Köln – Seit Mittwochabend hat Nils Ferrand keine Zeit mehr, sich aufzuregen. Sagt er selbst so. Denn seit die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen hat, dass ab dem 1. März die Friseurgeschäfte in Deutschland wieder öffnen dürfen, ist Ferrand, 29 Jahre alt und seit 2019 Betreiber eines Salons auf der Kölner Severinstraße, vor allem damit beschäftigt, Terminanfragen zu beantworten. 15 bis 20 pro Stunde kämen gerade rein, per Telefon, E-Mail, Facebook, Instagram, „und eine Brieftaube würde mich auch nicht mehr wundern“.
Männer, deren Kurzhaarschnitte jetzt eher so Mittellanghaarschnitte sind, und Frauen mit gefärbten Haaren, an deren Ansatz sich die Dauer der Corona-Maßnahmen gut ablesen lässt. Die erste Märzwoche sei schon voll, die zweite fast. „Es ist ein gutes Gefühl, sein Schicksal wieder selbst in der Hand zu haben“, sagt Ferrand.
„Die Politik hat meiner Meinung nach versagt. Nicht gesellschaftlich, aber wirtschaftlich.“
Trotzdem ist nicht wieder alles gut. Einfach so. Ferrand, der, so sagt er, vorher keine Schulden hatte, habe vor kurzem einen Kredit mit hohen Zinsen aufnehmen müssen, um seine Fixkosten weiter decken zu können. Miete, Strom, Lieferanten. Dinge, die Geld kosten, obwohl sein Laden seit Mitte Dezember geschlossen blieb. Bleiben musste. Der Dispositionskredit seines Kontos sei nicht nur „ausgereizt, sondern überreizt“ schrieb er Ende Januar in einem langen Facebook-Post. Und: „Die Politik hat meiner Meinung nach versagt. Nicht gesellschaftlich, aber wirtschaftlich. Ich weiß nicht, wie es in Zukunft weitergehen kann und wird.“
Jetzt aber geht's ja weiter. Zumindest ein bisschen. „Klar, im März werden wir jetzt einen guten Umsatz machen“, sagt Ferrand, „aber dafür werden der April und der Mai keine guten Monate. Die Leute, das ist meine Erfahrung, gehen in der Pandemie seltener zum Friseur, auch wenn die Salons geöffnet haben.“ Anlässe, an denen man mal so richtig gut aussehen will, vom Date bis zum Restaurantbesuch, fehlen weiterhin, trotz erster Lockerungen.
Ferrand stammt aus einer Friseurfamilie, 120 Jahre reicht ihre Haarschneide-Tradition zurück, erzählt er. Seine Mutter betreibe sieben Salons, 250.000 Euro habe sie allein im vergangenen Jahr an Verlust gemacht. „Das war ihre Altersversorge. Sie ist 59 Jahre alt, das holt sie bis zur Rente nicht wieder rein.“
Verband befürchtet weitere Einbußen durch Schwarzarbeit
Auch beim Friseur- und Kosmetikverband NRW herrscht keine überschwängliche Euphorie über die Öffnungen, die doch vor allem das Resultat hartnäckiger Lobbyarbeit der Innungen sind. „Die Friseure sind froh eine Perspektive zu haben“, sagt Geschäftsführer Andreas Di Stefano. „Gleichzeitig aber sind die Überbrückungshilfen, die seit Dezember dringend benötigt werden, immer noch nicht auf den Konten angekommen.“
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Viele Salonbetreiber hätten bereits während des ersten Lockdowns im vergangenen Jahr ihre Reserven aufgebraucht, könnten nicht länger in Vorkasse gehen. Auch Ferrand hat noch kein Geld vom Bund erhalten, sagt er, nur Kurzarbeitergeld für die zweite Dezember-Hälfte, aber das ist ja nicht für ihn, sondern für seine Mitarbeiter.
„Ich kriege täglich verzweifelte Anrufe von Menschen, die nicht mehr wissen, von welchem Geld sie leben sollen“, sagt Verbandsgeschäftsführer Di Stefano. Sollte sich nun auch noch herausstellen, dass sich viele Menschen in den vergangenen Monaten heimlich zu Hause die Haare schneiden ließen, könne das nachhaltig negative Effekte auf die Branche haben, so Di Stefano.
Ferrand hat während des Lockdowns zusammen mit seinen Mitarbeitern ein Selbstexperiment gewagt: Auch sie haben sich nicht die Haare geschnitten, aus Solidarität mit ihren Kunden. Man kennt sich also aus, mit den Krisen-Frisen, die da ab März auf sie warten.