Das Restaurant ist immer ausgebucht, der Umsatz besser denn je. Trotzdem macht ein Kölner Sternegastronom jetzt Schluss.
Zwei-Sterne-Lokal„Ich kann nicht mehr“ – Kölns bestes Restaurant schließt
Es ist ein Schock für die Gastronomie- und Gourmet-Szene in Köln und in Deutschland: Das seit vielen Jahren konstant beste Restaurant der Stadt, das mit zwei Michelin-Sternen dekorierte „Le Moissonnier“ im Agnesviertel, wird im Sommer seinen Betrieb in bekannter Form einstellen. Das Restaurant ist seit der Wiedereröffnung nach der Pandemie mittags wie abends immer ausgebucht, der Umsatz ist besser denn je. Aber: „Ich kann nicht mehr“, sagt Patron Vincent Moissonnier im exklusiven Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ und spricht von „seelischer Müdigkeit“.
„Am 30. Juni 2023 schließen wir endgültig die Seiten unseres Reservierungsbuches, um nach einer verlängerten Sommerpause ein neues Kapitel aufzuschlagen“, heißt es in einem „Lettre de Coeur“ (dt. Herzensbrief) genannten Newsletter, den die Inhaber Liliane und Vincent ihrer Stammkundschaft zuschicken. „Nach 36 Jahren voller Hingabe und gastronomischem Hochleistungssport, nach 630 verpassten Heimspielen des 1. FC Köln, unzähligen ungesehenen Kinopremieren und abgesagten runden Geburtstagen im Verwandten- und Freundeskreis, nach vier James Bonds, einer Bundeskanzlerin und drei Bundeskanzlern“ sei es an der Zeit, neue Wege zu gehen.
Köln verliert Sterne-Restaurant: „Le Moissonnier“ schließt nach 36 Jahren
„Der Restaurantbetrieb, so wie Sie und wir ihn seit fast vier Jahrzehnten kennen, wird dann der Vergangenheit angehören. Wir werden uns verändern. Und bleiben Ihnen doch erhalten. Gemeinsam mit unserem Koch Eric Menchon starten wir in ein neues Abenteuer.“
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Restaurant „Le Moissonnier“ in Köln startet neues unbekanntes Abenteuer
Nach einer Sommerpause soll es ab 1. September weitergehen. Womit, soll bis zu einer Pressekonferenz im August eine Überraschung bleiben. Sicher ist allerdings, dass der Weinladen an der Sudermanstraße weiter betrieben wird. Und auch die vertrauten Räumlichkeiten an der Krefelder Straße – das Restaurant ist im Stile eines französischen Bistros gestaltet – werden weiter genutzt, wenn auch nicht mehr als Restaurant. Der Mietvertrag wurde gerade um mehrere Jahre verlängert.
Vincent Moissonnier, der immer strahlende Patron mit dem jungenhaften Gesicht, sieht müde aus. Er sitzt bei einem Espresso zwischen hochgestellten Stühlen im montags geschlossenen Restaurant. Das Hemd unter dem Blouson ist am Kragen offen, sein Markenzeichen, die Fliege, hat Pause an seinem freien Tag. Der vielleicht beste Gastgeber, den Köln in den letzten Jahren hatte, wirkt ernst, aber auch erleichtert ob der Entscheidung, sein Restaurant ab 1. Juli zu schließen. Halbe Sachen sind nicht sein Ding, das, was er sagt, hat er in den vergangenen Jahren mit sich ausgemacht. Er klingt reflektiert und entschlossen.
„Ich arbeite jeden Tag zwölf Stunden. Sonntags und montags mit Liliane im Büro, ab Dienstag bis Samstag täglich mittags eine Vorführung wie im Theater, dann zwei Stunden Pause, dann eine zweite Schau am Abend. Jeden Tag! Irgendwann sagt die Seele: ‚Jetzt ist es gut‘.“ Seit drei Jahren sei er bereit gewesen, aufzuhören, vor einem Jahr dann habe seine Frau zugestimmt. Seitdem bereitet man den Abgang vor.
Personalmangel herrscht auch in Kölner Sterne-Restaurant „Le Moissonnier“ im Agnesviertel
Die Gründe für Lilianes Sinneswandel sind nachvollziehbar. „Die Tatsache, dass wir kein Personal mehr finden, vor allem für den Service. Die Tatsache, dass Corona uns gezeigt hat, wie schön es ist, abends mal frei zu haben“, sagt Vincent, ihr Mann. „Und am nächsten Morgen ausschlafen zu können.“
Der Druck, immer für die Gäste da zu sein, ist groß. „Sterneküche ist wie Formel 1 fahren. Du musst immer top sein, darfst keine Schwäche zeigen. Ich kann einfach diese Leistung nicht mehr bringen. Wenn der Motor immer im roten Bereich dreht, platzt er irgendwann. Entweder lande ich in Merheim, oder die Leute sagen: ‚Moissonnier, kannst du dich erinnern, wie schön es früher bei dir war?‘ Da habe ich keine Lust zu.“ Er wolle nicht aufhören zu arbeiten, aber mal etwas Neues machen, mal zwei, drei Tage frei haben zwischendurch, freie Abende mit der Familie, darauf freut sich Moissonnier.
Weniger präsent zu sein, ist für Vincent Moissonnier in Köln keine Option
Und kürzertreten wie andere Gastronomen, die dann oft gar nicht anwesend sind in ihrem Laden, ist keine Option. „Ich mache auf, und ich schließe ab. Die Gäste haben ein Recht darauf, dass ich da bin.“ Er hat in 36 Jahren zehn Tage gefehlt, das war während der Corona-Pandemie. „Meine Mutter hat das Begräbnis meines Vaters auf einen Montag gelegt, damit ich dabei sein konnte. Das ist verrückt.“ Aber anders kann Vincent Moissonnier nicht. Wenn er nicht da wäre, müssten die Angestellten den Kopf hinhalten bei einer Beschwerde. Das ist für ihn genauso unvorstellbar wie ein Restaurant, das mittags geschlossen hat.
Als erfahrener, erfolgreicher Unternehmer – sein Zwei-Sterne-Restaurant ist profitabel und nicht subventioniert – weiß der Franzose um den anstehenden Umbruch in der Gastronomie, in der Dienstleistung. Es gibt kaum ausgebildeten Nachwuchs. Die Waren werden teurer, die Personalkosten steigen. Essen gehen wird immer mehr ein Luxusgut. „Wir hören freiwillig auf, aber ich glaube, viele Kollegen werden schließen müssen.“ Zudem hätten sich die Vorstellungen gerade der jungen Leute in der Branche geändert: „Nur noch vier Tage arbeiten, nur noch ein Menü, der Gast soll im Voraus bezahlen, den Mund halten und essen, was man ihm vorsetzt. Kann man machen, ist aber nicht das, was ich gelernt habe oder was ich unter Gastfreundschaft verstehe.“
Die Gesellschaft und der Beruf veränderten, modernisierten sich, aber dafür müssten Lösungen gefunden werden. „Es wird schnelllebiger, jeder kann alles. Aber richtig gut wirst du nur, wenn du ein Team hast, das sich identifiziert, zu hundert Prozent. Aber wenn eine oder einer geht, findest du heute keinen gleichwertigen Ersatz mehr.“ Auf Facebook hat er gelesen, dass die „L‘Imprimerie“ jetzt auch donnerstags geschlossen bleibt. Grund: Personalmangel. Drei Tage die Woche zu. „Das wird so vernichtend durch die Branche gehen“, sagt Moissonnier. Und: „Wir können kein Homeoffice machen, wir müssen da sein.“ Für die Gäste, denn die bringen schließlich das Geld.
Sternegastronom will „auf dem Höhepunkt“ gehen
„Ich habe einen Stammgast, Eberhard, er ist um die achtzig, immer top angezogen“, sagt Moissonnier. „Er kommt etwa alle zwei Wochen für das Mittagsmenü. Er liebt uns, und wir ihn auch.“ Eberhard habe erzählt, er hätte einen Albtraum gehabt, dass Liliane und Vincent gehen würden. „Aber vor der Tür waren hundert Gäste, und die haben euch wieder reingedrückt.“ Moissonnier lacht: „Wir haben ein fantastisches Publikum, das ich nicht enttäuschen will. Ich will auf dem Höhepunkt gehen, bevor das Blatt sich dreht.“
Gehen bezieht sich nur aufs Restaurant, nicht auf die Stadt. „Ich bin ein Kölscher Jung, Köln hat mir alles gegeben. Obwohl mein Laden in so einem bedrissenen Viertel ist, ist er immer voll – das ist Köln. Köln ist für mich ein Wort: Lecker. Lecker Kölsch, lecker Mädche, leck mich en d‘r Täsch. Köln tickt genau wie ich. Es ist nicht überkandidelt, es nimmt sich nicht zu ernst, macht sein Ding aber trotzdem richtig. Ich fühle mich unglaublich wohl hier.“
Der drei-Sterne-Koch Alain Ducasse aus Paris, der auch ein Restaurant in Monaco hat, habe einmal gesagt: „Man muss nicht in Monaco geboren sein, um sich als Monegasse zu fühlen.“ Ihm gehe das so mit Köln. „Ich kann auf Kölsch schimpfen wie kaum ein anderer, weil ich das auf dem Großmarkt gelernt habe. Ich habe im Dom geheiratet, meine Kinder sind da getauft. Und wenn ich am frühen Montagabend mit Liliane auf zwei Kölsch im Päffgen am Friesenplatz sitze, bin ich glücklich. Mehr brauche ich nicht.“
„Le Moissonnier“: Wertschätzung der Gastronomen in Köln vermisst
Obwohl Köln seine zweite Heimat geworden ist, sein Restaurant zum Aushängeschild, ist er nicht immer einverstanden mit der Stadt. „Was glauben Sie, wie oft die Oberbürgermeisterin bei mir Essen war? Ein Mal, eingeladen! Ihre Vorgänger? Ein Mal, eingeladen!“ Es sei ein Armutszeugnis, wenn gewählte Oberhäupter dieser Stadt einen Wirtschaftszweig wie die Gastro-Branche nicht ernst nähmen.
In Frankreich würden erfolgreiche Macher wie Menchon oder Moissonnier zum Neujahrsempfang geladen. „Weil die wissen, dass Menschen aus dem ganzen Land in ihre Stadt kommen, um außergewöhnlich gut zu essen.“ Die Wertschätzung bekommt er von anderen. Zahlreiche Prominente zählen zu seinen (Stamm-)Gästen. Von Charles Aznavour über Anastasia und Gerhard Schröder bis Roger Moore und Michael Caine, von Roger Willemsen über Iris Berben bis Joachim Krol – sie alle haben sich im „Le Moissonnier“ verwöhnen lassen.
Köln sei in seinem Bereich besser geworden. „Als wir angefangen haben 1987 gab es Rino Casati, Chez Alex, Bado, Goldener Pflug und Franz Keller.“ Alles andere sei gastronomisch nicht der Rede Wert gewesen. „Dann kommen wir, 08/15, kein Programm. Nur acht offene Weine.“ Und heute? „Le Moissonnier“ hat seit 2008 zwei Sterne, und die Kölner Gastrolandschaft habe sich extrem positiv verändert. In der Spitze wie in der Breite. Dazu habe die mediale Präsenz der Fernsehköche beigetragen, die das Bewusstsein der Kundschaft verändert und so die Wertigkeit guten Essens verbessert hätten. Und modernste Geräte in der Küche, die technische Perfektion beim Kochen vereinfachen und somit mehr Freiraum schaffen für Kreativität.
Vincent Moissonnier: Jungen Gastronomen gehöre die Zukunft
Gerade jenseits der mit Sternen dekorierten Küche sieht er einige Gastronomen in Köln, auf die er große Stücke hält. „Wir haben eine neue Welle von jungen Leuten, die ich begnadet gut finde. Denen gehört die Zukunft. Wenn die klug sind, werden sie sehr gut davon leben können.“ Er zählt drei Restaurants auf, „die alles verstanden haben“: das „Phaedra“ in der Südstadt, die „Ouzeria“ am Brüsseler Platz und die „Caruso Pasta Bar“ im Agnesviertel. „Die kochen exzellent, nicht schwer, wenig Sahne, wenig Butter. Nicht komplizierte Gerichte, teilweise sehr überraschend. Bezahlbar. Glasweise super Weine, perfekte Teller. Und es geht schnell. Sie sind unglaublich erfrischend und modern.“
Was ihn nervt? „Dieser Schrei in die Natur: ‚Ich will einen Stern haben!‘ Was soll das? Wer hat gesagt, dass du einen Stern haben musst? Nicht der Guide Michelin wird dir das Restaurant füllen, sondern du mit deiner Arbeit für die Gäste.“ Sein Ziel sei immer gewesen, einen guten Job zu machen und davon leben zu können. Klar hätten die Sterne etwas gebracht, aber sie seien nie das Ziel gewesen. Respekt hat er vor denen, die ihn vergeben. „Der Guide Michelin ist seit 1978 Teil meines Lebens. Es ist das seriöseste, beste Organ, was wir in der Gastronomie haben.“
Natürlich würden auch die Fehler machen, aber sauber arbeiten. „Einmal waren zwei Tester hier, junge Leute, sie haben nichts gesagt, bezahlt und sind gegangen. Am nächsten Morgen standen sie um neun Uhr vor der Tür. Stellten sich als Tester vor und fragten nach Eric. Die wollten nur sehen, ob der Koch schon so früh da ist, ob frische Ware kommt und ob die Küche sauber ist. Mehr wollten die nicht.“
Koch Eric Menchon war über Schließung des „Le Moissonnier“ schockiert
Apropos Koch. Sein Koch Eric Menchon war völlig schockiert, als Moissonnier ihm vor sechs Monaten gesagt hat, dass er zu machen will. Menchon verliert immerhin zwei Sterne. „Der renommierte Gastrokritiker Jürgen Dollase hat vor Kurzem gesagt, Eric Menchon sei für ihn der beste Koch Deutschlands“, erzählt Moissonnier, der große Stücke hält auf seinen so bescheidenen Küchenchef – als Koch und noch mehr als Mensch.
„Aber Eric hat sich gefangen, und jetzt scheint er hochmotiviert zu sein und kocht besser denn je. Die Leute sind fasziniert von seiner Kunst. Wir sind bescheiden, aber begeisterte Handwerker, darum geht es für uns. Und wir sind Vorreiter. Als wir hier angefangen haben mit den offenen Weinen und der ‚Zapfanlage‘, hat das niemand gemacht. Als wir hier Spitzengastronomie nicht in einer Kathedrale, sondern in einer gemütlichen Kneipe etabliert haben, gab es das nirgends. Und auch mit unserem neuen Projekt werden wir ab September Vorreiter sein. Da bin ich sicher.“
Und es wird ein Buch geben über die Geschichte vom „Le Moissonnier“. Wie sich Liliane und Vincent zufällig in Berlin am Checkpoint Charlie kennenlernen. Wie man Eric nach Köln gelockt hat. „Der Blick von zwei kleinen Franzosen auf die deutsche Gesellschaft und die deutsche Gastronomie. Glück und Katastrophen mit Köchen, Kellnern und Gästen, so wie wir es erlebt haben.“ Bert Gamerschlag, der früher beim Stern war, wird es schreiben. Es soll 2024 bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen. „Wir haben gekämpft für dieses Restaurant“, sagt Vincent Moissonnier, „aber jetzt ist es vorbei.“