In sozialen Einrichtungen wie Schulen und Kindertagesstätten fehlen derzeit Tausende Fachkräfte.
Dabei ist Lernen in den ersten Jahren des Kindes besonders wichtig, haben Hirnforscher herausgefunden.
Die Katholische Hochschule NRW in Köln hat nun einen dualen Studiengang aufgelegt, in dem Experten im Bereich Kindheitspädagogik ausgebildet werden.
Köln – Der Bereich frühkindliche Erziehung boomt: Weil immer mehr Menschen in Vollzeit arbeiten müssen oder wollen, suchen Eltern immer öfter Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder, die über den Vormittag hinausgehen. So werden in Köln derzeit 97 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren betreut, die Quote der Kinder von null bis drei Jahren beträgt 42 Prozent. Bundesweit hat sich die Zahl der Kinder unter drei Jahren, die in Kitas betreut werden, in den vergangenen zehn Jahren von 364.000 auf 790.000 erhöht, teilte das Deutsche Jugendinstitut im Fachkräftebarometer „Frühe Bildung 2019“ mit.
Eine Chance also für alle, die im Bereich Erziehung arbeiten wollen: So ist in den knapp 56.000 Kitas von 2008 bis 2018 die Anzahl der Erzieher von 479.000 auf 768.000 gestiegen. Allerdings haben sich auch die Aufgaben verändert. Jüngere Kinder müssen fachlich anders betreut werden als Mädchen und Jungen im Alter von drei bis sechs Jahren. Hinzu kommen immer mehr Kinder, die kein oder schlecht Deutsch sprechen. Auch die Inklusion ist zunehmend Thema in den Kitas.
Studiengang wurde neu organisiert – auch in Köln
Gute Ausbildung tut also Not. Mehr als 60 Hochschulen haben den Trend erkannt und bieten den Studiengang „Kindheitspädagogik“ an. In der Kölner Region können angehende Akademiker das Fach unter anderem an der Uni Köln, der TH Köln sowie an der Alanus-Hochschule in Alfter und der Europäischen Fachhochschule in Brühl studieren. Die Katholische Hochschule NRW (Katho NRW) hat seit 2006 den Studiengang „Bildung und Erziehung im Kindesalter“ im Programm. 2011 wurde die komplette Erneuerung des Studiengangs beschlossen, die seit 2014 vom NRW-Schulministerium gefördert und 2017 als Modellstudiengang akkreditiert wurde.
Im sogenannten ausbildungsintegrierten Modell lernen seit dem Wintersemester 2018/2019 nun etwa 60 Studenten in acht Semestern nicht nur an der Hochschule. Der Studiengang ist dual angelegt und verzahnt mit insgesamt fünf kooperierenden Fachschulen für Sozialpädagogik in Köln, Düsseldorf, Neuss und Mönchengladbach. Praktische Teile, auch das Berufspraktikum im zweiten Teil des Studiums, werden in ausgesuchten Praxiseinrichtungen absolviert, die das Qualifizierungskonzept mittragen.
Grundfragen der menschlichen Erziehung und Bildung
Auf dem Stundenplan stehen unter anderem wissenschaftliches Arbeiten, Bildung und Entwicklung des Kindes, Rahmenbedingungen der Gesellschaft sowie Grundfragen der menschlichen Erziehung und Bildung. Schließlich kann man aus den Schwerpunkten Gesundheit und Behinderung, Diversität und Religion sowie Tanz- und Bewegungskultur einen Bereich auswählen.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer zu Ende studiert, erhält neben dem Bachelor in Kindheitspädagogik auch einen Abschluss als staatlich anerkannter Erzieher. Zudem gibt es Expertisen an gleich drei unterschiedlichen Lernorten. Arbeiten können die Studenten später beispielsweise in Kindertagesstätten, im offenen Ganztag, Bildungseinrichtungen und Familienzentren. „Diese enge Verzahnung von Hochschule, Fachschule und Praxis ist einzigartig in Deutschland“, sagt Professor Michael Obermaier von der Katho NRW in Köln.
Akademisches Wissen soll an Kitas fließen
Es könnte auch den Kitas einen Schub geben, an die mehr akademisches Wissen fließen soll: Bislang hätten nur sieben bis acht Prozent der Mitarbeiter in Kindergärten eine akademische Ausbildung, so Obermaier. Davon seien wiederum nur ein Prozent Kindheitspädagogen. Obwohl schon seit den 1960er Jahren über pädagogische Standards in Kitas diskutiert werde, habe es erst den „Schock der ersten Pisa-Studie“ gebraucht, damit diese in den Einrichtungen verankert würden, so Obermaier. „Kindererziehung war lange Zeit die Sache der Mütter“, sagt der Experte.
Dabei hat die neuere Hirnforschung inzwischen belegt, dass Kinder im Vorschulalter in kurzer Zeit so viel lernen, wie wohl später nie wieder. Gerade in dieser Phase werden zudem entscheidende Weichen für die Ausbildung von Lerndispositionen gestellt, die im gesamten weiteren Leben wirksam bleiben. „Wenn man also Ernst machen will mit der Einlösung von breiter allgemeiner Bildungsförderung und Chancengerechtigkeit, muss man schon im Vorschulalter damit beginnen“, sagt Obermaier. Die kürzlich vorgelegte neue Pisa-Studie hat erneut belegt, dass in Deutschland der Bildungsaufstieg im Vergleich zu anderen Industriestaaten schwerer ist.
Theorie und Praxis
Das Konzept der Katho NRW gefällt Johanna Wiemeyer. Sie studiert Kindheitspädagogik im dritten Semester an der Katho NRW und ist dafür aus Osnabrück nach Köln gekommen. Zuvor hatte sie ein Freiwilliges soziales Jahr (FSJ) in einer Kita in Osnabrück und eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin absolviert. „Plan B war eine Ausbildung zur Erzieherin“, sagt sie. „Aber ich wollte mir möglichst viele Türen offen halten“, sagt die 22-Jährige. Später kann sie sich vorstellen, einmal eine Kita zu leiten.
„Es macht mir viel Spaß mit Kindern zu arbeiten“, sagt auch Kommilitonin Hannah Raatz (20) aus Dormagen. Nach dem Abitur hat sie ein FSJ in einer Kita gemacht. Ein Studium an der Uni kam für sie nicht infrage, weil es ihr zu theorielastig erschien. Erst über die Website ihres Berufskollegs erfuhr sie vom Studiengang an der Katho NRW – und ist mit ihrer Wahl heute zufrieden. „Die Themen werden an der Hochschule und im Berufskolleg völlig anders angegangen“, sagt sie. „An der Hochschule hinterfragen wir die Dinge, die wir an der Fachschule gelernt haben.“
Derzeit läuft die Bewerbungsphase für das Wintersemester 2020/21 – bis zum 31. März 2020. Bewerben kann sich (mit den üblichen Unterlagen), wer sich an einer der kooperierenden Fachschulen angemeldet hat und über eine allgemeine Hochschulreife verfügt. Es gibt keinen Numerus clausus, sondern es werden unter anderem Erfahrungen im sozialen Bereich bewertet.