Joyce Merlet ist als „Puppendoktorin“ in ganz Deutschland bekannt, nun gibt sie ihr Geschäft auf. Fehlende Nachfrage ist nicht der Grund.
Nach 47 JahrenDie Kölner Puppenklinik, die die Ehrenstraße einst prägte, schließt
„Schauen Sie mal, das Kindchen ist wieder gesund“, sagt Joyce Merlet und zeigt eine Celluloid-Puppe von 1910. Auf einem etwas zerknitterten Foto, das sie aufgehoben hat, ist zu sehen, dass der Kopf der Puppe in viele Teile zersplittert war. Sie hat ihn in tagelanger Arbeit wieder zusammengesetzt. Es ist eine ihrer letzten Arbeiten, die sie nun zusammenpackt. 47 Jahre lang betrieb Joyce Merlet ihre Puppenklinik. 33 Jahre auf der Ehrenstraße, die letzten 14 gegenüber dem Historischen Rathaus, gleich neben Farina.
Nun ist Schluss. Joyce Merlet löst ihre Puppenklinik und das „Museum für Puppengeschichte“ mit rund 2000 Exponaten auf. Merlet (78) ist gesundheitlich angeschlagen und sie findet keine Mitarbeiterinnen mehr. Und außerdem hat sie seit Jahren die riesige Baustelle für das Jüdische Museum „Miqua“ quasi vor der Nase. „Das heißt Lärm, Schmutz und Erschütterungen.“
Dabei sei die Nachfrage von Menschen, die ihre geliebte Puppen zur „Heilung“ bringen, nach wie vor groß. Und die Geschichten anrührend. „Ich weine privat nie, aber wenn ich sehe, wie glücklich meine Kunden über die Reparatur sind, dann kullern mir immer wieder die Tränen herunter“, erzählt Merlet mit feinem französischen Akzent. Da brachte zum Beispiel jemand die beschädigte Puppe einer dementen Frau, die im Altersheim lebt. „Sie sprach mit niemandem, nur mit dieser Puppe. Deshalb war es lebenswichtig, dass sie repariert wurde.“ Eine Mutter kam mit dem Lieblingsteddybär ihres verstorbenen Kindes. Andere Kunden möchten wohl auch ihre eigene Kindheit zurückholen.
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Als Joyce Merlet 1977 nach Köln kam, wollte sie eigentlich nur eine Freundin besuchen. Sie wurde in Bordeaux geboren, wuchs in Nizza auf und hatte eine Ausbildung zur Masken- und Bühnenbildnerin gemacht. Der Beruf führte sie an viele Orte. „Aber dann wollte ich nicht mehr reisen, bin hier geblieben und habe auf der Ehrenstraße zuerst mit einem Souvenirladen angefangen. Ich habe in der Karnevalszeit eröffnet und damals überhaupt nicht verstanden, warum alle mit Pappnasen rumliefen.“ Als Dekoration stellte sie einige ihrer geliebten Puppen und Mini-Möbel ins Schaufenster. „Da kamen immer wieder Leute rein, die fragten, ob ich auch repariere.“
Nach und nach eignete sie sich mit Unterstützung eines befreundeten Antiquars die Kenntnisse an. Und beim legendären Künstlerbedarf-Geschäft Wolkenaer, das bis 2008 wichtiger Teil der Ehrenstraße war, ließ sie sich zu Material und Farben beraten. Sie besorgte sich Instrumente, die auch Chirurgen und Zahnärzte benutzen. Joyce Merlet wurde bekannt, Zeitungsartikel über ihre Puppenklinik füllen ganze Ordner. Sogar international wurde über sie berichtet, aus Amerika kamen daraufhin Pakete mit „kranken“ Steiff-Tieren.
Die Puppenklinik war ein Herzstück der alten Ehrenstraße
Und Joyce Merlet wurde zu einer wichtigen Vertreterin der Ehrenstraße in jener Zeit, als sie vor allem von inhabergeführten und oft außergewöhnlichen Geschäfte geprägt war – es war die „alte Ehrenstraße“, der viele Kölner immer noch nachtrauern. Merlet war 20 Jahre eine laute Stimme in der Interessengemeinschaft. Sie habe zum Beispiel durchgesetzt, dass das Fischgeschäft wie lange gewünscht endlich einen großen springenden Fisch an der Fassade anbringen durfte, erzählt sie. Und für eine Veranstaltung in der Puppenklinik durfte erstmals die Straße für Autos gesperrt werden. „Der Mann von der Stadt hat zu mir gesagt: Ich erlaube es, sonst lassen Sie mich ja doch nicht in Ruhe.“
Doch die Ehrenstraße war ihr irgendwann zu teuer, sie zog in die Straße Unter Goldschmied am Rathaus. Die „kranken“ Puppen wurden weiterhin eingeliefert, die Reparatur der neueren Generationen schwieriger. „Das Material wird immer bröseliger. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht irgendwann nur noch China-Ware haben.“
Ihre größten Schätze nimmt Joyce Merlet mit in ihre Wohnung in der Altstadt. Dort will sie auch weiter „operieren“. Und sie sucht weiter nach Mitarbeiterinnen – wer Interesse hat, kann sich über die Homepage melden. Allerdings muss man sich auf ein hartes Regiment einstellen. Die Aussage „Das geht nicht“ lässt Joyce Merlet grundsätzlich nicht gelten. Und solange man noch etwas von den Verletzungen der Puppen sieht, sei die Arbeit nicht gut gemacht. Das „geheilte Celluloid-Kindchen“ wartet übrigens noch auf seine Abholung. Die Besitzerin habe derzeit nicht genug Geld, um die Reparatur zu bezahlen.