe ich dafür, in die Strukturen zu investieren. Köln ist ein gutes Beispiel, der Weg, auf den sich die städtischen Kliniken machen, ist gut und nachhaltig. Es ist von entscheidender Bedeutung, Geld in die Hand zu nehmen, um strukturell gegen die Entwicklung zu steuern.“
Andere Kommunen, die jetzt auf die Reformergebnisse warten und bis dahin nichts an den Strukturen ändern, werden laut Karagiannidis absehbar abgehangen.
Dass die Reformen, die auf dem Papier vielen Fachleuten sinnvoll erscheinen, vor Ort nicht leicht umzusetzen sind und für Unmut und Angst sorgen, zeigt das Beispiel der Kölner Kliniken ebenfalls: Eine Online-Petition gegen den Beschluss des Stadtrats hat inzwischen weit mehr als 50.000 Unterschriften. Die große Sorge: Die Zusammenlegung bedroht die wohnortnahe Versorgung im Rechtsrheinischen. Die Tatsache, dass Köln-Mülheim künftig kein eigenes Krankenhaus mehr haben wird, stößt vor Ort bitter auf. Auch in der Belegschaft ist das Thema umstritten, wenngleich sich der Betriebsrat mit nur einer Gegenstimme für die Zusammenlegung ausgesprochen hat.
Krankenhaus-Report erwartet ohne Anpassungen schwere Verluste
Auch Augurzky sieht im Wegfall von wohnortnaher Versorgung ein Problem. Allerdings nicht für Millionenstädte wie Köln: „Für Köln als Ballungsraum mache ich mir keine Sorgen, was die Erreichbarkeit der Krankenhäuser angeht. Die ist weiterhin sehr gut. Probleme wird es eher in ländlichen Gegenden geben, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, der Lausitz oder im Erzgebirge, dort muss die Pkw-Erreichbarkeit bei jeder Entscheidung sehr genau geprüft werden.“
Daten aus dem von Augurzky herausgegebenen „Krankenhaus-Report 2023“ zeigen, dass die Kliniklandschaft vor einem Wendepunkt steht: Gab es seinen Berechnungen zufolge bis ins Jahr 2022 hinein unter dem Strich noch minimale Gewinne von insgesamt rund 0,3 Prozent im Krankenhaussektor, ist zu erwarten, dass dies noch im laufenden Jahr kippt. Für 2023 erwartet er 0,3 Prozent Verluste, nur noch bei 53 Prozent der Häuser sind schwarze Zahlen zu erwarten. 2024 steht demnach eine massive Verschärfung des Negativtrends bevor, sollten die Verantwortlichen in den Parlamenten und vor Ort nicht gegensteuern.
Vier von fünf Häusern werden den Berechnungen des Reports zufolge Verluste machen, wenn sich an den Strukturen nichts ändert. Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit von Krankenhäusern zeigen die Daten, dass Häuser mit einer Größe von 500 bis 900 Betten die besten Chancen haben, Verluste zu vermeiden. Krankenhäusern mit 200 oder weniger Betten haben demnach grundsätzlich Verluste zu erwarten.
„Die Kölner Situation ist nochmal überproportional zugespitzt“
„Der Trend ist bundesweit derselbe, Krankenhäuser gehen überall in Millionen-Schritten ins Defizit“, so Augurzky. „Die Kölner Situation ist aber nochmal überproportional zugespitzt, das sind schon gigantische Zahlen. 100 Millionen Euro Verluste pro Jahr sind weit oben anzusiedeln. Umgerechnet auf die Größe der Kölner Kliniken machen andere kommunale Kliniken pro Jahr zumeist Verluste von etwa 40 Millionen Euro.“ Langfristig strebt die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) Verluste von höchstens zehn Millionen Euro pro Jahr an.
Doch weil die Kölner Krankenhauslandschaft auch jenseits der städtischen Anteile unter Druck gerät, erhofft sich Karagiannidis, dass das Land als Mediator auftritt und die verschiedenen Träger an einen Tisch bringt. Sodass Funktionen und Aufgaben, die künftig eben nicht mehr doppelt bestehen können, sinnvoll aufgeteilt werden, ähnlich wie es in Essen derzeit gemacht wird: „Ein solches Miteinander kann helfen, um die Strukturen langfristig zu sichern.“